DFB-Geste gefeiert, aber ...

Dieses Schweigen bricht die Macht der Fifa nicht

DFB-Spieler beim Mannschaftsfoto
Die DFB-Spieler beim Mannschaftsfoto
Imago Sportfotodienst

Ein Kommentar von Tobias Nordmann

Die Fifa hatte wohl doch Angst, dass ihre Macht nicht reicht, um den deutschen Fußball in die Knie zu zwingen. Als sich die Nationalmannschaft zum Foto vor dem WM-Auftaktspiel gegen Japan aufstellte, setzte die Weltregie auf andere Szenen. Doch das, was sich die DFB-Spieler als Protest gegen die mafiöse Verbotspolitik mit „Druck“ und „Einschüchterungen“ (so DFB-Präsident Bernd Neuendorf) ausgedacht hatte, dürften der Weltverband und sein so aggressiver und von jeglichen Moralvorstellungen enthemmte Boss Gianni Infantino sehr erleichtert zur Kenntnis genommen. Keine „One Love“-Binde am Arm von Kapitän Manuel Neuer - nur an dem der deutschen Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der Tribüne. Auch sonst kein Regenbogen.

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Nach den ersten WM-Tagen im dauerhaften Eskalations-Modus war die nächste Stufe befürchtet worden. Nachdem der DFB und sechs weitere europäische Verbände unter dem als massiv beschriebenen Fifa-Druck eingeknickt waren, was sie selbst anders sehen und öffentlich bewerben, hatte der deutsche Verband seine Rhetorik von Enttäuschung und Wut nach heftiger Kritik aus der Heimat wieder auf vorsichtige Attacke umgeschaltet. Die Worte von DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Bundestrainer Hansi Flick vor dem ersten Anpfiff hatten nahegelegt, dass es ein Zeichen gegen die Meinungs-“Zensur“ der Fifa geben würde. Doch wieder waren die Erwartungen in der Öffentlichkeit größer als die Bewertung der Taten.

Was war das jetzt?

Die deutschen Spieler hatten sich beim Mannschaftsfoto kollektiv die Hand vor den Mund gehalten - wer uns die „One Love“-Binde verbietet, der verbietet uns den Mund, so sollte die Geste verstanden werden. Via Twitter gab es vom DFB dazu die passende Erklärung. Und kaum war diese Geste in der Welt - per Foto, nicht im Live-Bild, gab es in den sozialen Medien einen wilden Meinungskrieg (ja, Obacht mit diesem Wort in diesen Zeiten), ob das nun ein starkes, ein schwaches oder sogar ein erbärmliches Zeichen der deutschen Fußballer war.

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Die Bewertung dessen ist eine Frage der Perspektive. Ja, besonders mutig wirkt die Aktion nicht, was wäre die Nationalmannschaft gefeiert worden, wenn sie doch die Binde am Arm getragen hätte. Am Arm von Neuer oder aber an den Armen der anderen zehn Fußballer. Was wäre der (ja, zu bemitleidenswerte) Schiedsrichter in eine Verlegenheit gestürzt worden, die Sanktionen der Fifa durchzusetzen. Und auf welcher Grundlage überhaupt. Es wäre wahnsinnig viel Potenzial in dieser Aktion gewesen. Und egal, was dem deutschen Team gedroht hätte, es hätte ja nur einen Verlierer gegeben: die Fifa und ihr blamierter Boss Infantino, der im Stadion zu Gast war.

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Historische Watschn für die Fifa verpasst

Nur zu gerne hätte man die Wut-Reaktion des Weltverbands erwartet. Deutschland als „Ultima Ratio“ aus dem Turnier werfen? Nichts hätte dieser WM, die die Fifa auf unerträgliche Weise heroisiert, mehr geschadet als ein solcher Ausschluss. Und noch weitergedacht: Hätten die sechs anderen Nationen nachgezogen, wäre Infantino nicht der Held und Fußball-Heilige, der er gerne sein möchte, gewesen, sondern in die Geschichtsbücher des Sports als Verantwortlicher für das größte und auch peinlichste Scheitern eingegangen. Ein höchst verdienter Platz nach all den Skandalen der vergangenen Wochen, Monate, Jahre. So aber darf sich Infantino als Imperator fühlen, von den Gladiatoren in der Arena angezählt, jedoch nicht in seiner Macht beschnitten.

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Aber war das Zeichen nun wirklich zu schwach? Kann man es nicht auch als den besten Kompromiss in einem Machtspiel mit unbekannten Sanktionen und Drohungen sehen? Doch, das kann man natürlich. Die Botschaft ist unmissverständlich, das Bild in der Welt. Im Ausland wird das Team gefeiert. Die internationalen Medien überhäufen die Mannschaft mit Lob. Ja, die Geste ist auf ewig in der Welt und wirkt nach. Ebenso wie das der schweigenden Iraner bei der Nationalhymne. Als Protest gegen das kaltblütige Regime in der Heimat - mit nicht absehbarer Folgen und Repressionen (trotz aller Beteuerungen, dass es keine geben wird). Und ja, wenn man diese beiden Formen des Protests gegeneinander scheint, dann verliert Deutschland, dann wirkt die Aktion mutlos - trotz eines Zeichens, das zumindest eines nicht ist: erbärmlich.