Anabolika, die unterschätzte Gefahr: Zwischen Popeye und Adonis-Komplex

"Ich denke, also bin ich." Mit diesem Satz wollte der französische Philosoph René Descartes vor 370 Jahren die Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit beseitigen und neu definieren. Heutzutage wird sich nicht mehr über solch komplexe Themen unterhalten geschweige denn werden sie definiert. An Stelle von Wissen sind profanere Dinge wie Kleidung, Mode und Körperkult getreten. Längst ist den meisten Menschen das Aussehen wichtiger als die Intelligenz. Das Bundesgesundheitsministerium spricht in diesem Zusammenhang von einer regelrechten Besessenheit und der Tatsache, "dass immer mehr junge Männer diesem Schönheitsideal entsprechen wollen und an Muskelwahn leiden", sagte Susanne Wackers RTLaktuell.de
Tatsächlich ist es so, dass speziell Jugendliche und junge Erwachsene immer öfter zu illegalen Substanzen greifen, um das Ziel eines makellosen Körpers zu erreichen - auch wenn dies bedeutet, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen und ernsthaft zu gefährden. Der heutige Grundsatz lautet: Ich pumpe, also bin ich!
Definiert wird sich über den eigenen Körper. Getreu dem Motto, höher - schneller - weiter lautet das Credo in der Szene: größer - stärker - breiter. Ein Zuviel gibt es nicht. Je größer die Muskeln, desto besser - jede Art von Hilfsmittel ist erlaubt. Von muskelunterstützenden Eiweißshakes über Kreatin-Kuren, bis hin zu gefährlichen anabolen Steroiden. Rücksicht auf den eigenen Körper wird nicht genommen.
In den letzten Jahren ist ein permanenter Anstieg illegaler Hilfsmittel zu verzeichnen, meint auch Anti-Dopingexperte und- Aufklärer Jörg Börjesson. "Viele Jugendliche kommen mit den entsprechenden Produkten bereits im Fitnessstudio in Kontakt". Das Ziel der Konsumenten ist identisch: Möglichst viel an Muskelmasse zulegen – und das um jeden Preis.
In ihrem Wahn vom Muskelaufbau bedienen sich viele Fitness-Junkies der unterschätzten Droge Anabolika. Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur ist sie die am häufigsten verwendete Dopingsubstanz. Schätzungen zufolge werden weltweit jährlich rund 700 Tonnen anaboler Steroide von 15 Millionen Konsumenten zu Dopingzwecken missbraucht - Tendenz steigend. Zu erkennen ist ein solcher Missbrauch durch Anabolika meist an einer speziellen Form der Akne auf dem Rücken.
Nach der vom Robert Koch-Institut erhobenen Kolibri-Studie trainieren rund acht Millionen Deutsche in Fitnessstudios. Der Bericht kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass null Prozent der Freizeitsportler anabole Stoffe nehmen, die dazu beitragen können, den Muskelaufbau zu begünstigen. Auf Nachfrage beim 'Deutschen Sportstudio-Verband' verwies man ebenfalls auf die Kolibri-Studie und präsentierte das bekannte Ergebnis.
Daraufhin wandten wir uns direkt an den Auftraggeber der Studie - dem Bundesministerium für Gesundheit. Hier wurden uns andere Zahlen präsentiert, die, wie man mitteilte, auf "spezielleren Studien" beruhten. Demnach nehmen 1,6 der acht Millionen Deutschen Fitnessstudiomitglieder regelmäßig Anabolika. "Die Dunkelziffer liegt jedoch deutlich höher", sagte Eva Bunthoff von der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA) RTLaktuell.de. 48 Prozent sagten zudem, dass sie gern mehr über Anabolika erfahren bzw. sie ausprobieren würden.
