Verstappen schreibt das nächste KapitelLauda-Aufgabe, Hill-Sternstunde und ein tragischer Unfall - Die Regendramen des Japan-GP

Die Formel 1, Japan und Regenwetter – ein Dreiklang, der für Rennsport-Wahnsinn steht, aber auch an eine Tragödie erinnert. Der verrückte Grand Prix 2022 mit Max Verstappens Wirr-Warr-Krönung zum Weltmeister reiht sich nahtlos in die Liste ein. Wir blicken auf die größten Regendramen im Land der aufgehenden Sonne.
Fuji 1976 – Niki Lauda hat genug
Obwohl er wegen seines Feuercrashs am Nürburgring mehrere Rennen verpasst hat, kommt Niki Lauda mit drei Punkten Vorsprung auf seinen Rivalen James Hunt zum Saisonfinale 1976 nach Fuji. Vieles spricht dafür, dass der Österreicher seinen zweiten WM-Titel mit Ferrari einfährt.
Am Renntag schüttet es zu Fuße des Fuji-Vulkans aber wie aus Kübeln – lange diskutieren Fahrer und Rennleitung über eine Absage. Die Befürworter des Regen-Wahnsinns setzen sich durch.

Lauda startet zwar, biegt aber nach nur zwei Runden in die Garage, steigt aus - und nicht wieder ein. "Es gibt Wichtigeres als eine Weltmeisterschaft. Zum Beispiel meinen Kopf, mein Leben", sagt er. Damit ist der Weg für Hunt frei, schon ein dritter Platz reicht dem Briten jetzt. Fünf Runden vor Schluss muss der in Führung liegende McLaren-Mann aber die Reifen wechseln, fällt auf Rang 5 zurück.
Also doch ein Happy End für Lauda? No! Wie entfesselt schnappt sich Hunt in der letzten Runde Clay Regazzoni und Alan Jones, erklimmt das Podest und gleichzeitig den Formel-1-Thron.
Suzuka 1994 – Damon Hills Sternstunde
86:81 liegt Michael Schumacher vor dem zweitletzten GP der Saison 1994 vor seinem Rivalen Damon Hill. Ein Sieg in Suzuka und der erste Titel ist Schumi praktisch nicht mehr zu nehmen. Zunächst läuft alles nach Plan: Schumacher rast im Benetton-Ford souverän auf Pole, brummt Hill (Williams-Renault) mehr als vier Zehntel auf.
Am Rennsonntag ist Land unter in Suzuka, in Bächen fließt das Wasser über die Achter-Piste. Schumacher und Hill surfen an der Spitze davon, dahinter geht’s drunter und drüber. Trotz Gelber Flaggen kreiselt Martin Brundle im McLaren-Peugeot von der Strecke, kracht fast ungebremst in eine Unfallstelle. Ein Streckenposten bricht sich das Bein – mehr passiert zum Glück nicht.

Nach dem Brundle-Schock wird das Rennen unterbrochen, die Fahrer müssen ihre Boliden auf Start/Ziel parken. Schumacher auf 1, Hill auf 2. Gemäß den 94er Regeln wird das Rennen jetzt in zwei Teilen gewertet – die Abstände des ersten Rennteils werden nach der Schwarz-Weiß-Karierten Flagge mit den Abständen aus Teil 2 verrechnet. Schumacher geht mit einem Polster von 6,8 Sekunden in die zweite Suzuka-Regenrunde.
Hill muss alles riskieren, will er seine WM-Chance am Leben erhalten. Der Brite liefert und fährt das Rennen seines Lebens. Anders als „Regengott“ Schumacher kommt er nur einmal an die Box und übernimmt so die virtuelle Führung. Der Deutsche hat durch die Strategie zwar ein leichteres Auto, kann aber nicht wie erwartet auf den entfesselten Hill aufholen.
Der Williams-Mann kommt 10,1 Sekunden vor Schumacher ins Ziel, weiß im Cockpit aber noch nicht, ob es reicht. „Haltet den Mund und sagt mir einfach, ob ich gewonnen habe“, würgt Hill das Stimmen-Wirrwarr im Team-Radio rigoros ab. Nach einer kurzen Kopfrechenphase bekommt er von Teamchef Frank Williams höchstpersönlich den erlösenden Funkspruch: „Ja, du hast gewonnen.“
Mit dem vielleicht größten Sieg seiner Karriere verkürzt Hill seinen Rückstand in der WM auf einen Punkt. Der Rest ist Geschichte: Eine Woche später kollidieren Schumacher und Hill beim Saisonfinale in Adelaide, der Deutsche ist zum ersten Mal Weltmeister.
Suzuka 2014 – Das Drama um Jules Bianchi

