"Und dann musste ich mich ausziehen..."

Astrid (59) wurde vergewaltigt - 2,5 Jahre später gibt es immer noch keinen Prozess

Astrids* Leben wird seit zweieinhalb Jahren von den immer gleichen Gefühlen bestimmt: Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung. 2019 wird sie in ihrer Wohnung vergewaltigt, erzählt die 59-jährige Schleswig-Holsteinerin RTL Nord. Ihr Wunsch, den mutmaßlichen Täter hinter Gitter zu sehen, bleibt bis heute unerfüllt. Denn das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft zweieinhalb Jahre nach der Tat immer noch – ein Ende ist für Astrid* nicht in Sicht. Wie die 59-Jährige die Tat erlebt hat und sich aus den Fängen ihres Peinigers befreien konnte, erzählt sie im Video.
*Der Nachname wird zum Schutze der Person von der Redaktion weggelassen.

Die Angst ist ihr ständiger Begleiter

Astrid* im Gespräch mit RTL Nord-Reporterin Catharina Tomm.
Astrid im Gespräch mit RTL Nord-Reporterin Catharina Tomm.
RTL Nord, RTL Nord, RTL Nord

"Ich bin immer nur voller Angst. Ich versuche das natürlich auch immer irgendwie so ein bisschen wegzuschieben und mir einzureden, es passiert ja vielleicht überhaupt nichts, aber das weiß ich doch nicht. Die Garantie gibt mir ja keiner", erzählt die 59-Jährige. Im Mai 2019 wird Astrid nach einer Party vergewaltigt. Der mutmaßliche Täter ist immer noch auf freiem Fuß, denn das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft noch. Für Astrid bedeutet das zweieinhalb quälende Jahre, die ihr wie eine Ewigkeit vorkommen, in denen sie nicht arbeiten kann und sich kaum noch alleine vor die Tür traut: „Mein Leben ist für mich ziemlich übel seitdem, muss ich sagen. Ich hatte auch das erste Jahr massive Suizidgedanken. Da bin ich jetzt Gott sei Dank mit durch. Also doch denke ich mal, weil ich mir so nutzlos vorkomme. Es passiert nichts und ich werde nicht ernst genommen, habe ich das Gefühl, ich werde nicht richtig wahrgenommen."

Das Leiden geht nach der Tat noch weiter - auf unbestimmte Zeit

Astrid schafft es sich aus den Fängen des vermeintlichen Vergewaltigers zu befreien, doch sie ahnt nicht, dass ihr Leidensweg dann noch lange weitergehen wird. Etliche Untersuchungen und Aussagen bei der Polizei muss sie über sich ergehen lassen. Der Mann, der ihr das angetan haben soll, wird noch in der Nacht geschnappt – doch er kommt nicht in Untersuchungshaft, da er keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle. Die Staatsanwaltschaft Lübeck begründet das so: „Die allgemeine Befürchtung, es könne möglicherweise in einem unbestimmten Zeitraum zu gleichartigen Taten kommen, genügt nicht." Für Astrid ist das der blanke Horror: "Ich war so entsetzt. Ich war so entsetzt und hatte Panik. Ich habe immer noch Angst, weil ich immer noch davon ausgehe, dass er vielleicht auf die Idee kommen könnte, mir den Garaus zu machen."

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Der mutmaßliche Täter kennt ihre Adresse

Was Astrid am meisten beschäftigt: Der mutmaßliche Täter kennt ihre Adresse, denn die vermeintliche Tat spielte sich in ihrer Wohnung ab. Die Angst, er könne sie doch noch einmal aufsuchen, wächst mit den Monaten, die vergehen und in denen nichts passiert. Doch warum zieht sich das Verfahren so? „Die Staatsanwaltschaft ist stets auf einen Verfahrensabschluss so zügig wie möglich bedacht. Insbesondere die Auswertung elektronischer Medien kann jedoch wegen der hohen Belastung der zuständigen Stellen bei der Polizei eine nicht unerhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Gleiches gilt teilweise für andere kriminaltechnische Untersuchungen oder aber auch rechtsmedizinische Gutachten, denn auch das Institut für Rechtsmedizin am UKSH ist mit einer Vielzahl von Aufträgen betraut", so Dr. Ulla Hingst von der Staatsanwaltschaft Lübeck.

Hängt die Bearbeitungszeit mit der Personallage bei der Polizei zusammen?

Die Auswertung des sichergestellten Handys des mutmaßlichen Täters habe laut Staatsanwaltschaft erhebliche Zeit beansprucht. Gibt es also zu wenig Personal für zu viele Aufträge? Laut des Pressesprechers des Innenministeriums, Dirk Hundertmark, trifft das nicht zu: "Die Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei und zwar alle, die haben alle gut zu tun. Da ist keiner unterbeschäftigt. [...] Natürlich hat sich mit der Nutzung von Smartphones aber auch mit anderen digitalen Endgeräten die Masse der Daten, die ausgewertet werden müssen, massiv erhöht, aber darauf hat die Polizei auch reagiert. Wir haben zum Beispiel 2018 das Kompetenzzentrum digitale Spuren im Landeskriminalamt gegründet, alleine mit 1,3 Millionen Euro Personalkosten im Jahr, die da ausgebildet werden. Das sind Spezialisten, auch Externe Informatiker beispielsweise, die sich genau damit befassen."

Ein kleiner Lichtblick in einer dunklen Zeit

Für Astrid eine unverständliche Erklärung. Sie braucht endlich einen Verfahrensabschluss, um dann überhaupt die Chance zu haben, das Erlebte verarbeiten zu können. Immerhin gibt es für sie jetzt einen kleinen Lichtblick: Von ihrem Vermieter hat sie die Möglichkeit bekommen, in eine andere Wohnung zu ziehen. Es ist nur ein kleines Stück Veränderung, der ihr aber eine große Last von den Schultern nimmt. Dennoch hofft die Mutter zweier Töchter, dass endlich Bewegung in ihren Fall kommt und der Täter für das, was er ihr angetan haben soll, endlich hinter Gitter kommt. (cto)

Hilfe bei Suizidgedanken und Gewalt

Beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" können Sie sich unter der Rufnummer 08000 116 016 an 365 Tagen zu jeder Uhrzeit anonym und kostenlos beraten lassen.

Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de.