Probleme kleiner als erwartet

Hansi Flick weckt DFB-Team auf: Was Joachim Löw wohl denkt?

Der Bundestrainer Hansi Flick hat Wort gehalten. Mit drei Siegen bringt er die Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation überraschend schnell wieder auf Kurs. Dieses Erfolgsprinzip erinnert an seinen später von Titeln gekrönten Start in München. Bleibt nur noch eine große Frage.

Flick: "Eigentlich rundum zufrieden, aber... "

Der Herr Flick, der kann es offenbar...

Eine Sache gilt es schnell zu klären: Dass eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft Spiele gewinnt, das ist keine neue, keine exklusive Geschichte. Auch unter dem Bundestrainer Joachim Löw gab es regelmäßig Erfolge. Bei der Europameisterschaft in diesem Sommer etwa. Da wurden Portugal und Cristiano Ronaldo mit 4:2 hergespielt. Das war ein letzter größerer Moment der Ära von Löw. Gegen Ungarn ging ein 2:2 schon als Erfolgserlebnis durch. Dieses war indes nicht sonderlich beeindruckend, sondern bleibt vermutlich nur in Erinnerung, weil Leon Goretzka den Hass der rechtsextremen "Carpathian Brigade" mit all seiner Herzensliebe weggejubelt hatte.

Nun hat sich die Lage beim DFB-Team aber dennoch verändert. Und das in einer bemerkenswerten Geschwindigkeit. Kaum ist der alte Bundestrainer weg und der neue Mann da, sind Leistung und Stimmung plötzlich in ganz anderen Sphären. Zwar reicht die Leistung vermutlich noch nicht, um im kommenden Jahr Weihnachts-Weltmeister zu werden und die Stimmung des nationalen Kollektivs ist auch noch nicht auf Sommermärchen-Temperatur, aber zumindest sind die Lethargie (auf dem Platz) und das Miesepetrige (auf den Tribünen) verschwunden. Das sind zwei Nachrichten, die Anfang September nicht unbedingt zu erwarten waren. Aber gut, der Herr Flick, der kann es offenbar.

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Eine sehr kluge Entscheidung des DFB

Wie schon beim FC Bayern hat er einem sportlichen Patienten die Hand aufgelegt und ihn mit seiner wohlig-warmen Art kuriert. Zwar sagt Herr Flick über sich selbst, dass er nicht nur nett ist, sondern einer Mannschaft auch mal sehr deutlich klarmachen kann, wenn ihm was nicht gefällt. Aber man wird den Eindruck nicht los, dass selbst "Deutlichmachen" bei Bammentaler noch immer eine sehr seriöse Form der Höflichkeit ist.

Bei einem Louis van Gaal etwa, der gerade die Niederländer wieder wettkampftauglich macht, kann man sich das eher nicht vorstellen. Aber gut, es sind halt andere Typen. Und der DFB hat offenbar mit seiner Entscheidung in der Post-Löw-Frage alles richtig gemacht. Das kann der Verband ja sonst nicht für sich beanspruchen. Noch immer ist das Chaos an der Spitze ungelöst. Eine gute Nachricht: Zumindest aktuell ist es ruhig und nicht schmutzig.

Auf dem Feld ist dagegen alles in bester Ordnung. Auch, wenn Flick das ein wenig anders sieht. Ein paar Dinge möchte der Bundestrainer noch korrigiert wissen. Nun wäre es ja auch schlimm, ganz besonders für Löw, wenn nach zehn Tagen "Bundes-Hansi" alles perfekt wäre. Etwas größeren Bedarf zur Optimierung sieht der 56-Jährige "in der Präzision beim letzten Pass, in der Entschlossenheit vor dem Tor, um in voller Überzeugung zum Abschluss zu kommen." Das gilt besonders für Timo Werner, der gegen Island zwei ziemlich mächtige Chancen ungenutzt ließ und beim Treffer zum 4:0 reichlich Glück hatte. Die Stürmerfrage, sie wird den DFB-Cheftrainer weiter beschäftigen. Trotz der starken Entwicklung eines Karim Adeyemi, der gegen Armenien beim Debüt direkt getroffen hatte.

