Bringt die Charité sie wissentlich in Gefahr?

Infektion wäre ihr „Todesurteil“! Krebspatientin (16) auf einer Station mit hochansteckendem Baby

Wenn das eigene Kind Krebs hat, würde man alles für es tun.
Doch in der Charité Berlin sind einer Mutter offenbar die Hände gebunden. Es scheint, als würde ihre 16-jährige Tochter bei den Ärzten immer wieder in Vergessenheit geraten. Sie liegt nicht wie andere Krebspatienten auf der Onkologie-Station, denn diese ist voll – sondern auf der Kinder-Mukoviszidose-Station. Das Problem: Hier befinden sich auch Kinder mit teils hochansteckenden Krankheiten. Ist das Infektionsrisiko für das wahrscheinlich immungeschwächte Mädchen nicht viel zu hoch?

„Situation medizinisch untragbar“

Reporterin Anna recherchiert für stern Investigativ undercover als Praktikantin auf der Kinder-Mukoviszidose-Station im Klinikum Virchow, das zur Charité gehört. Hier sind eigentlich Kinder mit Atemwegserkrankungen untergebracht, die zum Teil hochansteckend sind. Und hier liegt auch die 16-jährige Sophie*, die Krebs hat. Warum nicht auf der Onkologie?

„Weil da keine Plätze sind“, erklärt Sophies Mutter Anna. „Dafür habe ich auch Verständnis (…) aber man muss sich trotzdem um das Kind kümmern. Es kann ja nicht sein, dass ich alle drei Tage Theater machen muss. Dass sie nicht abgehört wird, dass sie nicht kontrolliert wird, dass ihre Medikamente nicht überprüft werden!“ macht sie ihrem Ärger Luft. Der Stationsarzt sei zwar nett, aber nicht für sie zuständig. „Sie sehen uns nicht als ihre Patienten an.“

Das Reporter-Team zeigt die Aufnahmen Dr. Bernd Hontschik, der eine eigene chirurgische Praxis führte und jahrelang Oberarzt an der Chirurgischen Klinik am Städtischen Krankenhaus Frankfurt am Main war. Seine klaren Worte: „Die Situation, die Sie jetzt hier vorgefunden haben, ist medizinisch untragbar. Also da würde ich fast sagen, das ist justiziabel. Das geht überhaupt nicht, dass man onkologische Kinder-Patienten mit Normalpatienten zusammenlegt. Allein schon dieses Zusammenlegen ist ein hohes Risiko und sie brauchen einen speziellen Umgang mit ihrem Infektionsrisiko.“

Dazu schreibt die Charité:

„Da auf der Station 15 weder Chemotherapien erfolgen noch die schwerstkranken kinderonkologischen Patienten versorgt werden und nicht mehr als fünf kinderonkologische Patienten gleichzeitig betreut werden, ist deren Versorgung mit dem regulären Pflegeschlüssel gut zu bewältigen. (....) Es erfolgt täglich eine Visite durch den kinderonkologischen Konsilarzt für alle kinderonkologischen Patienten auf Station.“

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Onkologie-Krankenschwestern brauchen „eigene Ausbildung“

Anna spricht bei ihrem Einsatz in der Charité auch mit den Pflegekräften auf der Kinder-Mukoviszidose-Station. Eine davon sagt ihr: „Die haben eine ganz andere Betreuung auf der Onkologie. Ich weiß nicht, haben die eins zu zwei? Das heißt dann eine Pflege auf zwei Patienten. Und hier musst du die einfach mit reinschieben und die haben halt einen ganz anderen Bedarf an Medikamenten, an Pflege, an Aufmerksamkeit, weil die dolle krank sind. Es ist ja eine extra Ausbildung. Für eine onkologische Krankenschwester musst du ja eine extra Ausbildung machen. Und das war hier am Anfang ganz schön schwierig für alle, weil du einfach mehr laufen musst.“

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„Ich fange gleich an zu heulen“

An einem Krankenzimmer wird Anna von einer Pflegerin ermahnt, als Extra-Hygienemaßnahme einen Kittel und Handschuhe anzuziehen, bevor sie es betritt, denn: „Die hat Keuchhusten. Die ist super ansteckend“, beschreibt sie den Zustand des Babys, das darin liegt. „Wenn es hier einer kriegt, das wollen wir auf gar keinen Fall.“

Dr. Hontschik kann das nicht fassen: „Keuchhusten-Kinder mit Onkologie-Kindern, also ich fange gleich an zu heulen. „Das ist doch nicht denkbar. Stellen Sie sich mal vor, ein Onkologie-Kind, abwehrgeschwächt, kriegt Keuchhusten. Das ist tot, das ist ein Todesurteil! Das hat überhaupt keine Chance. Vielleicht doch, ich will nicht übertreiben, aber… das kann gar nicht sein.“

Die Charité sagt dazu, dass die Teams sich in täglichen Besprechungen über die Hygienepflichten austauschen.

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Wird Sophie mit ihrer Krankheit allein gelassen?

In den folgenden Tagen erlebt Anna, wie Sophies Mutter immer wieder versucht, für eine angemessene Behandlung ihrer Tochter zu kämpfen. Sie macht sich auf der Suche nach einem Arzt selbst auf den Weg in die Onkologie. „Weißt du, mein Job ist es, irgendwie dafür zu sorgen, dass mein Kind versorgt wird“, sagt sie der Reporterin.

Anna spricht ihre Kollegen auf die Mission der Mutter an: „Es kann ja nicht sein, dass die Mama denen allen hinterherlaufen muss.“ – „Natürlich kann das nicht sein. Aber es ist leider üblich.“

„Das war was, das mir wirklich sehr nahe gegangen ist“, erklärt Anna im Nachhinein. „Also, da liegt ein junges Mädchen, das schwer krank ist und eigentlich komplett allein gelassen wird. Ich war zwei Wochen da und ich persönlich habe keinen Onkologen gesehen.“

Dr. Hontschik hat für das Vorgehen der Klinik keinerlei Verständnis: „Warum gibt es nicht eine weitere onkologische Station, wenn doch der Bedarf so groß ist? Und warum gibt es nicht genug Ärzte? Also, selbst wenn man die Katastrophe akzeptiert, dass onkologische Kinder mit Mukoviszidose-Kindern zusammenliegen, dann muss es doch wenigstens ein zwei Ärzte geben, die dann für die zuständig sind auf der Mukoviszidose-Station. Nicht mal das ist ja gegeben.

Dazu schreibt die Charité:

„Kurz zusammengefasst, besteht durch die strukturierten und durchgeführten Hygienemaßnahmen auf Station 15, die das gesamte Team einhält, kein erhöhtes Risiko für die kinderonkologischen Patienten. Die Aufnahme auf Station 15 sorgt bei oft voll belegter kinderonkologischer Station für die rasche Behandlung einer potentiell lebensbedrohlichen Infektion.”

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stern Investigativ auf RTL+

Die ganze Reportage „stern Investigativ: Ein krankes Haus – Inside Charité“ könnt ihr nach der Ausstrahlung im TV auch jederzeit auf RTL+ streamen. (rka)

*Name redaktionell geändert