„Ich dachte, ich sterbe im Krankenhaus”
Trans-Mann Marlon (25) ist nach Operation genitalverstümmelt

Marlon erleidet jeden Tag unfassbare Qualen.
Im Körper einer Frau geboren, merkt er mit Anfang 20: Das bin ich nicht. Er fühlt sich als Mann, ist also transsexuell. Ein langer Weg hin zu seiner richtigen Identität beginnt. Am Ende bleibt nur noch eins: eine Geschlechtsanpassung. Doch sein Wunsch endet in einem lebensbedrohlichen Desaster. Heute besteht sein Intimbereich nur noch aus Narbengewebe. Jetzt braucht er dringend Hilfe.
Marlon: „Ich roch, wie ich verwese”
„Ich bin einmal durch die Hölle gegangen.” Das sagt Marlon im Gespräch mit RTL. Nach einer geschlechtsangleichenden Operation kommt es bei ihm zu katastrophalen Nebenwirkungen. Wenn man ihn bittet, sich an diese Zeit zu erinnern, sagt er: „Ich war noch lebendig und roch trotzdem, wie ich verwese.”
Aufgrund unzähliger Narkosen leidet er zudem unter starken Nebenwirkungen: „Ich hatte lange Schwierigkeiten zu reden, mich vernünftig zu artikulieren. Habe starke Probleme gehabt, mich zu konzentrieren. Ich bin total unsicher geworden im Alltag und in die Pflegestufe vier gerutscht.” Zwar findet er eine Lösung für sein tägliches Leid - doch die kann er nicht bezahlen. Auf GoFundMe bittet er nun um Spenden, damit er wieder ein normales Leben führen kann.
Wie konnte es so weit kommen? Und warum hilft die Krankenkasse Marlon nicht? RTL hat sich den Fall angeschaut.
Marlon wollte sich „vollständig zu fühlen”
Marlon, der in einer überwiegend konservativen Umgebung aufwuchs, begegnet dem Thema Transidentität erstmals im Alter von 18 Jahren. „Ich hatte schon immer das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber ich konnte es nicht in Worte fassen“, erzählt er. Mit Anfang 20 outet er sich als Transmann.
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Er lässt eine Vornamens- und Personenstandsänderung vornehmen und beginnt unter ärztlicher Aufsicht mit einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung. Die ersten körperlichen Veränderungen, wie das Verschwinden seiner weiblichen Figur und der Stimmbruch, geben ihm das Gefühl, endlich in seinem Körper anzukommen.
Nachdem er bereits über längere Zeit seine Oberweite abgebunden hat, entscheidet er sich schließlich für die operative Angleichung an einen maskulinen Oberkörper (Mastektomie) sowie die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) und Eierstöcke (Adnektomie).
„Und dann habe ich mir ganz lange Zeit gelassen, über zwei Jahre, um zu gucken, was kommt überhaupt noch infrage für mich?“, sagt Marlon. „Jede Transperson entscheidet individuell, wann der Weg beendet ist, aber für mich war ein Penoid die logische Konsequenz, um mich vollständig zu fühlen.“ Bei einem Penoid handelt es sich um eine möglichst nahe biologische Abbildung eines Penis.
Geschlechtsangleichende Operation ist risikoreich
In Deutschland gibt es verschiedene Methoden zur Penoidbildung. Die beiden in Deutschland häufigsten sind:
Die Radialislappenplastik, bei der Gewebe aus dem Unterarm verwendet wird.
Die ALT-Lappenplastik, bei der Gewebe vom Oberschenkel entnommen wird.
Marlon steht jedoch vor einer besonderen Herausforderung: Aufgrund einer genetischen Nervenerkrankung, die durch jede Narkose und besonders durch eine lange Liegezeit unvorhersehbar beeinflusst werden kann, sucht er nach einer Methode, die weniger belastend für seinen Körper ist. Nach vielen Vorgesprächen in verschiedenen Kliniken entscheidet er sich für eine weniger verbreitete Kombinationsmethode, bei der ein großer Teil seines Rückenmuskels verwendet wird.
„Der Operateur versprach, dass die typischen Komplikationsrisiken deutlich geringer seien“, erinnert Marlon. Zudem sollte die Liegezeit insgesamt kürzer sein. Marlon setzt sein ganzes Vertrauen in den plastischen Chirurgen und lässt sich in einem kleinen Krankenhaus in Köln operieren.
Wie schlimm es ihn schlussendlich trifft, hätte niemand erahnen können.
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„Ich habe dabei zugeguckt, wie mein Körper zerfällt”
Kurz nach der Operation bekommt Marlon eine Thrombose im Penoid. Ein Blutgerinnsel blockiert die Blutzufuhr. Das frisch gebildete Genital muss in einer Notoperation geöffnet werden. In den folgenden Wochen versucht man, das Gebilde wiederherzustellen, doch währenddessen bekommt Marlon eine schwere Pseudomonas-Infektion. Dabei handelt es sich um einen Krankenhauskeim, der gegen die meisten Antibiotika resistent ist.