"Eine Art Lifestyle-Droge"
Jurist und Sportmediziner Heiko Striegel, der das bislang einzige deutsche Zahlenmaterial zu diesem Thema gesammelt hat, fordert dringend mehr Sensibilisierung. Er ist für eine konsequentere Strafverfolgung und mahnt an: Doping im Freizeitsport ist längst gesellschaftsfähig geworden. "Das ist kein Randphänomen. Die Doper sind oft gut integriert, achten auf ihr Äußeres, haben einen anerkannten Beruf, denn die Ampullen kosten ja schließlich Geld", so Striegel. Seinen Untersuchungen zufolge ist das Aussehen der Hauptgrund für den Missbrauch: "Das ist für viele, die auf Partys oder in Hochglanzmagazinen durchtrainierte Körper sehen, so eine Art Lifestyle-Droge."
Viele glauben, ohne unterstützende Mittel den Traum von einem muskulösen Körper nicht erreichen zu können. Gerade Jugendliche in der Pubertät sind beeinflussbar und orientieren sich an retuschierten Hochglanz-Bildern.
Leinwandhelden wie Sylvester Stallone machen es vor. Der inzwischen 67-Jährige wurde zuletzt bei einer Promotion-Tour seines sechsten Teils der Rocky-Saga, am Flughafen von Sydney mit 48 Ampullen des Muskelaufbaupräparats 'Jintropin' erwischt. Vorbildfunktion, fehl am Platz. Freimütig gab der Hollywood Action-Star bereits vor Jahren zu, beim Aufbau seiner Muskelpakete mit diversen Mittelchen nachgeholfen zu haben. "Ich habe so etwas seit Jahren genommen - es ist nicht gefährlich." Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Neben ernsten körperlichen Langzeitschäden wie Diabetes oder Leberschäden, gehören auch Unfruchtbarkeit und ein erhöhtes Schlaganfall- sowie Herzinfarktrisiko zu den Nebenwirkungen. Bei noch nicht ausgewachsenen Jugendlichen führt es zudem häufig zum Wachstumsstop der Knochen.
Stallone ist mit dieser Auffassung jedoch keineswegs allein. Viele verharmlosen die Nebenwirkungen oder nehmen diese für ihren Traum von definierter Muskelmasse bereitwillig in Kauf. Der Arzt und Anabolika-Forscher Luitpold Kistler hat in diesem Zusammenhang die einzige im deutschsprachigen Raum wissenschaftliche Studie veröffentlicht, die sich mit der Todesfolge durch Anabolikamissbrauch auseinandersetzt.
"In allen Fällen konnte eine Vergrößerung des Herzens nachgewiesen werden. In neun von zehn Fällen lag ebenfalls eine abnorme Vergrößerung der Leber vor", so Kistler. Er bemängelt außerdem, dass "Anabolika gerade bei Jugendlichen als Einstiegsdroge anzusehen ist und das Risiko für weiteren Drogenkonsum deutlich erhöht."
Auch Dopingaufklärer Börjesson bezeichnet Anabolika als "Droge unserer Zeit". Er sieht das Problem aber vor allem im Adonis-Komplex verhaftet der durch die Medien geschürt wird: "Die Medien proklamieren eine perfekte Figur, die schlank, muskulös und jederzeit einsetzbar aussehen soll. Gerade für junge Menschen kann dies einen enormen Druck darstellen, der sich in Muskelwahn verkörpern kann", sagte Börjesson RTLaktuell.de.
Beunruhigende und unbequeme Tatsachen – gegen die schleunigst Maßnahmen ergriffen werden müssen. Susanne Wackers vom Bundesministerium für Gesundheit meint, "um einen Anabolikamissbrauch zu verhindern braucht es mehr Präventionsangebote." Börjesson fordert noch konsequentere Maßnahmen: "Ehemalige Doping-Konsumenten müssen in Schulen und in Fitnessstudios gehen und die Präventionsarbeit vor Ort leisten. Auch der Schulunterricht muss dementsprechend ausgerichtet werden. Nur so kann eine Vorbeugung stattfinden. Kontrollen und Sanktionen werden nicht allein zum Umdenken führen."
Die aufkommende "Dopingmentalität" von der die NADA spricht, muss wieder aus den Köpfen der Sportler verschwinden und noch im Keim erstickt werden bevor sie sich ganz ausbreiten kann.
von Dominic Sana