"Kein Killerinstinkt", zu wenig Klasse
Wie Valtteri Bottas Lewis Hamilton und Mercedes die WM kostet

Von Christian Schenzel
Vier Rennen vor dem Saisonende deutet sich in der Formel 1 eine Wachablösung an. Nach vier WM-Titeln in Folge muss Lewis Hamilton seinen Platz auf dem Thron in diesem Jahr wohl räumen. Dazu wackelt auch die Vorherrschaft von Mercedes in der Konstrukteurs-Wertung. Gründe dafür gibt es einige. Valtteri Bottas ist einer davon.
Glock: Kein Verlass mehr auf Bottas
Konnte er nicht oder wollte er nicht? War Valtteri Bottas beim Großen Preis von Mexiko einfach nicht in der Lage, die Tür gegen Max Verstappen zuzuschlagen? Oder wollte der Finne die Tür vielleicht einfach nicht zuschlagen? Über diese Frage wurde und wird in Formel-1-Kreisen seit dem folgenschweren Rennen am Wochenende lebhaft diskutiert.
Für Ex-Formel-1-Pilot Timo Glock ist der Fall klar. Der "Sky"-Experte vermutet, dass Bottas die Tür nicht zuschlagen wollte. Er glaube nicht, dass sich Mercedes noch auf den Finnen verlassen könne, schrieb Glock in seiner Kolumne. Viele Fans, vor allem die aus dem Hamilton-Lager, sehen das ganz ähnlich.
Bottas' Defizite fielen jahrelang nicht ins Gewicht
Bottas fehlende Absicht zu unterstellen geht aber womöglich doch einen Schritt zu weit. Viel mehr spricht dafür, dass die Nummer 77 einfach nicht die fahrerische Klasse hat, um in einer absoluten Stresssituation, in der es um alles oder nichts geht, innerhalb einer Zehntelsekunde eine radikale, aber richtige Entscheidung zu treffen. Die Art von Entscheidung, die gute von großartigen Fahrern unterscheidet. Diese Fähigkeit, dieser "Killerinstinkt", fehlt dem Finnen offenkundig.
In den letzten Jahren passte das Mercedes noch wunderbar in den Kram. Die Silberpfeile waren der Konkurrenz soweit enteilt, dass Bottas' Defizite im Kampf um die WM keine Rolle spielten. Im Gegenteil. Hinter verschlossenen Türen werden Wolff und Co. sogar begrüßt haben, dass der Finne gegen Hamilton Jahr für Jahr chancenlos war. In dieser Saison hat sich der Wind aber gedreht, denn erstmals gibt es einen "echten" externen Gegner.
Red Bull, der RB16B und Max Verstappen sind nicht nur mit Mercedes und Hamilton auf Augenhöhe, in vielen Bereichen sind sie den Serien-Weltmeistern sogar voraus. Um dieses Paket zu schlagen, muss viel zusammenpassen. Doch genau das ist bei Bottas 2021 nicht der Fall.
Viele Ausreden, zu wenig Lösungen
Der Finne leistet sich in diesem Jahr reihenweise Fehler, die Mercedes teuer zu stehen kommen. Mal setzt er ein Qualifying in den Sand, nicht selten verschläft er einen Start und regelmäßig hat er auch im Rennen Probleme, die Power des W12 auf den Asphalt zu bringen. Das Team könnte für diese Fehler mit dem Verlust beider WM-Titel zahlen.
Unnötig Punkte ließ der Finne schon bei zahlreichen Rennen liegen. So zum Beispiel in Imola, als er von George Russell zwar unverschuldet aus dem Rennen geschossen wurde. In das Duell mit seinem Nachfolger kam Bottas aber nur, weil er vorher schlicht zu langsam war. "Zu 100 Prozent" seien die Reifen daran Schuld gewesen, erklärte er seinen schwachen Auftritt hinterher.
Seine Erklärung für das Baku-Debakel war ähnlich unbefriedigend. "Am logischsten wäre es, wenn wir einen Fehler am Wagen finden. Wenn nicht, können es nur die Reifen sein", sagte Bottas damals nach seinem enttäuschenden zwölften Platz. Eine schwache Ausrede, nicht mehr, nicht weniger.
Nicht herausreden konnte er sich in Ungarn, als er den Vorteil der ersten Mercedes-Startreihe mit seinem Anfänger-Crash in der ersten Runde einfach wegwarf. Auch das war ein Rennen, in dem die Silberpfeile deutlich mehr als letztlich nur die 18 Punkte von Lewis Hamilton eingeplant hatten. Doch Bottas machte diesen Plan zunichte.
Bottas winkt Verstappen durch
Heftige Kritik gab es auch an Bottas' Auftritt in Russland. Zur Erinnerung: Hier nahm Verstappen seine Motorenstrafe in Kauf und startete vom letzten Platz. Auch Bottas startete nach einer Power-Unit-Strafe nur von Rang 16. Sein Job war es, die Aufholjagd von Verstappen zu stoppen bzw. zu verlangsamen. Ganze drei Runden lang hielt er ihn hinter sich. Nach nur fünf Umläufen winkte er den Niederländer dann ohne Gegenwehr vorbei. Verstappen pflügte anschließend durch das Feld, der Finne hing dagegen rundenlang hinter Gasly und Vettel fest und verspielte so jede Chance, den Red Bull zu stoppen.
Vier von zahlreichen Beispielen, bei denen der Finne aus dem Wochenende nicht das Optimum herausholte.
Finne kann Hamilton nicht helfen
Mittlerweile ist die Liste von Bottas' Verfehlungen unangenehm lang, für den Geschmack von Mercedes eindeutig zu lang.
Natürlich wäre der Finne nicht alleine verantwortlich, sollten beide WM-Titel am Ende tatsächlich an Red Bull gehen. Schließlich machten auch Lewis Hamilton und Mercedes einige kostspielige Fehler. Dazu läuft es bei den Roten Bullen wie geschmiert. Und manchmal muss man einfach anerkennen, wenn ein Gegner besser ist.
Trotzdem haben die Silberpfeile ein Paket, das gut genug ist, um beide Titel zu holen. Aber dafür muss alles passen. Genau das tut es aber nicht. Vor allem bei Bottas, der Hamilton wahrscheinlich gerne helfen würde, es aber einfach nicht kann. (sport.de)