Ukraine-Krieg: Wissenschaftler erklärt Wahrnehmung der Flüchtlingsbewegungen
Zuwanderung: Sind uns Ukrainer lieber als Geflüchtete aus Nahost?

Die Hilfsbereitschaft der Menschen in Europa und Deutschland ist nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine riesig – ob es nun um Spendenaktionen oder um die Unterbringung von Geflüchteten geht. Bei manchen werden dennoch Erinnerungen an die Zuwanderungswelle 2015/16 wach. Nach anfänglicher Begeisterung schlug damals die Stimmung um. Ist etwas Ähnliches wieder denkbar? Dr. Benjamin Etzold vom Internationalen Zentrum für Konfliktforschung in Bonn ordnet ein.
Lese-Tipp: Alle aktuellen Informationen rund um den Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit im Liveticker
Droht Stimmungswandel wie 2016?

Sie war das große Streitthema der Jahre 2015 und 2016: Die „Flüchtlingskrise“. Vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kamen bis Sommer 2016 rund 1,4 Millionen Geflüchtete nach Deutschland. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine kamen bislang mehr als 250.000 Menschen nach Deutschland. Und die Solidarität der Bevölkerung ist weiterhin hoch. Droht die Stimmung zu kippen wie vor sechs Jahren?
„Nein“, meint Benjamin Etzold vom Internationalen Zentrum für Konfliktforschung (BICC). „Damals wurde ein Stimmungswandel von rechten Parteien herbeigeführt und Ängste geschürt. Heute scheint es, als würde die Zivilgesellschaft so etwas nicht zulassen“, sagt der Wissenschaftler.
Unterschied zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Syrien?
Etzold bestätigt aber, dass es eine unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Zuwanderungswellen in Deutschland gibt. „Damals gab es zwar ähnliche Bilder des Krieges und der Fluchtbewegungen, aber der Konflikt heute und die Gründe, warum Menschen nach Deutschland fliehen, sind für viele heute einfacher nachzuvollziehen. Betroffenheit entsteht über Bilder, die in den Medien vermittelt werden. Und deshalb haben die Medien auch so eine große Verantwortung“, erklärt Etzold.
Zudem spiele die räumliche Nähe laut Etzold eine Rolle „2015/16 sind die Menschen auf langen Routen über das Mittelmeer oder den Balkan nach Europa gekommen. Heute ist diese Flüchtlingssituation eine andere.“ Der Experte sieht daneben die Politik in einer anderen Position als 2015. „Unterschiede liegend auch in der bemerkenswerten Schnelligkeit, in der die Politik handelt“, so Etzold. Ein starkes Krisenmanagement sei kurzfristig gefragt. „Mittelfristig sind Themen wie Sprachkurse oder Schulbildung für geflüchtete Kinder wichtig. Und auf lange Sicht ist spannend: Kehren die Frauen und Kinder zurück oder kommen die Ehemänner auch nach Deutschland?“
Wie genau sich der Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine nach Deutschland und Europa entwickelt, kann auch Benjamin Etzold nicht prognostizieren. Entscheidend sei die Lage auf den Schlachtfeldern der Ukraine, so der Wissenschaftler. Fest steht, dass Solidarität und Hilfsbereitschaft auch weiterhin essenziell im Umgang mit Geflüchteten sein werden.