Er breitet sich in Marlons Intimbereich aus. „Diese Bakterien zerfressen das Gewebe – alles, was davon befallen ist, kann man nicht mehr retten“, erklärt Marlon.
Neben seinem Genitalbereich ist auch seine Blase betroffen. Wochenlang werden immer wieder Teile seines Fleisches rausgeschnitten, es gibt diverse Spülungen, starke Antibiotika sowie Schmerzmitteln wie Fentanyl, das er bis heute benötigt.
„Ich lag über zwei Wochen auf der Intensivstation und dachte wirklich, ich komme da nicht lebend raus.“ Das Genital, das Auslöser des Ganzen war, ist verloren. Doch es geht mittlerweile weniger darum, als vielmehr, Marlons Leben zu retten und seinen Zustand zu stabilisieren.
Innerhalb von drei Monaten unterzieht er sich 15 Operationen, die jeweils vier bis zwölf Stunden dauern. Fast neun Wochen darf Marlon nur liegen, keinen Schritt gehen, ist isoliert von der Außenwelt. Sein Leben gleicht einem Alptraum. „Ich habe dabei zugesehen, wie mein Körper zerfällt. Das war das Schlimmste, was mir je hätte passieren können. Darauf hätte mich niemand vorbereiten können.”
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Genitalverstümmelt nach OP, doch Marlon gibt nicht auf
Schließlich kann Marlon endlich stabilisiert werden. Doch sein Intimbereich ist ein einziges Narbengewebe. So schlimm, dass er sechs Monate nicht einmal mehr urinieren kann. „Man muss es leider so deutlich sagen: Ich bin genitalverstümmelt. Ich habe nichts mehr, außer Narben”, sagt Marlon.
Doch Marlon gibt nicht auf. Im Dezember letzten Jahres wird ein Teil der Narben korrigiert und eine Fistel (ein künstlicher Harnröhrenausgang) angelegt. Nach mehr als sechs Monaten kann Marlon endlich seinen Katheter ablegen und wieder über die angelegte Verlängerung der Harnröhre urinieren.
Krankenkasse und Gericht entscheiden: Marlons Fall ist nicht „dringlich” genug
Gut geht es ihm deshalb noch lange nicht. Sein Zustand bleibt ernst. Er hofft, auf eine weitere Operation, die sein Leid lindert. Doch da der Genitalbereich so schwer geschädigt ist, wird er von mehreren Kassenkliniken abgelehnt. Dort, wo er eine Chance hätte, müsste er mindestens zwei Jahre auf eine Operation warten.
Marlon findet schließlich eine auf seinen Fall vorbereitete Privatklinik, die ihn operieren will - doch es gibt ein großes Problem. Die Krankenkasse übernimmt lediglich knapp die Hälfte der 65.000 Euro. Marlon müsste 30.000 Euro aus eigener Tasche zahlen. Geld, das weder er, noch seine Partnerin oder Familie hat.
Warum zahlt die Krankenkasse nicht? RTL hakt nach. Ein Sprecher der TKK, bei der Marlon versichert ist, betont: „Es ist klar, dass er eine Korrekturoperation benötigt. Wir haben bereits im Rahmen unseres Ermessens den größtmöglichen Zuschuss befürwortet. ” Denn die gesetzliche Krankenversicherung bezahle solche Eingriffe nur in dafür zugelassenen Krankenhäusern - die Privatklinik gehöre nicht dazu.
Wir weisen darauf hin, dass bei den zugelassenen Krankenhäusern die Wartezeit bis zu einer Operation mehrere Jahre beträgt. Parallel stellt Marlon einen Eilantrag beim Sozialgericht. Doch es heißt: Sein Fall sei nicht dringlich genug.
„Die Kliniken entscheiden eigenständig auf Grundlage des aktuell vorliegenden Gesundheitszustandes / Befundes über die Dringlichkeit der Behandlung und Operation. Auch das Gericht sieht (...) keine besondere Dringlichkeit geboten. Dies bestätigen auch die Wartezeiten der angefragten Vertragskliniken”, so die TKK.
So könnt ihr Marlon helfen
Marlon sagt resigniert zu der Entscheidung: „Leider ist das die Realität von vielen Menschen mit schweren Erkrankungen und Sonderbelangen. Dafür ist unser System nicht geschaffen. Es entscheidet nicht die Menschlichkeit.”
Er hofft, dass er über die Spendenkampagne auf GoFundMe einen Teil der Operation zahlen kann. Zwar ist bislang weniger als ein Zehntel der erforderlichen Summe gespendet worden und die Operation soll schon in den nächsten Tagen stattfinden, doch Marlon gibt nicht auf. „Ich werde alles tun, damit ich diesen Termin wahrnehmen kann. Denn ich möchte wieder ein Leben haben. Ich will einfach normal sein.”