Nach einem Routineeingriff fiel der Junge ins Koma

David (1) stirbt nach Ärztepfusch - Eltern kämpfen: "Jeder Tag ohne Gerechtigkeit ist ein Alptraum"

Davids Eltern warten noch immer auf Gerechtigkeit.
Der kleine David starb vor genau vier Jahren nach einem Routineeingriff im Krankenhaus.
privat

von Petra Schaffarzik

Der kleine David starb nach einem Routineeingriff in einem Salzburger Krankenhaus. Ein Chirurg und ein Anästhesist hatten das 17 Monate alte Kleinkind unter Narkose operiert. Doch der Junge war bei der Operation nicht nüchtern, er atmete Erbrochenes ein. Elf Tage später war er tot. Die verzweifelten Eltern reichten Klage gegen die Ärzte ein. Der Prozess zieht sich nun schon über Jahre. Davids Eltern wollen endlich abschließen.

Operation wegen eines aufgekratzten Blutschwämmchens

Der Junge war immer "topfit und gesund" sagen seine Eltern. .
Edda und Thomas mit ihrem geliebten David.
privat

Vor fast genau vier Jahren, am Abend des 16. April 2018 stolperte David beim Spielen zu Hause über ein Sofa. Dabei kratzte er sich ein Blutschwämmchen auf der Wange auf, es begann stark zu bluten. Papa Thomas G. versorgte die Wunde, doch aus Angst vor einer Infektion brachten die Eltern ihren kleinen Sohn vorsichtshalber ins Krankenhaus. Hier wurde der Kleine zunächst konservativ behandelt. Die Dienst habende Ärztin versorgte die Wunde und soll zu einer Operation erst am nächsten Tag geraten haben. Denn seine Eltern hatten mehrfach darauf hingewiesen, dass David erst um 19 Uhr zu Abend gegessen hatte: Kartoffelpüree, rote Rüben und Erdbeerjoghurt.

Doch der dazu geholte Oberarzt soll die Bedenken der Ärztin und der Eltern beiseite gewischt haben. Wegen eines möglichen angeblichen „bedrohlichen Blutverlustes“ habe er sofort operieren wollen. Und auch der zuständige Anästhesist soll den Eltern gesagt haben, das Risiko bei dieser Operation sei so groß „wie eine Busfahrt von Salzburg nach Bischofshofen.“ Thomas G., Davids Vater, sagt im RTL-Interview: „Die nahmen das alles auf die leichte Schulter.“

David stirbt nach der Operation - Eltern beklagen herzlosen Umgang

Nur knapp zwei Stunden nach seinem Abendessen wird David operiert. Ein fataler Fehler wie sich herausstellen sollte. Um 20:45 Uhr kommt der Sohn von Edda und Thomas in den OP, ihnen wird gesagt: in 20 Minuten haben Sie ihn wieder. Doch aus den Minuten wurden Stunden. Stunden, in denen die Eltern durch eine Milchglasscheibe hilflos mit ansehen mussten, wie aufgeregtes Klinikpersonal in dem Operationssaal ein- und ausging. Niemand kam anscheinend auf den Gedanken, die Eltern über das, was im OP-Saal vor sich ging, zu informieren. Erst gegen Mitternacht sei der Anästhesist zu den Eltern gekommen. Sie erinnern sich genau an seine Worte: „Das Gute ist, das Kind ist nicht tot.“ So schildern es die immer noch fassungslosen Eltern.

Unter Vollnarkose hatte der Junge sein Erbrochenes eingeatmet, bekam 25 Minuten lang keine Luft. Tagelang lag David danach im Koma. Seine Eltern und Großeltern waren in dieser Zeit ständig bei ihm, campierten fast im Vorraum der Intensivstation, denn das Zimmer, das ihnen angeboten wurde, war viel zu weit weg. „Ich wollte doch von meinem Kind nicht weg,“ sagt Mutter Edda P. Immer wieder kommen ihr während des Interviews die Tränen.

Am 27. April dann wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet. Nach elf Tagen im Koma stirbt David auf der Intensivstation des Krankenhauses.

