Gynäkologin erklärt, was Frauen über die Volkskrankheit wissen sollten
Wie sich ein geschwollenes Auge als Endometriose entpuppte
von Dr. med. Judith Bildau
Moderatorin Lola Weippert berichtet in den sozialen Medien regelmäßig davon, wie sehr sie durch ihre Endometriose im Alltag eingeschränkt ist, Model und Influencerin Anna Adamyan nimmt seit einigen Jahren ihre FollowerInnen mit auf ihre Kinderwunsch-Reise, die wegen ihrer Endometriose oft sehr beschwerlich war. Nach mehreren künstlichen Befruchtungen ist sie nun schwanger und kann ihr Glück kaum fassen. Da Adamyan sämtliche Höhen und Tiefen der Endometriose kennt, macht sie sich dafür stark, dass die Erkrankung endlich jene Beachtung bekommt, die sie benötigt. Nach wie vor ist in der Gesellschaft nämlich recht wenig über Endometriose bekannt, zudem geistern immer wieder Schreckensnachrichten durch die Medien, sogar als „Modeerscheinung“ wurde die Erkrankung bereits abgetan.
Aber es tut sich was - und das ist so wichtig! Denn wie Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron Anfang letzten Jahres ganz richtig formulierte: „Die Endometriose ist kein Frauenproblem, sie ist ein Gesellschaftsproblem!“ Mit diesen Worten kündigte er eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Krankheit an. Eine Krankheit, die Frauen verschiedenster Altersstufen betrifft, ist jetzt also zum Politikum geworden.
Endometriose - was ist das eigentlich genau?
Bei Endometriose handelt es sich um eine chronische Erkrankung, bei der sich Schleimhautzellen, die den Zellen der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnlich sind, außerhalb der Gebärmutter befinden. Der Name Endometriose leitet sich vom Begriff Endometrium, Gebärmutterschleimhaut, ab. Genauso wie die Gebärmutterschleimhaut schwellen die Endometrioseherde mit dem weiblichen Zyklus an und bluten schließlich ab. Die Herde können sich im gesamten Becken und Bauchraum befinden. Meist sind sie als Endometrioszysten an den Eierstöcken oder als Herde in der Scheide, am Darm und der Harnblase zu finden. Je nach Lage können sie verschiedene Beschwerden verursachen.
Meist beginnen sie mit Schmerzen und Unwohlsein in der zweiten Zyklushälfte, da die Herde, ebenso wie die Gebärmutterschleimhaut, in diesem Zeitraum anschwellen. Bluten sie während der Menstruation ab, können betroffene Mädchen und Frauen unter unerträglichen Schmerzen leiden, die selbst mit Schmerzmitteln kaum zu lindern sind. Sitzen die Herde im Darm, kann es zu einem schmerzhaften Stuhlgang, Durchfall und Verstopfung kommen. Bei Befall der Harnblase ist womöglich der Urin blutig und das Wasserlassen schmerzhaft. Da es mit der Zeit durch die Endometrioseherde zu einer chronischen Entzündungsreaktion sowie Verwachsungen kommen kann, müssen die Beschwerden nicht mehr nur auf die zweite Zyklushälfte beschränkt bleiben, sondern können Betroffenen täglich Probleme bereiten. Die genaue Ursache für die Entstehung einer Endometriose ist noch nicht geklärt. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, von denen aber bislang keiner sicher belegt ist. Möglicherweise handelt es sich um eine Kombination verschiedener Ursachen.
Geschwollenes Augenlid entpuppt sich als Endometriose
Ich selbst habe in meinem Medizinstudium noch sehr wenig über die Krankheit Endometriose gelernt. Erst durch die Facharztausbildung und die Arbeit in einem Endometriosezentrum bin ich mehr und mehr damit in Kontakt gekommen. Ich habe gesehen, wie bunt das Erkrankungsbild sein kann und wie schwierig dadurch eine Diagnose oft ist. Ich erinnere mich an eine Patientin in der Endometriose-Sprechstunde, deren Augenlid zyklisch anschwoll. Ein jahrelanger Ärztemarathon ergab keine Erklärung dafür, dass ihre Sicht fast die Hälfte des Monats eingeschränkt war. Eine Biopsie des Gewebes ergab schließlich das Vorhandensein einer Endometriose.
