So gewinnt man keine WM-Titel

Ferraris größter Gegner ist Ferrari

Ferrari driver Charles Leclerc of Monaco speaks with Ferrari team principal Mattia Binotto following the first practice session for the Formula One Miami Grand Prix auto race at the Miami International Autodrome, Friday, May 6, 2022, in Miami Gardens, Fla. (AP Photo/Darron Cummings)
Angeschlagen: Ferrari-Teamchef Mattia Binotto und Charles Leclerc
DP, AP, Darron Cummings

Nach hoffungsvollem Höhenflug folgt der Horror-Absturz – ein Bild, das nicht nur den bisherigen Saisonverlauf von Ferrari beschreibt, sondern irgendwie auch jedes der vergangenen drei GP-Wochenenden der Scuderia: Drei Mal von Pole gestartet, stand man am Ende drei Mal ohne Siegerpokal da. Mehr noch: Rivale Red Bull holte in dieser Zeit drei Mal so viele Punkte, RB-Star Max Verstappen sogar fünf Mal so viele wie Ferrari-Ass Charles Leclerc.

"Die Zuverlässigkeit ist eine Baustelle“

In der WM-Wertung fehlen dem einstigen souveränen Spitzenreiter bereits 34 Punkte auf Verstappen, der Monegasse ist sogar auf Platz 3 abgeschmiert – nach dem gefühlt dritten Ausfall in Serie: Neben dem enttäuschenden 4. Platz beim Heim-GP in Monaco (trotz Start von Pole) verbuchte Leclerc zwei Nullnummern: In Barcelona stoppte ihn ein Turboladerschaden, in Baku ging in Runde 21 der Motor in Rauch auf – in beiden Fällen führte der 24-Jährige. Teamkollege Carlos Sainz war zu diesem Zeitpunkt schon im Feierabend – Grund: ein Hydraulikschaden in Runde 9.

"Die Zuverlässigkeit ist eine Baustelle“, gab Teamchef Mattia Binotto nach der Doppelnull in Aserbaidschan zu. „Ohne sie gewinnst du keine Rennen.“ Und holst keine Punkte! Mercedes ist trotz Bouncing-Problemen und schwächerem Gesamtpaket nur 38 Zähler hinter Ferrari. Die Statistik zeigt: Die Scuderia ist nach acht Grand Prix das Team, mit den wenigsten Rennkilometern im gesamten Feld.

Startplatzstrafen programmiert

Dabei ist sich das Fahrerlager einig: Ferrari hat seit Saisonbeginn die stärkste Antriebseinheit in der Königsklasse. Und keine schnurrt beim Beschleunigen so sanft, wie selbst Mercedes-Teamchef Toto Wolff schwärmt. Tatsächlich ist Ferrari auf eine Runde kaum zu schlagen: In Aserbaidschan stand Leclerc in der laufenden Saison zum sechsten Mal auf der Pole Position - im achten WM-Lauf.

„Wir haben letztes Jahr mit dem Hybridsystem und diesen Winter mit dem Motor gewaltige Leistungssprünge geschafft“, gibt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto zu und ergänzt: „Es sieht so aus, dass wir jetzt den Preis dafür bezahlen." Heißt: Ferrari hat sich über den Winter vor allem auf die Leistungssteigerung konzentriert – weil die Antriebseinheit gemäß Reglement ab dem Saisonstart nicht mehr weiterentwickelt werden darf. Um die Zuverlässigkeit wollte man sich offenbar erst später kümmern.

Das fällt Ferrari im WM-Kampf nun auf die Füße – und auch den Kundenteams: Sowohl im Haas von Kevin Magnussen als auch im Alfa Romeo von Valtteri Bottas mussten bereits die dritte MGU-H-Antriebseinheit verbaut werden. Mehr sind pro Saison nicht erlaubt - bei einem weiteren Wechsel droht eine Startplatzstrafe. Bei Ferrari haben nach nur acht Rennen sowohl Leclerc als auch Sainz bereits zwei Einheiten von Verbrennungsmotor, Turbolader und MGU-H verbraucht. Startplatzstrafen im weiteren Saisonverlauf sind programmiert.

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Keine kurzfristige Lösung in Sicht

Zwar erlaubt das Reglement trotz Entwicklungsstopp Nachbesserungen bei der Standfestigkeit, doch dazu müssen die Fehlerursachen erst einmal identifiziert werden. Die Gründe für die Ausfälle in Baku kennt man noch nicht. „Dafür müssen wir erst eine Analyse in Maranello durchführen", sagte Binotto. Selbst wenn die Fehlerquellen schnell identifiziert wird: Kurzfristig lässt sich das Zuverlässigkeitsproblem nicht beheben.

Das gab der Ferrari-Teamchef indirekt zu: „Bei uns geht es jetzt primär nicht darum, eine neue Antriebseinheit zu bringen. Wir müssen uns klar werden, wie wir kurzfristig damit umgehen: Sollen wir die Laufzeiten der Teile verkürzen oder die Einsatzparameter ändern?" Im Klartext: Binotto sieht derzeit nur zwei Optionen: Die Leistung freiwillig drosseln oder mehr Motorenteile als erlaubt einsetzen und damit Strafe kassieren. In beiden Fällen ergibt sich ein Wettbewerbsnachteile gegenüber Red Bull, das seine Probleme zum Saisonstart scheinbar in den Griff bekommen hat. Beide Bullen fahren noch mit den ersten Antriebseinheiten.

Auch wenn es noch zu früh ist, Ferrari im Titel-Kampf abzuschreiben: Nach dem Absturz in den vergangenen Rennen und der Achillesferse Zuverlässigkeit dürfte es für die Roten und Leclerc extrem schwer werden, wieder die Sitze der WM-Wertungen zurückzuerobern. (wwi)