Drei Mal Bestnote, zwei Mal die 6
Das Halbzeit-Zeugnis der Formel-1-Saison 2022

Halbzeit in der Formel 1! Nach 11 von 22 Rennen ist es Zeit für ein Zwischenfazit. Welcher Fahrer hat sich welche Note verdient? Wie schneiden Mick Schumacher und Sebastian Vettel nach einem Halbjahr mit Höhen und Tiefen ab? Wie sieht das Zeugnis der Team-Wechsler George Russell, Valtteri Bottas und Co. aus? Reicht es für Max Verstappen und Charles Leclerc zur Bestnote?
Nicholas Latifi (Williams/0 Punkte) - Note 6,0
Was bekommt man, wenn man den schlechtesten Wagen mit dem schlechtesten Fahrer im Feld paart? Richtig: null Punkte. Die Kombination FW44/Latifi hält ein Abo auf die Rote Laterne. Der Kanadier ist in nahezu keinem Rennen konkurrenzfähig. Selbst wenn es mal drunter und drüber geht und sich ein Fenster für ihn öffnet, knallt er mit seinem Kopf gegen den Rahmen. Kleiner Trost: Noch elf Rennen, dann ist seine F1-Karriere vorbei.
Lance Stroll (Aston Martin/3 Punkte) - Note 5,5
Auch nach fünfeinhalb Jahren ist Stroll nicht in der Lage, mehr aus einem F1-Wagen rauszuholen als drin ist. Dabei wäre genau das nötig, um mit dem Aston Martin auch mal mehr als nur einen zehnten Platz herauszufahren. Drei Mal kroch der Kanadier mit Ach und Krach in die Punkte. Demgegenüber stehen acht Rennen ohne Zähler. Wenn Papa und Teamchef Lawrence nicht die schützende Hand über ihn halten würde, wäre er sein Cockpit wohl schon lange los.
Alex Albon (Williams/3 Punkte) - Note 2,0
Nach einem fantastischen Start und zwei überraschenden Top-10-Ergebnissen in den ersten fünf Rennen ist es zuletzt scheinbar etwas ruhiger um Albon geworden. Doch der Schein trügt. In Baku (12.), Montreal (13.) und Spielberg (12.) kratzte er trotz unterlegenem Auto an den Punkten. Der 26-Jährige ist einfach in jedem Rennen zur Stelle und ein wahrer Experte, wenn es darum geht, eine Strategie perfekt umzusetzen.
Guanyu Zhou (Alfa Romeo/5 Punkte) - Note 4,0
Zhous Ergebnisse stehen im krassen Gegensatz zu denen von Teamkollege Valtteri Bottas. Allerdings wird der Chinese auch ein wenig vom Pech verfolgt. Vier Ausfälle in den letzten sieben Rennen haben ihn einige Kilometer gekostet - für einen Rookie ist das besonders bitter. Beim hektischen Kanada-GP zeigte er mit Platz acht, zu was er imstande ist. Davon muss in der zweiten Saisonhälfte mehr kommen.
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Yuki Tsunoda (AlphaTauri/11 Punkte) - Note 5,0
Tsunoda hat sich im Red-Bull-Lager zu einem kleinen Problemkind entwickelt - und das nicht nur, weil er am Funk regelmäßig wie ein Rohrspatz flucht. Dem AT03 fehlt es im Vergleich zum Vorgänger an Speed, entsprechend schwer tut sich der Japaner im Verkehr und am Ende der gefürchteten "DRS-Züge". Der 22-Jährige wirkt zunehmend frustriert und benötigt dringend einen Befreiungsschlag.
Mick Schumacher (Haas/12 Punkte) - Note 4,0
Verrückt, was zwei Rennen alles ändern können! Nach Kanada wurde Micks Zukunft in der Formel 1 noch angezweifelt. Dann fuhr er in Silverstone (P8) und Spielberg (P6) plötzlich so stark, dass Rufe nach einem Wechsel zu einem Top-Team laut wurden. Diese muss er aber ausblenden. Für ihn geht es jetzt darum, endlich Konstanz in seine Leistungen zu bringen. Erst dann sollte er über den nächsten Schritt nachdenken.
