Es bleiben Zweifel

Tamir Rice (†12) erschossen - US-Polizisten werden nicht angeklagt

epa04502535 A protester holds a sign with a picture of Tamir Rice. during a rally at Public Square in Cleveland, Ohio, USA, 24 November 2014. Following the 22 November fatal shooting of 12 year old Tamir Rice by a Cleveland Police officer. According
Tamir Rice wurde nur 12 Jahre alt. Sein gewaltsamer Tod löste eine Welle der Empörung n den USA aus.
dpa, David Maxwell

Notrufzentrale vergaß einen wichtigen Hinweis

Zwei Sekunden. Länger zögerte Timothy Loehmann nicht, eher er nach seiner Ankunft an einem Park in Cleveland (US-Bundesstaat Ohio) aus dem Streifenwagen stieg und auf Tamir Rice (†12) schoss. Der Junge starb später im Krankenhaus. Nun hat eine Grand Jury entschieden, dass gegen die beiden involvierten Polizisten keine Anklage erhoben wird.

Rice-Anwalt: "Mehr als bestürzend"

FILE – In this Dec. 29, 2015, file photo, "R.I.P. Tamir Rice" is written on a wooden post near a makeshift memorial at the gazebo where the boy was fatally shot, outside the Cudell Recreation Center in Cleveland. The Justice Department announced Tu
In diesem Park wurde Tamir Rice erschossen.
TD CD**NY** JK**NY** MTS, AP, Tony Dejak

Zwar sei der Tod von Tamir Rice am 22. November 2014 eine „absolute Tragödie“, so der Staatsanwalt, es gebe aber keine ausreichenden Beweise, um auf Bundesebene strafrechtlich gegen den Polizisten vorzugehen, heißt es in einer Mitteilung des Justizministeriums. Weder gebe es Hinweise darauf, dass die Grundrechte des Jungen verletzt worden seien, noch hätte nachgewiesen werden können, dass Loehmann gegen das Gesetz verstoßen habe. „Ein Polizist darf tödliche Gewalt einsetzen, wenn er vernünftigerweise glaubt, dass ein Verdächtiger eine unmittelbare Bedrohung für Leib und Leben des Officers oder anderer darstellt“, so die Mitteilung. Es habe sich nicht um eine Straftat, sondern eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt. Menschliches Versagen und Fehler durch alle Beteiligten.

Staatsanwälte hätten unter anderem auch das Videomaterial aus dem Park ausgewertet. Die Aufnahmen seien unscharf, der Schuss aus Distanz erfolgt, weshalb nicht der ganze Vorfall zu sehen sei. Zudem seien Details nicht zu erkennen gewesen.

Der Anwalt der Familie Rice, Jonathan Abady, sagte CNN: „Das ist Teil des Problems, mit dem wir als Gesellschaft schon immer leben. Die ungerechtfertigte und exzessive Gewalt von Polizisten gegen farbige Menschen. Dass Menschen dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist mehr als bestürzend.“ Für die Schüsse gebe es „keinerlei Rechtfertigung“, so Abady. „Da war ein Kind, das in einem Park gespielt hat.“

Gutachter befanden, Loehmann habe "begründet" gehandelt

Die Officers Loehmann und Frank Garmback waren damals zu dem Park gerufen worden, weil ein Passant gemeldet hatte, dass „wahrscheinlich ein Jugendlicher“ dort mit einer Waffe hantiere, die „wahrscheinlich unecht“ sei, hieß es in der Mitteilung des Ministeriums.

Fatalerweise habe die Notrufzentrale diese beiden Informationen aber nicht an die Polizisten weitergegeben. Eine Tatsache, die den Schützen in zwei Gutachten entlastete. Loehmann habe nach eigenen Angaben eine Spielzeugpistole des Jungen für echt gehalten und sich unmittelbar bedroht gefühlt. Die beiden Gutachter befanden der 'New York Times' zufolge damals, dass der weiße Polizist Tim Loehmann "begründet" gehandelt habe.

Die Objektivität der Gutachter – ein Staatsanwalt und eine ehemalige Beamtin der Bundespolizei FBI – wurden später jedoch in Zweifel gezogen. Einem Experten war vom Justizministerium attestiert worden, Polizisten gegenüber zu großzügig zu sein. Der Zweite hatte sich zuvor bereis öffentlich durch Erklärungsversuche auf die Seite der Polizisten geschlagen.

