Enttäuschung bei Klitschko nach Treffen mit Merkel in Berlin
Das hatte sich Vitali Klitschko anders gedacht. Er war am Montag zusammen mit Co-Oppositions-Leader Arseni Jazenjuk zu einem Kurzbesuch in Berlin. Gut, es gab ein paar Bilder für die Kameras mit Angela Merkel, die sich eine Stunde Zeit genommen hatte, um mit den beiden Politikern die Lage in der Ukraine zu erörtern. Eine Geste, ein Zeichen der Sympathie, aber viel mehr war es nicht, während es heute in Kiew zu schweren Straßenschlachten kam. Dass Merkel Sympathien für Klitschko hat und umgekehrt auch, das war bereits bekannt. "Deutschland und die EU werden alles tun, um zu einem positiven Ausgang der Krise beizutragen", erklärte die Bundeskanzlerin staatstragend nach dem Treffen.

Doch es gab keine Zusagen oder Ankündigungen, wie Vitali Klitschko dies gehofft hatte. Seit Wochen fordert er Kontensperrungen und EU-Einreiseverbote für die Mitglieder der Regierung unter Präsident Janukowitsch Er wolle jetzt konkrete Signale, hatte er noch am Sonntag auf dem Maidan erklärt. Doch nichts dergleichen - weder beim Treffen mit der Kanzlerin noch beim Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Klitschko und Jazenjuk kehren mit weitgehend leeren Händen nach Kiew zurück. Jazenjuk ist Chef der Vaterlandspartei und steht nach einem Machtwechsel in Kiew als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten bereit. Wenig Konkretes gab es in den Berliner Gesprächen auch zu möglichen Finanzhilfen der EU. Im Gespräch sind 610 Millionen Euro, die aber an konkrete Reformen in der Ukraine gebunden sind. Was übersetzt wohl heißt, dass diese nach der Absage an das unterschriftsbereit ausgehandelte EU-Assoziierungsabkommens auf Eis liegen und auch nicht als Blanko-Scheck für die Opposition ausgestellt werden. Vielleicht hatte auch die Kanzlerin mehr erwartet. Klitschko und Jazenjuk haben auch nach Monaten des Protests noch immer keine wirkliche Strategie für eine Machtübernahme.
Janukowitsch will Opposition hinhalten
Präsident Janukowitsch dürfte das wohlwollend registriert haben. Vor drei Wochen schienen seine Tage schon fast gezählt, seine Zeit drohte abzulaufen. Die Proteste auf dem Maidan, die seit Ende November andauern, hatten einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Opposition stand kurz davor, ihre wichtigsten Ziele zu erreichen - den Rücktritt des Präsidenten und Neuwahlen. Janukowitsch schasste seinen Premier, kassierte repressive Demonstrationsgesetze und verkündete eine Amnestie, wenn die Opposition ihrerseits zu Zugeständnissen bereit sei. Am letzten Freitag ließ er alle 234 noch inhaftierten Demonstranten der Maidan-Proteste frei, worauf die Opposition das besetzte Bürgermeisteramt sowie einen ersten Teil der Barrikaden an der Gruschewski-Straße räumte. Trotz dieser Gesten misstrauen sich beide Seiten weiter abgrundtief.
Von einer gewissen Entspannung, wie sie Merkel und Steinmeier registriert haben wollen, ist Kiew weit entfernt. Ganz zu schweigen von einer möglichen Lösung des Konflikts. Die Aktivisten halten den Maidan nicht seit zwölf Wochen besetzt, um sich jetzt mit Mini-Fortschritten nach Hause schicken zu lassen. Heute kam es sogar zu schweren Straßenschlachten in Kiew. Im Marienpark nahe dem Parlament warfen vermummte Demonstranten Steine auf Sicherheitskräfte und schossen Feuerwerkskörper ab. Die Polizei setzte Tränengas ein und feuert mit Gummigeschossen. Nach Angaben von Regierungsgegnern starben drei Demonstranten. Außerdem ein Sicherheitsbeamter. Mindestens drei Polizisten wurden verletzt, zwei Lastwagen in Brand gesetzt.
Klitschko und Jazenjuk wollen eine Veränderung des politischen Systems und der Weg dahin führe nur über eine Verfassungsänderung, das haben sie auch in Berlin noch einmal deutlich gemacht. Diese Verfassungsänderung müsse die Vollmachten des Präsidenten beschneiden und die Rolle von Parlament und Regierung aufwerten. Hier sei Tempo und Druck erforderlich. "Janukowitsch will uns in endlosen Verhandlungen hinhalten", so ihre Sorge auch in Berlin.
Heute wollen sie im ukrainischen Parlament einen entsprechenden Antrag einbringen und über die Wiedereinführung der Verfassung 2004 abstimmen lassen. Dass dies gelingt und ihnen eine Mehrheit der Werchowna Rada folgt, gilt als wenig wahrscheinlich.
Das Patt in Kiew ist längst nicht überwunden. Teile der Opposition befürchten weiterhin eine gewaltsame Lösung und eine Einmischung Moskaus. Putin werde das Ende der Olympischen Spiele in Sotschi abwarten und dann einen härteren Kurs einschlagen. In Kiew gibt es seit Wochen Gerüchte, dass russische Spezialeinheiten an den Grenzen bereitstehen, um jederzeit eingreifen zu können. Ein Berater Putins spekuliert öffentlich über denkbare Szenarien einer Föderalisierung der Ukraine mit einem pro-russischen und einem pro-westlichen Teil.
Parallel wird weiter versucht, eine Kandidatur Klitschkos bei den nächsten Präsidentenwahlen aus formalen Gründen zu verhindern. Da er lange in Deutschland gewohnt und dort auch Steuern gezahlt habe, könne er nach einer Gesetzesänderung vom Herbst 2013 nicht für das höchste Staatsamt kandidieren, sagen seine Gegner. Ob das so hieb- und stichfest ist müsste im Zweifel juristisch geklärt werden. Klitschko jedenfalls hat am Wochenende vorsorglich erklärt, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung mehr für Deutschland habe und diese auch nicht mehr anstrebe.
Letzten Umfragen zufolge, hätte er gute Aussichten diese Wahlen zu gewinnen. Demzufolge gäbe es zwar keine absolute Mehrheit für einen der Kandidaten, aber bei der dann folgenden Stichwahl könne er mit 64 Prozent rechnen und Janukowitsch schlagen, der nur auf 36 Prozent kommen würde.