Aufs Hilfsgelder angewiesen
Afghanistan vs. Ukraine: Taliban buhlen um internationale Aufmerksamkeit
von Liv von Boetticher
Afghanistan hat ein Problem: es ist nicht länger das Sorgenkind der Weltgemeinschaft. Diese Rolle hat die Ukraine übernommen. Und während man meinen sollte, dass den neuen Herrschern der Wegfall des Rampenlichtes entgegenkommt, der irrt. Die Taliban brauchen Aufmerksamkeit, um Afghanistan auch nur einigermaßen regieren zu können.
Radikale Islamisten sind zwingend auf internationale Aufmerksamkeit und Hilfsgelder angewiesen
Sieben Monate nach der Machtübernahme der Taliban hat sich die Aufmerksamkeit der westlichen Mächte auf die russische Invasion in der Ukraine verlagert. Journalistinnen und Journalisten, die normalerweise aus Afghanistan berichten, haben das Land zum neuen Krisenhotspot in Europa hin verlassen. Wann und ob sie wieder zurückkehren, ist ungewiss. Viele rechnen damit, dass er Krieg in Europa noch länger dauert – und dass das Interesse an der Misere vor der eigenen Haustüre größer ist, als viele tausend Kilometer entfernt am Hindukusch.
Für die Taliban bedeutet das ein riesiges Problem: die radikalen Islamisten sind zwingend auf internationale Aufmerksamkeit und damit Hilfsgelder angewiesen, damit das afghanische Volk nicht verhungert. Die zurzeit halbwegs stabile Sicherheitslage ist in akuter Gefahr, sollten die Taliban nicht in der Lage sein, auch nur ansatzweise den lebensnotwendigen Grundbedürfnissen der Menschen nachzukommen. Schon jetzt ist die Führungsriege nicht in der Lage, ihre eigenen Kämpfer mit dem Nötigsten zu versorgen. Junge Taliban-Kämpfer an Checkpoints berichten, dass sie teilweise tagelang ohne Trinkwasser sind. Sie nehmen Lebensmittel- und Wasser-Spenden dankend entgegen.
Krieg in Europa zieht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich
Der Krieg in Europa zieht nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich, die humanitäre Krise dort bindet gleichzeitig viele menschliche und finanzielle Ressourcen. Die Mitarbeiterin einer tschechischen Hilfsorganisation berichtet, dass sie kaum noch finanzielle Mittel für Projekte in Afghanistan bekommt, da alle Mittel in Tschechien selbst gebraucht werden. Das Land hat bisher mehr als 200.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und täglich werden es mehr.
Die Taliban-Führung überlegt offenkundig, wie sie den Krieg in Europa nun für sich nutzen kann. Jüngst brachten sie sich in den Sozialen Medien als friedvolles und verantwortungsvolles Mitglied der internationalen Gemeinschaft ins Spiel, in dem sie „beide Konfliktparteien“ dazu aufriefen, „die Krise durch Dialog und friedlichen Mittel zu lösen“. Eine ziemlich ungewohnte Rolle.
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