Anzeige:

Empfehlungen unserer Partner

Gutachterin attestiert Verkettung von Fehlern und Nachlässigkeiten - "Schockstarre" bei Verantwortlichen

Seine Eltern wollen endlich Frieden finden.
Der Prozess um den tragischen Tod des Jungen dauert noch immer an.
privat

Für die Eltern beginnt ein jahrelanger Kampf um Gerechtigkeit. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Ärzte. Doch das Verfahren zieht sich hin. Erst 14 Monate nach der verhängnisvollen Operation suspendiert das Salzburger Krankenhaus den Kinderchirurgen und den Anästhesisten. Im Dezember 2019 endlich geht der Fall vor Gericht. Die Ärzte sind der fahrlässigen Tötung angeklagt. Mehrfach wird der Prozess vertagt – wegen mangelhafter Gutachten, Zeugen, die nicht zum verabredeten Termin erschienen, und nicht zuletzt coronabedingt zieht sich das Verfahren in die Länge. Die neue, vom Gericht bestellte Gutachterin, Karin Becke-Jakob, Chefärztin der Abteilung für Anästhesie der Kinderklinik Hallerwiese in Nürnberg stellt in ihrem Gutachten eine Verkettung von Fehlern und Nachlässigkeiten während und nach Davids Operation fest:

So sei eine Sechs-Stunden-Frist zwischen Nahrungsaufnahme und Narkose – abgesehen von indizierten Notfällen – internationaler Standard. Sie kritisierte auch die mangelhafte Kommunikation unter den beiden angeklagten Ärzten und ihr Verhalten vor allem nach Eintritt der Komplikationen. Das Anlegen einer Sauerstoffmaske sei nicht sofort erfolgt, ebenso nicht ein sofortiges Absaugen der Aspiration. Erst eine herbeigerufene Ärztin, die eine „Schockstarre“ bei den Beschuldigten wahrgenommen habe, habe die Notfallmaßnahmen „lege artis“ („nach den Regeln der Kunst“, Anmerkung der Redaktion) gestartet, und den kleinen Patienten intubiert.

Zudem sei das Monitoring des Patienten mangelhaft gewesen, auf ein EKG sei verzichtet worden. Ab 21:04 Uhr sei es zu einem rasch fortschreitenden schweren Sauerstoffmangel gekommen. Eine Zwei-Personen-Beatmung sei nicht erfolgt. Von 21:07 bis 21:08 Uhr habe es keine Aufzeichnung von Vitalparametern gegeben. „Es hätte früher mit Reanimationsmaßnahmen begonnen werden können“, so die Gutachterin.

Verurteilt wegen grob fahrlässiger Tötung - Doch das Urteil ist nicht rechtskräftig

Das Salzburger Gericht verkündete im vergangenen September sein Urteil: Der Anästhesist wurde wegen grob fahrlässiger Tötung erstinstanzlich zu 16 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, das berichtet die österreichische Agentur APA. Der Chirurg erhielt acht Monate auf Bewährung. Doch: beide Ärzte legten Berufung ein. Damit sind die Urteile noch nicht rechtskräftig. Für Edda und Thomas ein unerträglicher Zustand. Die Berufung und die damit erneute Verlängerung des Prozesses sind für das Lehrerpaar eine Qual: „Für uns ist jeder weitere Tag ein Alptraum, der uns daran hindert, die Trauer zu verarbeiten.“ Sie sind der Möglichkeit beraubt abzuschließen und eine Art Frieden zu finden. Dennoch sagen sie: „Wir sind Kämpfer und lassen nicht locker – wir wissen, es ist so viel Falsches passiert! Wir wollen Gerechtigkeit und andere Menschen vor solchen Fehlern schützen. Damals hätten wir eine Entschuldigung gebraucht, ein ehrliches Gespräch mit den Beteiligten des Krankenhauses, dass Fehler zugegeben werden. Heute ist das Wichtigste für uns, dass das Urteil gegen die Ärzte endlich bestätigt wird und wir einen Abschluss finden.“

Laut "Heute.at" arbeitete der Anästhesist tatsächlich wieder, zuletzt in Linz. Dort flog er vor wenigen Monaten jedoch raus, "aus nicht-fachlichen Gründen", wie es hieß. Belästigungs-Vorwürfe stünden im Raum, trotzdem soll er sich nun sogar als Polizeiarzt beworben haben. Der Chirurg sei nach seiner Suspendierung in Salzburg bei einem Pharma-Unternehmen untergekommen.

Immer im Spagat zwischen Trauer und Hoffnung

Ihr David ist und bleibt die "Liebe ihres Lebens".
Davids Eltern: Im "ständigen Spagat zwischen Trauer und Hoffnung auf die Zukunft".
privat

Am 27. April jährt sich Davids Todestag zum vierten Mal. Die vergangenen vier Jahre waren eine harte Zeit für seine Eltern Edda (38) und Thomas (40). Sie sind mittlerweile wieder Eltern geworden. Im „Spagat zwischen Trauer und Hoffnung auf die Zukunft“ sagen sie, sind ihre drei Buben für sie ein Zeichen dass das Leben weitergeht.

Und Edda fügt hinzu: „Ich hoffe auf eine höhere Gerechtigkeit, wenn schon die Justiz nicht dafür sorgen kann.“