Sebastian Vettel (Aston Martin/15 Punkte) - Note 4,0
Das jüngste Upgrade hat den Aston Martin besser gemacht, gut genug ist der AMR22 aber noch lange nicht. Das bekommt Vettel zu spüren, wenn er bis zum Rennen nie weiß, ob er um Platz 14 oder Platz 8 fährt. Seb stinkt das. Er will um Punkte und Siege fahren. Das kann er. Doch die Zeit läuft ihm davon. Den Killerinstinkt aus seinen WM-Jahren hat der Heppenheimer verloren, in einem konkurrenzfähigen Auto wäre ihm aber noch einiges zuzutrauen.
Pierre Gasly (AlphaTauri/16 Punkte) - Note 4,5
Gaslys Zauber aus dem Vorjahr ist verflogen. Der Franzose leidet darunter, dass er nur noch selten angreifen und sich gleichzeitig nur schwer verteidigen kann. Der 26-Jährige kämpft wie sein Teamkollege mit stumpfen Waffen. Weder im Qualifying noch im Rennen hat der AT03 das gewünschte Tempo. Für den ambitionierten Gasly ist nur schwer zu akzeptieren, dass er es in acht von elf Rennen nicht in die Punkte schaffte.
Daniel Ricciardo (McLaren/17 Punkte) - Note 6,0
Die Trostplätze acht und neun in Baku und Spielberg schönen Ricciardos Bilanz nur auf dem Papier. Der Australier wird mit dem McLaren einfach nicht warm. Von einem Fahrer seiner Klasse muss man eigentlich erwarten können, dass er seinen Stil anpasst und mindestens mit dem eigenen Teamkollegen auf Augenhöhe fährt. Doch das ist Ricciardo bis heute nicht gelungen - und das ist eine Riesenenttäuschung!
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Kevin Magnussen (Haas/22 Punkte) - Note 3,5
Bei Haas knistert es! Seit Mick Schumacher den Schalter umgelegt hat, muss sich das Team nicht nur mit der Konkurrenz, sondern auch mit einem internen Wettkampf auseinandersetzen. Magnussen hat seinen Vorsprung auf Mick verloren. Das deutete sich schon in Barcelona an. Während Schumacher immer besser zurechtkommt, stagniert der Däne.
Fernando Alonso (Alpine/29 Punkte) - Note 2,5
"Was wäre, wenn ...?" ist die Frage, die Alonso beschäftigt. Der Spanier hat gerade einen Lauf und fuhr sechs Mal in Folge in die Punkte. Dabei wurde er nicht selten durch die Technik, Taktik oder Fehler der Konkurrenz ausgebremst. Jüngstes Beispiel ist Spielberg, wo er unbemerkt einen zusätzlichen Stopp einlegte, weil ein Rad nicht korrekt befestigt war. Dass er trotzdem schon 29 Zähler hat, spricht für seine Klasse.
Valtteri Bottas (Alfa Romeo/46 Punkte) - Note 2,0
In den letzten vier Rennen war ein wenig der Wurm drin, das überaus positive Gesamtbild der Bottas-Saison kann das aber nicht trüben. Gerade zu Beginn des Jahres war der Finne oft der dominierende Mann im Mittelfeld. Wie gut Bottas in diesem Jahr ist, zeigt am besten der Vergleich zu seinem Teamkollegen. Der Routinier hat fast zehn Mal so viele Punkte wie der Rookie geholt (46:5).