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Die Dunkelziffer der Erkrankten ist hoch
Wie viele Frauen zwischen Pubertät und Wechseljahre tatsächlich unter einer Endometriose leiden, ist nicht sicher. Man geht davon aus, dass zwischen vier und zwölf Prozent aller fertilen Frauen davon betroffen sind, die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. Schätzungsweise vergehen bis zu zehn Jahre, bis eine betroffene Frau die richtige Diagnose erhält.
Viele Frauen glauben lange Zeit, dass es normal sei, starke Schmerzen vor und während der Periode zu haben. Und auch wenn sie das Problem bei ihrer betreuenden Frauenärztin oder ihrem Frauenarzt ansprechen, heißt das noch lange nicht, dass sie Hilfe erhalten, denn viele MedizinerInnen sind noch nicht vertraut mit dem Krankheitsbild der Endometriose. Erschwerend kommt hinzu, dass eine eindeutige Diagnose nur mittels Operation erfolgen kann. Zwar kann eine Ultraschalluntersuchung oder ein MRT die Verdachtsdiagnose erhärten, aber nicht sichern. Dazu wird in der Regel eine Bauchspiegelung in Vollnarkose mit Probenentnahme benötigt. Vor einer solch invasiven Maßnahme schrecken viele Frauen verständlicherweise zurück.
Und so ist es nicht überraschend, dass einige Betroffene erst die Diagnose erhalten, wenn ihnen die Erfüllung ihres Kinderwunsches verwehrt bleibt. Denn Endometriose kann zu Verwachsungen und Verklebungen der Eileiter führen und so das Eintreten einer spontanen Schwangerschaft verhindern. Schätzungsweise 30% aller Kinderwunschpatientinnen leiden ursächlich unter einer Endometriose.
Endlich neue diagnostische Möglichkeiten
Dass es bislang so wenig Möglichkeiten gibt, eine Endometriose zu diagnostizieren, liegt sicherlich daran, dass das Interesse an der Krankheit bislang eher gering war. Genauer gesagt: Es wurde wenig Geld in Forschungsprojekte investiert, die die Ursachenfindung, die Diagnose und auch die Therapie hätten voranbringen können. Doch es gibt Hoffnung! Seit kurzer Zeit kann ein Speicheltest herausfinden, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Frau mit Beschwerden tatsächlich an einer Endometriose leidet.
Und das sogar ziemlich genau: Fällt der Test positiv aus, hat die Patientin zu 97% (Sensitivität = 97%) tatsächlich eine Endometriose. Ist der Test negativ, so kann sie davon ausgehen, nicht daran zu leiden (Spezifität = 100%). Also ein echter Gamechanger in der Diagnostik! Leider wird der Test bislang nicht routinemäßig von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Mein Tipp: Hat Ihre Frauenärztin den Verdacht, dass Sie an einer Endometriose leiden, kann sie einen Antrag auf Kostenübernahme bei Ihrer Krankenkasse stellen.
Und auch neue therapeutische Möglichkeiten
Aber nicht nur bei der Diagnostik gibt es Lichtblicke, auch die Therapien entwickeln sich weiter. Eine jüngst veröffentlichte Studie aus Amerika konnte sogar zeigen, dass Endometriosezellen völlig anders auf Hormone reagieren und mit dem Immunsystem kommunizieren, als es Gebärmutterschleimhautzellen tun. In Japan läuft gerade eine klinische Studie mit Antikörpern. Wurde bislang meist eine Pille verschrieben, um die Beschwerden zu linden, können diese neuen Erkenntnisse dazu führen, dass es bald ganz andere Therapiemöglichkeiten gibt - wirklich gute Neuigkeiten für alle Betroffenen!
Zusammen sind wir stark!
Das Beispiel Endometriose zeigt deutlich, was passiert, wenn das Thema Frauengesundheit aus der Tabuzone geholt wird und Kräfte gebündelt werden: Forschung findet statt, neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten werden gefunden. Genau da sollten wir jetzt – zusammen - weiter machen!