Zwanzig Jahre nach Hills Husarenritt regnet es wieder in Suzuka. Und wie. Sergio Perez schlittert schon in der Formationsrunde vom Asphalt, das Rennen wird zunächst hinter dem Safety Car gestartet.
Dass Lewis Hamilton danach seinem Mercedes-Rivalen Nico Rosberg auf nasser Piste eine Lehrstunde erteilt und gewinnt, wird zur Nebensache. Ein tragischer Unfall überschattet den Japan-GP 2014. Das Drama beginnt, als Adrian Sutil seinen Sauber in die Streckenbegrenzung setzt. Kein schwerer Crash. Der Abschleppkran rückt aus, um den Boliden zu bergen. Reine Routine.

Das Safety Car bleibt allerdings in der Garage. Da passiert in Runde 41 das Unfassbare: Jules Bianchi fliegt an der gleichen Stelle ab und rauscht in seinem Marussia unter den Bergungskran. Bei dem Aufprall bricht der Überrollbügel des Boliden, Bianchi erleidet schwere Kopfverletzungen.
Der 25-jährige Franzose wird mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen und notoperiert. Nach neun Monaten im Koma stirbt Bianchi im Juli 2015. Die Formel 1 ist geschockt. Bianchis Startnummer 17 wird nie mehr vergeben.
VIDEO: Max Verstappen und wie alles begann
Suzuka 2022 - Max Verstappens Krönung, Pierre Gaslys Schreckmoment
Kurz nach dem Start zeigt Max Verstappen auf spiegelglatter Piste, warum er als Regenmeister gilt. Außen schiebt er sich in Kurve 1 an Charles Leclerc im Ferrari vorbei, der innen kurz die Nase vorn hat. Danach wird’s wild: Ferrari-Pilot Carlos Sainz kreiselt ins Kiesbett, Williams-Mann Alex Albon bleibt mit Defekt stehen. Das Safety Car übernimmt das Kommando, da wiederholt sich um ein Haar die Katastrophe von 2014. Pierre Gasly will im AlphaTauri zum Safety Car aufschließen – die Rennleitung schwenkt die Rote Flagge, hat aber schon einen Bergungskran losgeschickt, um Sainz’ Ferrari zu bergen. Bei schlechter Sicht rast Gasly auf die Unfallstelle zu, plötzlich taucht der Kran vor ihm auf, ein Streckenposten ist zudem schon mit der Bergung beschäftigt. Die F1-Gemeinde atmet kollektiv durch, dass der Franzose nicht in das Fahrzeug rauscht, Gasly ist – verständlicherweise – außer sich.
Als das Rennen nach mehr als einer Stunde Unterbrechung hinter dem Safety Car gestartet wird, sind die Bedingungen wieder okay. Max Verstappen fährt seinem Rivalen Leclerc auf und davon, kann sich am Ende theoretisch sogar einen zusätzlichen Boxenstopp leisten. Für die vorzeitige WM-Krönung reicht das noch nicht. Leclerc unterläuft im Kampf um Platz 2 mit Sergio Perez in der letzten Schikane aber ein Fehler: Er verlässt die Strecke, bleibt nur mit Ach und Krach vor dem Red Bull. Noch während die Top3-Interviews im Parc fermé laufen, brummt die Rennleitung dem Monegassen eine 5-Sekunden-Strafe auf, stuft ihn so auf Rang 3 zurück. Dadurch ist Verstappen plötzlich Weltmeister – auch, weil die FIA ihre Regeln neu interpretiert und die volle Punktezahl vergibt, obwohl nur etwas mehr als die Hälfte der eigentlichen Renndistanz absolviert ist. So checkt in Suzuka am Ende keiner mehr durch.
Hinweis: Der Ursprungstext dieses Artikels erschien ursprünglich schon im Oktober 2019.