„Wer auch immer das sieht, soll sich fragen, ob er so sterben möchte“
Wie sehr muss dieser Charité-Patient auf seinem letzten Weg leiden?
Mitzuerleben, wie ein geliebter Mensch stirbt: für viele unvorstellbar.
Dabei zu sehen, dass er leidet und Schmerzen hat, obwohl sie ganz einfach gelindert werden könnten, muss fast unerträglich sein. Genau das scheint eine Familie in der Charité aber durchzumachen. Denn obwohl sich das Pflege-Team und die Angehörigen mehr Morphin für den Patienten wünschen, ist offenbar kein Arzt auffindbar, der es verordnen könnte.
Gemeinsames Warten auf den Tod
Bei ihrem Undercover-Einsatz auf der neurochirurgischen Station der Charité Berlin erlebt stern-Investigativ-Reporterin Lisa, wie ein Mann von der Intensivstation auf die Normalstation verlegt wird – denn er liegt im Sterben. „Er war nicht mehr kontaktierbar, da hat die Familie entschieden: Wir machen nichts mehr“, erklärt eine Pflegerin.
Alle medizinischen Geräte sind abgeschaltet. Die Liebsten des Patienten sind in seinen letzten Stunden an seiner Seite. Alles, was jetzt noch bleibt, ist warten – und dem Mann mit schmerzlinderndem Morphin seinen letzten Weg zu erleichtern.
Kein Arzt in Sicht – und der Patient leidet weiter
Nach einer Stunde verschlechtert sich die Situation jedoch dramatisch. Seine Frau hat Angst, denn der Sterbende scheint zu leiden: „Ich habe das Gefühl, mein Mann ist zunehmend gestresst. Er atmet jetzt ganz schwer“, bittet sie die Pflegekräfte um Hilfe.
Eigentlich benötigt er eine weitere Dosis Morphin, doch die darf ihm nur ein Arzt geben. Das Problem: Auf der Station ist keiner zu sehen. Das frustriert auch die Pfleger. Auf Lisas Frage, was man tun könnte, um dem Patienten zu helfen, sagt eine Pflegerin: „Mehr Morphin […], aber ich kann das nicht ohne Arzt. So würde ich es machen, einmal Bolus, damit er entspannt ist.“
Mit „Bolus“ ist gemeint, in kurzer Zeit eine Dosis eines Medikaments zu spritzen, um schnell eine Wirkung zu erzielen. Lisa erkundigt sich, ob kein Medizinstudent im Praktischen Jahr, ein sogenannter PJler, da sei und das Morphin verschreiben könnte. „Nein, die müssen dann die Ärzte fragen, so machen die meistens“, erklärt die Pflegerin. „Das heißt, sie geben erst und fragen dann, ob das ok war?”, hakt Lisa nach. „Ja“, bestätigt die Pflegerin.
Ohne Erlaubnis oder Aufsicht der Ärzte dürfen PJler also keine Medikamente verabreichen – eigentlich. Offenbar scheint das hier aber in der Vergangenheit manchmal so gehabt worden zu sein. Doch auch ein Medizinstudent ist momentan offenbar nicht greifbar.
„Ein schlimmer Sterbeprozess“
Das stern-Investigativ-Team zeigt die Undercover-Aufnahmen Dr. Ruth Hecker. Sie ist ausgebildete Krankenschwester, Fachärztin und Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. „Das ist für den Patienten und für die Angehörigen dann ein schlimmer Sterbeprozess, den man hätte besser organisieren können“, so ihr Urteil. Ein Arzt hätte anordnen können, dem Mann im Bedarfsfall auch ohne seine Anwesenheit mehr Morphin zu geben. „Er weiß ja, er geht wieder von der Station. Er weiß, die Pflege ist mit dem sterbenden Patienten allein gelassen. Man kann hier von einer schlechten Organisation, von einem Missmanagement sprechen.“
Auch Dr. Bernd Hontschik, der jahrelang Oberarzt an der Chirurgischen Klinik am Städtischen Krankenhaus Frankfurt am Main war, ist erschüttert darüber, dass ein eigentlich so einfacher Vorgang anscheinend nicht funktioniert. „Das ist doch die Routine, das ist doch die normale Aufgabe eines Krankenhauses. Das ist doch keine besondere Belastung. Ich verstehe es gar nicht. Das ist einfach das, was ein Krankenhaus normalerweise… dafür ist es da! Wer auch immer das sieht, soll sich fragen, ob er so sterben möchte.“
Am folgenden Tag erfährt Reporterin Lisa von Kollegen, dass der Mann gestorben sei.
Stern Investigativ bat das Krankenhaus um eine Stellungnahme. Die Charité schreibt, dass sie alle Fälle intensiv geprüft habe und die Vorwürfe zurückweise.
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Die ganze Reportage stern Investigativ: Charité Berlin seht ihr am Donnerstag, den 12. September um 20.15 Uhr bei RTL oder als Livestream auf RTL+. Nach der Ausstrahlung könnt ihr die Sendung auf RTL+ anschauen. (rka)