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Plötzlich doch nur Luxusprobleme?

Tatsächlich wirken die Probleme der Nationalmannschaft plötzlich wie Luxusprobleme. Ob Löw sich wohl manchmal darüber wundert? Während seiner Zeit wirkten die Dinge groß, manchmal übergroß. Die Offensive, die sich mit Tiefe und Dynamik so schwertat. Das Mittelfeld, in dem so viel Geschiebe war, aber so wenig Kreativität. Die Defensive, die oft so schlecht eingespielt wirkte und anfällig war. Die Kommunikation, die als Schweigen der Männer durchging. Und das Selbstvertrauen der Mannschaft, das oft wegbrach, wenn es kleinere Rückschläge gab. Gegen Island folgte auf eine kleine Schwächephase direkt das 2:0. Flick hat für alles bereits eine Lösung gefunden. Vielleicht nicht immer die perfekte. Aber immer eine, die sich stabilisierend und gewinnbringend antreibend auf die Mannschaft auswirkte.

Die markanteste Veränderung ist freilich die Beförderung von Kimmich zum Mittelfeldchef. Die Sache mit dem Rechtsverteidiger ist endgültig durch. Auch wenn die Alternative nicht so schlecht sind, wie gedacht: Thilo Kehrer, Jonas Hofmann, Lukas Klostermann und natürlich Ridle Baku, auch wenn der gegen Island nicht im Kader war.

Nun ist diese Entwicklung dennoch sehr erstaunlich: Flick hat taktisch zwar eine kleine Revolution ausgerufen und vertraut seinem aggressiven Erfolgssystem, das ihm beim FC Bayern einst sieben Titel beschert hatte. Aber personell hat der Bundestrainer Deutschland ja nicht neu erfunden. Lediglich das Nominierungscharakteristikum: "Alter schützt vor Leistung nicht", wurde von ihm wieder hoch priorisiert. Es ist nun Leitkriterium. Bedeutet also: Thomas Müller und Mats Hummels werden wohl weiter dabei sein. Marco Reus sowieso. Und womöglich auch Jérôme Boateng, der ja mit Olympique Lyon einen neuen Klub gefunden hat. Beim Abwehrhünen wird indes wohl einiges davon abhängen, wie der Prozess um Vorfälle in seinem Privatleben ausgeht, der an diesem Donnerstag beginnt.

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Eine Sache muss man allerdings einschränken...

Siege hat es immer gegeben. Schön waren sie eher selten. Noch seltener wurden sie zuletzt bejubelt. Zu sehr hatte die Nation nach den vielen Debakeln mit dem Weltmeister gebrochen. Zu sehr hatte sich der Verband dem fatalen Irrglauben hingegeben, dass mit Löw nochmal alles gut und erfolgreich werden könnte. Die dunklen Wolken, sie hingen so schwer und tief, dass man die Sonne mindestens vermisst, manchmal sogar verloren glaubte. Nach zehn Tagen Flick sind aber mehr als nur zarte erste Strahlen zu erkennen.

Drei Spiele, drei Siege, neun Punkte für Katar. Dazu furiose Halbzeiten gegen Armenien und Island (gegen Liechtenstein zum Auftakt eher nicht) und tolle Tore. Darunter sogar eine einstudierte Freistoßvariante bei Antonio Rüdigers 2:0 in Reykjavik. Unter Löw hatte es sowas selten bis nie gegeben. Ihm waren solche Dinge nicht sonderlich wichtig. Anders als Flick. Er machte sie beim WM-Triumph 2014 als Co-Trainer schon zum Thema. Und nun als Chef erneut. Die Idee mit Standard-Trainer Mads Buttgereit hat sich also schon ausgezahlt.

Aber eine Sache trübt den späten Super-Sommer noch ein ganz wenig ein. Die ersten drei Gegner waren lockere Auftaktübungen auf dem Weg in die Weltspitze. Ein Top-Beleg für das, was das DFB-Team auf höchstem Niveau bereits wieder leisten kann, steht noch aus. Und in diesem Jahr auch nicht mehr an. Die Gegner bis zum Jahresausklang heißen: Rumänien, Nordmazedonien und dann erneut Liechtenstein und Armenien.