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Weniger als zwei Sekunden bis zum ersten Schuss

Und auch darüber hinaus bleiben Zweifel. Zum Beispiel aufgrund der Schnelligkeit, mit der Loehmann zur Waffe griff und schoss. Analysen von Aufnahmen einer Überwachungskamera hatten ergeben, dass Tamir innerhalb von zwei Sekunden, nachdem der Officer seine Autotür geöffnet hatte, erschossen wurde. Die Analyse eines Ballistik-Experten kam sogar zu dem Ergebnis, dass es wesentlich schneller passiert sein könnte. Da die Beamten ihre Fenster nicht runterließen, kann Tamir vor den Schüssen auch nicht gewarnt worden sein. Der Junge starb im Krankenhaus. Erst später wurde festgestellt, dass die „Waffe“ des 12-Jährigen ein Spielzeug war.

Hatte Tamir die Hände in den Hosentaschen, als er erschossen wurde?

Auch ein weiteres Detail wirft weiterhin Fragen auf. So soll der Junge den beteiligten Polizisten zufolge nach der Spielzeugpistole in seinem Hosenbund gegriffen haben, die einer halbautomatischen Waffe sehr ähnlich gewesen sei. Ein orangefarbenes Zeichen, dass sie als ungefährlich ausgewiesen hätte, sei abgekratzt gewesen. Doch: Experten zufolge hatte der Junge gar nicht genügend Zeit, die Hände aus den Taschen zu nehmen und in den Hosenbund zu greifen. Die Hände, in denen er laut Polizei die Spielzeugwaffe hielt, sollen demnach für die Polizisten gar nicht sichtbar gewesen sein. Die Analyse von Videoaufnahmen belege, dass Tamir zum Zeitpunkt des tödlichen Schusses, seine Hände in den Taschen hatte. Die Auswertung hatten die Anwälte von Tamirs Familie veröffentlicht. Zuvor waren seitens der Familie schon zwei Gutachten veröffentlicht worden, die zu einem ähnlichen Ergebnis kamen.

In der Mitteilung des Justizministeriums heißt es dazu aber, es sei "unbestreitbar, dass Tamir eine Waffe aus der Hüfte" gezogen habe, als sich der Streifenwagen näherte. Das hätte eine Analyse des Videos einer Sicherheitskamera ergeben.

Zusammenbruch am Schießstand: Beamter war untauglich für Polizeidienst

Außerdem wurde in den Medien auch Timothy Loehmann psychische Verfassung thematisiert. Die Polizeistation Independence, wo Loehmann zuvor gearbeitet hatte, habe ihn als unfähig zum Dienst erklärt, berichtete der britische „Guardian“. Er soll emotional zusammengebrochen sein, als er mit einer Waffe umgehen musste. Während des Trainings am Schießstand soll der Polizist "zerfahren und weinerlich" gewesen sein und einfachsten Anweisungen nicht Folge leisten können. "Sein Umgang mit der Handwaffe war trostlos", hieß es in einem internen Memo der Polizeistation, die den Mann abschließend aus dem Dienst entließ, so der Bericht.

Später wurde Loehmann dann von der Polizei in Cleveland eingestellt. Unklar sei, ob der Dienststelle das Memo mit dem niederschmetternden Urteil über ihren neuen Beamten bei dessen Einstellung vorlag.

ARCHIV - 24.11.2014, USA, Cleveland: Ein Demonstrant hält bei einer Kundgebung auf dem Public Square ein Plakat mit einem Bild von Tamir Rice. Nach den tödlichen Schüssen auf einen zwölfjährigen schwarzen Jungen in den USA im Jahr 2014 hat das Justiz
Eine Demonstrantin hält bei einer Kundgebung auf dem Public Square ein Plakat mit einem Bild von Tamir Rice in die Höhe.
dm lb dul, dpa, David Maxwell

Der Fall hatte in einer Serie tödlicher Schüsse von Polizisten auf Schwarze in den USA besondere Aufmerksamkeit erregt, weil das Opfer so jung war. Der Schütze war nach einer Untersuchung im Jahr 2017 gefeuert worden. Zuvor hatte eine Grand Jury entschieden, dass keiner der beiden Polizisten vor Gericht müsse. Sie folgte der Argumentation des Polizisten, er habe die Spielzeugpistole für echt gehalten. In den USA war es nach der Entscheidung zu gewaltsamen Aufständen gekommen.