Die Gefahr vor der eigenen Haustür
Kommt die nächste Pandemie aus Deutschland?

von Lisa-Marie Siewert
Wann haben Sie zuletzt eine Fledermaus gesehen und gedacht: Corona-Biest! Bei mir war das erst vor kurzem der Fall. Ein verwirrtes Flattervieh schwirrte mitten am Tage über mir herum. Eigentlich wollte ich gerade nur einen gemütlichen Spaziergang durch die niedersächsische Moorlandschaft machen. Vor zwei Jahren hätte ich wohl versucht, das arme Tier einzufangen. Jetzt dachte ich: „Besser nicht, wer weiß, welche Krankheit das Ding hat“ und spazierte von Dannen. Direkt im Anschluss kehrte ich in den Bio-Hofladen meines Vertrauens ein. Und welch ein Glück: Ganze Hühnchen im Angebot – das Kühlregal war berstend voll. Denn kurz zuvor war die Stallpflicht für Geflügel ausgerufen worden: Vogelgrippe-Gefahr. Auch Christian Drosten warnte erst kürzlich, vor den Gefahren vor der eigenen Haustür. Sie ahnen, worauf ich hinaus will: Die Fledermaus ist nämlich gar nicht das Problem.
Das sind die weltweiten Zoonosen-Risikogebiete

Schauen Sie sich diese Karte einmal genauer an. Erschienen ist sie Anfang 2021 im Fleischatlas der „Heinrich-Böll-Stiftung“. Von „Zoonosen“ spricht man, wenn ein tierischer Krankheitserreger auf den Menschen überspringt (Übrigens geht das auch umgekehrt! Das nächste Mal husten Sie also ihrer Katze nicht direkt ins Gesicht!). Auf dieser Weltkarte sehen wir, wie erwartet, Gebiete in Afrika, Südamerika oder Asien. Klischeehaft gesagt dort, wo (nach unserem Geschmack) exotische Tiere auf der Speisekarte stehen oder Lebensräume wie Regenwälder durch den Menschen verschwinden. Doch auf der Karte leuchtet auch ein uns wohl bekanntes Fleckchen Erde auf: Nord- und Westdeutschland. Wir sind sicherlich nicht die Kornkammer der Welt. Dafür aber – Pardon- der Sauladen. Allein in Niedersachsen leben rund acht Millionen Schweine, 80 Millionen Hühner und mehr als zwei Millionen Rinder – Massentierhaltung auf engstem Raum. Deshalb sind Zoonosen hier genauso wahrscheinlich wie auf einem Tiermarkt in Wuhan.
"Corona-Viren gibt es überall" - wie ein Journalist loszog, um Pandemien zu verstehen
Um das besser zu verstehen, habe ich mit dem Journalisten Philipp Kohlhöfer telefoniert. In seinem neuen Buch „Pandemien – Wie Viren die Welt verändern“ beschreibt er die vergangenen Krankheitswellen, ihre Ursachen und ihre Auswirkungen. Fast zwei Jahre hat er sich mit kaum einem anderen Thema beschäftigt. Und zieht mir direkt erst mal den Fledermaus-Zahn: „Viren, die direkt von Fledermäusen auf den Menschen springen, sind sehr selten, etwa bei Tollwut oder bei Flughunden ein Virus namens „Nipah“ – auch sehr selten. Fledermäuse sind für die Ökosysteme ziemlich wichtige Tiere. Jede Zoonose braucht eine Gelegenheit, und diese Gelegenheiten schaffen wir Menschen selbst.“ Grundsätzlich gebe es etwa Coronaviren überall: „In jedem Schmetterling in Brandenburg, in jedem Hund in Bayern.“ Probleme mit Zoonosen gibt es auch in Deutschland immer wieder. Aktuell steigt etwa die Übertragung von „Hantaviren“ von Mäusen auf den Menschen. In der Vergangenheit machten „Bornaviren“ Schlagzeilen, die Hörnchen-Liebhaber von ihren ungewöhnlichen Haustieren bekommen hatten.
"Wir Menschen tun so, als ob wir außerhalb des Ökosystems stehen"
Kohlhöfer erklärt mir, dass sich unterschiedliche Ökosysteme gegenseitig im Schach halten. Das Problem gilt dann aber nicht nur für die Zerstörung exotischen Lebensraums, sondern auch für Massentierhaltung in Deutschland: In dem Moment, in dem wir Monokulturen schaffen, fällt auch die Vielfalt der Viren logischerweise weg. Dominieren nur wenige Viren-Stämme, haben diese ein leichtes Spiel. Mein günstiges Bio-Hühnchen ist dabei eher ein gefiederter Unglücksbote. „Wir bauen uns die größten Inkubatoren, also Brutstätten für Viren“, so Kohlhöfer. Vogelgrippe-Viren können schwer an den Menschen andocken, im Schwein wäre jedoch wieder eine Verschmelzung zu einem neuen, für Menschen potentiell gefährlichen Virus möglich. Und damit auch die nächste Pandemie. „Wir Menschen müssten begreifen, dass wir nicht außerhalb dieser Ökosysteme stehen. Wir sind ein Teil davon.“ Und nicht die Wildtiere sind das größte Risiko, sondern die von uns geschaffene Massentierhaltung.
Glück im Unglück

