Lebensgefährlicher Betrug

Fake-Notarzt in Hessen wochenlang unbemerkt im Einsatz an Patienten

Rettungswagen, Rettungsdienst, Notarzt am 05.06.2022 in Muenchen. Allgemeines Bild. Symbolfoto.
Die Patienten in Not ahnen nicht, dass der Rettungswagen ihnen gar keinen richtigen Arzt bringt (Symbolbild)
Jens Niering, picture alliance / Jens Niering, Jens Niering

Er soll mit dem Leben anderer gespielt haben: Ein Mann, der sich als Notarzt ausgegeben hat – ohne dafür ausgebildet zu sein! In zwei hessischen Landkreisen war der Fake-Mediziner unterwegs, soll hier zahlreiche Einsätze gefahren haben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Mann mit der gefälschten Berufsbezeichnung.

Inkompetenz an Gerät soll falschen Arzt entlarvt haben

Über mehrere Wochen funktionierte der Plan des Mannes ohne medizinische Qualifikation: Rund um die Uhr soll der falsche Notarzt aus Baden-Württemberg im Vogelsbergkreis und dem Main-Kinzig-Kreis unterwegs gewesen sein, verabreichte Medikamente, behandelte Patienten. Als er angeblich eine spezielle Pumpe für Medikamente, einen sogenannten Perfusor, anwenden musste, fiel seine Inkompetenz auch seine Kollegen auf. In den sozialen Netzwerken gab es Posts darüber, dass ein Rettungsdienst-Mitarbeiter erzählt habe, der falsche Arzt habe im Rettungswagen aufgrund seiner Unfähigkeit auf die Hilfe eines Sanitäters zurückgreifen müssen, berichtet die Oberhessische Presse. Die Tweets wurden inzwischen vermutlich aufgrund der laufenden Ermittlungen gelöscht.

Notarztbörse vermittelte den 31-Jährigen

Wie kann so etwas passieren? Wie kann jemand an so einer wichtigen Stelle zum Einsatz kommen, ohne dass er vorher genauestens geprüft wird? Dem 31-Jährigen war es laut Frank Walzer, dem Sprecher des Main-Kinzig-Kreises, „gelungen, sich über eine im Rettungsdienstbereich vielfrequentierte Onlineplattform, die Notarztbörse, bundesweit als Notarzt anzubieten, um auszuhelfen, wenn es in einer Region personell zu akuten Engpässen zu kommen droht.“ Und diesen Engpass gibt es regelmäßig. „Die Not in Mittelhessen ist sehr groß“, bestätigt Erik Björk von der in Schleswig-Holstein ansässigen Notarztbörse auf RTL-Nachfrage. Der Fall sei „sehr unangehm“, wenn man es einfach ausdrücken wolle.

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Kein Einzelfall: Durch falsche Narkoseärztin sterben sogar Patienten!

Es gab keine beglaubigte Facharzt-Urkunde

Doch wie hätte der Fall verhindert werden können? „Unser Job ist es, Geschäftspartner zusammenzubringen“, erklärt Björk. Bei diesem „Match“ in Hessen habe man den Mann, der sich auf freie Dienste gemeldet habe, mit dem Hinweis an das DRK Hessen vermittelt, dass dieser „ganz frisch“ sei. Anders als im Regelfall habe bei dem 31-jährigen „Nicht-Arzt“, so bezeichnet ihn die Notarztbörse nachträglich, keine notariell beglaubigte Facharzturkunde vorgelegen. Da er aufgrund von Personalmangel schnell zum Einsatz kommen musste, habe man den Main-Kinzig-Kreis und den angeblichen Mediziner darauf hingewiesen, die Unterlagen vor dem Dienstantritt vorzulegen bzw. zu prüfen. Ob diese Prüfung stattgefunden hat, „entzieht sich unser Kenntnis“, so heißt es von der Notarztbörse. Ist die personelle Not im Gesundheitswesen Schuld an diesem Fall, sind die Prüfstellen überfordert, wird einfach jeder eingesetzt, wenn es schnell gehen muss?

Dreister Fake-Arzt versucht es mehrfach

In Gelnhausen soll der falsche Arzt dann innerhalb von 24 Stunden direkt zweimal vom Deutschen Roten Kreuz Mittelhessen eingesetzt worden sein. Und der Mann versuchte es ein drittes Mal über die Notarztbörse. Doch die Vermittler werden stutzig: „Bei über 6000 Ärzten in der Kartei entwickeln die Mitarbeiter ein Gefühl“, beschreibt Erik Björk. Da immer noch immer keine Unterlagen bei der Notarztbörse vorliegen, kontaktieren sie die Ärztekammer – und der Verdacht bestätigt sich: Es gibt keine Unterlagen auf den Namen, hier war ein Betrüger am Werk – und an den Patienten! Alle Auftraggeber werden informiert, der Fake-Arzt fliegt auf.

Auch das Deutschen Rote Kreuz sei misstrauisch geworden und habe bei der Notarztbörse wegen fehlender Unterlagen nachgefragt. „Die Person ist umgehend nach Bekanntwerden des Betrugs aus dem Dienst genommen und angezeigt worden“, so Frank Walzer, Sprecher des Main-Kinzig-Kreises, in dem die betrügerischen Fahrten und Einsätze des 31-Jährigen seinen Anfang genommen haben sollen.

Staatsanwaltschaft ermittelt wegen mehrere Delikte

Auch im Vogelsbergkreis habe er über 20 Einsätze gefahren, bestätigt Sprecherin Sabine Galle-Schäfer auf RTL-Nachfrage. Der Vogelsbergkreis werde sich „dafür einsetzen, dass bei der Überprüfung externer Mediziner ein schlankeres und somit schnelleres Verfahren angewandt wird, zumindest dann, wenn ein Notarzt sehr kurzfristig ausfällt und man auf die Dienste Dritter zurückgreifen muss.“

Solche falschen Ärzte seien kein Einzelfall bundesweit, so Galle-Schäfer. Im hessischen Fritzlar hat eine 51-Jährige sogar drei Jahre mit gefälschten Urkunden als Narkoseärztin gearbeitet, ein lebensgefährlicher Irrtum: Menschen starben durch ihre laienhafte Behandlung. Im Mai 2022 wurde die Fake-Ärztin zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ob Patienten durch den falschen Notarzt zu Schaden kamen, soll jetzt die Staatsanwaltschaft klären. Gegenstand des Verfahrens sind laut Gießener Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger unter anderem die Vorwürfe des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen, des Betruges sowie der Urkundenfälschung. Der Main-Kinzig-Kreis hatte am 14. September Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau gestellt. Die Ermittlungen führt nun gebündelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart, da der Verdächtige aus Baden-Württemberg stammt. Alleine eine Urkundenfälschung kann eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren zur Folge haben. Eine große Frage der Betroffenen ist natürlich auch, ob und wenn ja, wie sich die moralische Schuld - die bewusste Gefährdung von Menschenleben - auf einen möglichen Prozess gegen den Fake-Notarzt auswirkt. (gmö)