Ihr Leben wird sich durch die Nervenkrankheit drastisch ändern
Christin (34) hat HMSN: „Du weißt nicht, wie schnell es jetzt gehen wird“

Die seltene Nervenkrankheit HMSN ist erblich, wie oft sie genau vorkommt, ist nicht ganz klar - die Dunkelziffer ist vermutlich hoch. Christin R. ist von ihr betroffen und deswegen schreibt sie RTL eine Mail. Denn sie will, dass auf die Krankheit aufmerksam gemacht wird. Sie selbst hat seit ihrer Kindheit und Jugend Probleme beim Laufen, war ein sogenanntes Stolperkind. Erst mit 34 Jahren wird die Krankheit dann bei ihr diagnostiziert. Ein Schock und die Gewissheit: Mein Leben wird sich drastisch ändern.
Neurologe: Normaler Mensch wäre von der Liege gesprungen
„Ich bin immer ein Stolperkind gewesen“, erzählt uns Christin, als wir mit ihr über ihre Krankheit sprechen, „keiner hat sich viel dabei gedacht.“ Das ist jetzt über 30 Jahre her – doch jetzt weiß die 34-jährige Bremerin auch endgültig, warum die Probleme mit dem Laufen, beim Abrollen, nicht heilbar waren. Als ein Neurologe die Leistungsfähigkeit ihrer am Fuß endenden Nervenbahnen mit Stromstößen testet, stellt er fest: „Sie spüren ja gar nichts, ein normaler Mensch wäre jetzt schon von der Liege gesprungen“, habe er gesagt, so Christin.
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HMSN ist die häufigste neuromuskuläre Erbkrankheit
Aber erst nach einer darauffolgenden humangenetischen Untersuchung bekommt sie die Diagnose, die ihr Leben verändert: Christin leidet an einer der sieben Formen der Hereditären sensomotorischen Neuropathie, kurz HMSN. „Eine gar nicht mal so seltene Erkrankung“, weiß Professor Dr. med. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen. „Die Vorkommenshäufigkeit liegt laut aktueller Studienlage bei 1 zu 2500 bis 15000.“ Damit sei sie innerhalb der neuromuskulären Erbkrankheiten die häufigste. Die Frequenz werde sich aber in den kommenden Jahren erhöhen – nicht weil Anzahl der Erkrankungen zunehme, sondern weil sie aufgrund verbesserter Diagnosemöglichkeiten häufiger erkannt werde, erklärt er uns.
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Als würde sie auf einen Nagel treten
Jahrelang hat Christin zwar einen Hohlfuß und dadurch einen ungewöhnlichen Gang – aber eben keine Schmerzen. Erst als die 2021 auftreten, geht sie zum Arzt. „Es fühlte sich an, als würde ich jedes Mal auf einen Nagel treten“, erzählt sie uns – sie hat massive Schmerzen am Fußballen. „Ich dachte an Überlastung oder Entzündung, aber nicht an meine Nervenkrankheit“, erzählt sie uns.
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Breitet sich die Nervenkrankheit schon in ihren Hände aus?
Ein halbes Jahr lang hat sie Schmerzen, arbeitet in der ganzen Zeit weiter. Sie bekommt blaue Flecken und Risse in der Haut. Sie glaubt, sie habe einfach Hautprobleme, geht wieder zu diversen Ärzten und zum Fußchirurgen. Während einer Reha wird ihr klargemacht: Das hat alles mit ihrer Diagnose zu tun. Sie muss einsehen: Ihren bisherigen Beruf als Restaurantfachfrau muss sie schweren Herzens an den Nagel hängen - weil sie da ja nur auf den Beinen ist. Ihre Hände sind bisher nicht betroffen - ob Fingerkrämpfe, die gelegentlich auftreten, schon darauf hindeuten, weiß Christin nicht.
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Experte über HMSN: Genmutationen schädigen die Nerven
Ursache der Krankheit sind Mutationen in Genen, die am Aufbau der Nervenhüllen und Fasern beteiligt sind. „Das kann dazu führen, dass die Myelinscheide, also die Isolierung vom Nervenkabel, wenn man so will, nicht richtig aufgebaut und unterentwickelt ist“, erklärt uns Kleinschnitz. „Und wenn die Umhüllung nicht richtig aufgebaut ist, dann leidet auch das Axon, also das Nervenkabel an sich und leitet nicht mehr so gut.“ Die Mutationen können den Nerv selbst betreffen – aber beides führt zu einer Degeneration oder auch dem Absterben der peripheren Nervenfasern. Dabei gelte: Die Nerven, die den längsten Weg zum Gehirn haben, sind eher betroffen. Deswegen seien es meist die Füße, an denen sich die Symptome zeigen.
Ungewisser Krankheitsverlauf: „Der Weg kann ganz ganz schlimm werden“
Wie sich die Krankheit weiter entwickelt, ist unklar. Zwar haben ihr die Ärzte gesagt, bei ihr sei sie noch nicht weit fortgeschritten. Aber sie hat bei HMSN-Facebook-Gruppen gesehen, wohin der Weg auch bei ihr führen könnte: „Da gibt es viele mit orthopädischen Schuhen, einige brauchen einen Rollator oder einen Rollstuhl“, erzählt sie uns. „Der Weg kann ganz ganz schlimm werden.“ Diese Ungewissheit ist es auch, die Christin schwer zu schaffen macht: „Du hast es im Kopf, du weißt es, aber du weißt nicht, wie schnell das geht.“ Auch im Hinblick auf Kinderwunsch fragt sie sich, ob sie die Krankheit an ihre Kinder weitergeben will.
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Neuere genmanipulative Therapien machen Hoffnung
HMSN ist bisher nicht heilbar. „Es gab und gibt verschiedene Studien mit höher dosiertem Vitamin C, die vielversprechend waren, aber letztlich versagt haben“, erklärt uns Neurologie-Professor Kleinschnitz. „Durch neuere genmanipulative Therapiemöglichkeiten kann man sich aber durchaus vorstellen, dass sich da in der Zukunft etwas tun wird.“ Neuere Ansätze, die Kleinschnitz noch an seinem alten Standort Würzburg selbst mit vorangetrieben hat, versuchen, entzündliche Vorgänge, wie einfallende Fresszellen, an den Nerven zu stoppen. Alles in allem gilt aber für die Patienten: Hauptsächlich durch physiotherapeutische und orthopädische Maßnahmen sollen sie mit den Symptomen besser zurechtkommen.
In Zukunft dann ein Bürojob? Für Christin eine „Horrorvorstellung“
Christin ist mittlerweile seit einem Jahr krankgeschrieben, die Rentenversicherung wird die Kosten für eine Umschulung finanzieren. Jetzt muss sie erst einmal für sich herausfinden, was sie in Zukunft beruflich machen will: Handwerk oder Bürojob ist die Frage, die sie sich bei einer beruflichen Reha gestellt hat. Gegenwärtig läuft alles auf eine sitzende Tätigkeit hinaus. „Für mich momentan noch die Horrorvorstellung“, sagt Christin, die bis Anfang 30 viel in der Welt unterwegs war.