Esteban Ocon (Alpine/52 Punkte) - Note 2,5
Ocon steht aus nachvollziehbaren Gründen im Schatten von Fernando Alonso, dabei ist der Franzose nicht selten der bessere der beiden Alpine-Piloten. Seine Klasse zeigt Ocon vor allem an den Sonntagen, an denen er sich kaum Fehler leistet und das Maximum aus dem A522 herausholt. Es ist beinahe unfair, dass seine Leistungen nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Lando Norris (McLaren/64 Punkte) - Note 2,5
Unter den Strich ist es eine ziemlich gute Saison, die Norris in seinem McLaren hinlegt. Der junge Brite hat Teamkollege Daniel Ricciardo klar in die Schranken gewiesen und ist erster Verfolger der drei Spitzenteams. Sein Problem: Der Abstand zu Mercedes ist so groß, dass selbst der beste Fahrer kaum etwas ausrichten kann. Norris wirkt daher nicht selten frustriert, dabei kann er nichts dafür.
Lewis Hamilton (Mercedes/109 Punkte) - Note 3,5
Was für eine Wiederauferstehung vom siebenfachen Weltmeister! Kaum hat Mercedes das Bouncing-Problem im Griff, schon ist Hamilton (fast) der Alte. Drei Mal in Folge raste er zuletzt auf das Podest. Eine derartige Serie können sonst nur Max Verstappen, Charles Leclerc und Sergio Pérez vorweisen. Sollten die Silberpfeile den W13 weiter verbessern, muss man Hamilton auch wieder Siege künftig zutrauen.
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George Russell (Mercedes/128 Punkte) - Note 1,0
Eine sensationelle Serie endete für Russell ausgerechnet beim Heim-Grand-Prix in Silverstone. Bis dahin war er der einzige Fahrer, der in allen Rennen in die Top 5 fuhr. Dabei machte dem Briten selbst der wild hüpfende Wagen keine Probleme. Das spricht für seine herausragenden Fähigkeiten. Für ihn gilt das Gleiche wie für Hamilton: Wenn die Silberpfeile die nächste Entwicklungsstufe zünden, könnte er schon bald ganz oben stehen.
Carlos Sainz (Ferrari/133 Punkte) - Note 3,0
Nachdem sich Sainz zu Beginn der Saison viele unnötige Fehler leistete, wurde der zweite Platz in Monaco für den Spanier zu einem echten Befreiungsschlag. In den vier Rennen danach überzeugte er auf ganzer Linie, hatte mit zwei technischen Defekten allerdings das Pech auf seiner Seite. An Leclercs Speed kommt er noch nicht ganz ran, den Rückstand auf seinen Teamkollegen hat er zuletzt aber spürbar verkürzt.
Sergio Pérez (Red Bull/151 Punkte) - Note 2,0
Zwei Rennen schmälern die Bilanz des Mexikaners in dieser Saison: Kanada und Österreich. In Montreal schied Pérez mit einem Defekt aus, in Spielberg zahlte er den Preis für ein fahrlässiges Überholmanöver in der ersten Runde. Das war nicht nur überflüssig, sondern kostete ihn womöglich auch Platz zwei in der Fahrerwertung - und die Chance, am Ende um die WM kämpfen zu dürfen.
Charles Leclerc (Ferrari/170 Punkte) - Note 1,0
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: In zwei Rennen (Monaco, Silverstone) verhinderte Ferrari einen Sieg Leclercs, in zwei weiteren streikte die Technik (Barcelona, Baku). In Kanada gab es zudem eine Strafversetzung ans Ende des Feldes. Und trotzdem ist der Monegasse erster Verfolger von Max Verstappen. Viel mehr muss man über die Saison Leclercs nicht sagen.
Max Verstappen (Red Bull/208 Punkte) - Note 1,0
Es ist beeindruckend, wie sehr sich Max Verstappen von der Konkurrenz abhebt. Man hat das Gefühl, der WM-Titel hat den Niederländer noch mal auf ein neues Level gehievt. Zu seinem Speed und seiner Konsequenz kommt in diesem Jahr auch noch eine spürbare Ruhe und Abgeklärtheit. Statt mit der Brechstange fährt er mit dem Kopf. Das zeichnet große Champions aus. "Mad Max" ist auf dem Weg, einer von ihnen zu werden. (sport.de)