R-Wert wieder über 1,0, mehr Neuinfektionen als in Vorwoche

Corona-Meldezahlen steigen: Das Aus für Lockdown-Lockerungen?

 FOTOMONTAGE, Coronavirus und geschlossenes Vorhängeschloss mit Aufschrift Lockdown *** PHOTOMONTAGE, coronavirus and closed padlock with Lockdown inscription
Fotomontage zum Coronavirus-Lockdown
www.imago-images.de, imago images/Christian Ohde, Christian Ohde via www.imago-images.de

Der aktuelle Blick auf die Meldedaten zum Coronavirus sieht nicht gut aus: 9,7 Prozent mehr Neuinfektionen als vor einer Woche, eine leicht gestiegene 7-Tage-Inzidenz und vor allem ein R-Wert, der seit mehreren Wochen erstmals wieder über 1,00 liegt. Schon seit Wochen warnen Experten aufgrund der Mutationen vor der dritten Welle. War es das jetzt für einen baldigen Weg aus dem Lockdown? RTL-Medizinexperte Dr. Christoph Specht schätzt die Entwicklung ein.
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Dr. Specht: "Weder Panik noch Jubel"

Die Zahlen gehen wieder hoch – wie besorgniserregend ist das? „Das Infektionsgeschehen geht in der Tat nicht so stark zurück, wie man es gerne hätte“, so Dr. Specht. Generell müsse man allerdings beachten, dass es sich immer um einen errechneten Wert handle. Seit Beginn der Pandemie läge die Zahl der tatsächlich Erkrankten immer über denen, die gemeldet werden. „Da darf und kann man nicht streng rechnen, ob es jetzt 100 mehr oder weniger sind.“ Es sei weder angebracht, panisch zu werden, wenn es hochgeht, noch zu jubeln, wenn es runtergeht. „Die Ungenauigkeiten sind hier zu groß – es kommt auf die langfristige Entwicklung an.“

Erklärgrafik: Was sind R-Wert und Inzidenz-Wert?
Kurz erklärt: Was sind R-Wert und Inzidenz-Wert?
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Trotz britischer Mutation: Dr. Specht rechnet mit Rückgang der Zahlen

In einer Pandemie gebe es immer Wellenbewegungen, so der Mediziner. Die aktuelle Frage sei, welche Rolle die Mutationen dabei spielen. „Insgesamt gehen die Inzidenzen nach unten, nicht nach oben. Im Moment haben wir ein Plateau, also eine Bewegung ‚zur Seite‘ – und das, obwohl die Mutationen infektiöser sind“. In ganz kurzer Zeit werde die britische Variante in Deutschland die vorherrschende sein, ist er sich sicher – und nicht nur das: „Wir können uns nicht darauf ausruhen, dass das die letzte Mutation war. Es werden definitiv weitere kommen.“

Gut sei die aktuelle Entwicklung zwar nicht, aber: „Ich glaube nicht, dass die Zahlen nicht mehr beherrschbar werden. Meine Vorhersage ist, dass sie trotzdem runtergehen,“ so Dr. Specht und beruft sich auf die entsprechende Situation in Irland. Das Gute sei, dass sich eine Infektion mit den Mutationen genauso verhindern lasse wie bei den bisherigen Coronavirus-Varianten: mit den bekannten Hygienemaßnahmen.

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„Ja, definitiv“, so die Befürchtung des Medizinexperten. „Wenn das so lange geht, hat keiner mehr den Mut zu sagen: ‚Okay, wir wissen es nicht genau, aber wir öffnen jetzt unter diesen und jenen Bedingungen.“ In der Politik gelte das Vorsorgeprinzip: „Sie werden geprügelt, sobald was passiert. Wenn Sie übervorsichtig sind, werden Sie nicht bestraft. Die Politik traut den Menschen nicht zu, sich pandemiegerecht zu verhalten – wobei ich nicht sagen kann, ob sie damit Recht hat.“

Für Dr. Specht ist allerdings klar, dass unsere Macht im Gefüge der Natur begrenzt ist: „Wir müssen erkennen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Wir können Infektionen nicht komplett verhindern und werden nicht jeden Corona-Toten vermeiden können – auch wenn es natürlich so wenige wie möglich sein sollten.“ Genau dies sei aber die Vorstellung der Politik. Dr. Specht mahnt vor den Schäden, die dadurch nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene entstehen: „99,9 Prozent der Menschen haben keine Corona-Beschwerden – sondern etwa Krebs, Herzkreislauf-Erkrankungen. Und hier setzen wir massive Schäden, weil Leute aus Angst nicht zu Therapien und zur Früherkennung gehen.“

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Forderung an Politik: Alle Schäden für Bevölkerung beachten

Auch die Auswirkungen auf die Bildung von Kindern, die bereits vorher abgehängt waren und noch Jahre Teil der Gesellschaft sein werden, bezeichnet Dr. Specht als „Katastrophe“. Er zieht den Vergleich zu den Aufgaben in einem Flugzeug-Cockpit – und stellt eine klare Forderung: „Wenn Sie sich nur aufs Geradeausfliegen konzentrieren und alle anderen Parameter vernachlässigen, stürzen sie ab. Die Politik hat die Aufgabe, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Corona ist ein Schaden, aber nicht der einzige. Und da verlange ich von der Politik, das abzuwägen.“