Übersprünge von Tiere auf Menschen sind keine Seltenheit. Dass sich SARS und MERS in den letzten 20 Jahren nicht ebenfalls zu einer globalen Pandemie ausgebildet haben, liegt laut Philipp Kohlhöfer vor allem daran, dass bei SARS alle Infizierten umgehend isoliert wurden und die MERS-Viren sich so tief in der Lunge ansiedeln und gleichzeitig so viel tödlicher als SARS-COV-2 sind, dass eine schnelle Übertragung wie in der aktuellen Pandemie nicht möglich war. Doch das Ganze war vor allem eines: Glück. Historisch betrachtet ist die aktuelle Pandemie nicht die erste globale Seuche. Wie sie entstehen, was sie in der Gesellschaft auslösen und wie wir sie bekämpfen können, darüber schreibt Philipp Kohlhöfer in seinem Buch.
Reden wir lieber übers Wetter...
...oder vielleicht besser doch nicht? Laut Philipp Kohlhöfer ist nämlich auch der Klimawandel auch ein Faktor. Krankheiten wie Malaria könnten sich durch den Temperaturanstieg in Deutschland ebenfalls wieder mehr verbreiten. Die Asiatische Tigermücke hat es sich inzwischen auch in Teilen Deutschlands gemütlich gemacht. Aktuell gibt es keinen hundertprozentigen Schutz gegen Malaria, auch wenn eine Impfung von der WHO zugelassen ist. Diese Prophylaxe wirkt aber nur zu 30 Prozent.
Keine Sorge - hier kommt ein (kleiner) Lichtblick
Was aber für eine erneute Pandemie immer entscheidend ist, ist nicht nur das „Wie“, sondern auch das „Wo“. Und da beruhigt mich Kohlhöfer dann doch: „Deutschland hat eine gute Infrastruktur.“ Ungewöhnliche Krankheitsfälle, vor allem wenn sie in sogenannten „Clustern“ auftreten, werden schnell vom Gesundheitssystem erkannt. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit kümmert sich in Deutschland um die Zoonosen, die über Lebensmittel übertragen werden. Mir schreibt man: „Zoonoseerreger sind in Tierpopulationen weit verbreitet und können von Nutztieren, die in der Regel selbst keine Anzeichen einer Infektion oder Erkrankung aufweisen, z. B. während der Schlachtung und Weiterverarbeitung auf das Fleisch übertragen werden. Mit Zoonoseerregern kontaminierte Lebensmittel stellen eine wichtige Infektionsquelle für den Menschen dar. Typische über Lebensmittel übertragbare Zoonoseerreger sind u. a. Salmonellen und Campylobacter-Bakterien.“ Die Überwachung der Lebensmittelketten sei extrem streng. Wichtig sei vor allem, rohes Fleisch gut zu waschen und auf eine vernünftige Küchenhygiene zu achten. Nur so kann man das Risiko auch selbst absolut minimieren. Es liegt also auch in dem Bereich in unserer (gewaschenen) Hand.
"Besonders wachsam sein"
In Teilen Niedersachsens wurde vor wenigen Tagen erneut die Stallpflicht für Geflügel angeordnet. „Wir hoffen, dass wir mit diesen regional und zeitlich begrenzten Maßnahmen den Übergriff der Vogelgrippe auf unsere Geflügelhaltungen verhindern können. Es ist unerlässlich, dass wir in Geflügelhaltungen die Biosicherheit einhalten“, sagte Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). Es gehe nun darum, besonders wachsam zu sein. Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen – außer vielleicht: Haben Sie keine Angst vor Fledermäusen.