Welche Sätze künftig nicht mehr fallen sollten„Nicht nur Spiel und Spaß!“ Erzieherin findet klare Worte zu neuen Kita-Leitlinien

Erzieherin liest mit Zwillingen ein Buch.
Ebenfalls eine neue Leitlinie für Erzieher: Kinder sollen nicht gezwungen werden, sich mit Büchern zu beschäftigen, sondern freiwillig entscheiden
Julian Stratenschulte/dpa
von Larissa Königs

„Jetzt aber schnell, die anderen Kinder sind alle schon draußen!“
Solche Sätze sollen in Kitas in Brandenburg künftig nicht mehr fallen. Dort gibt es einen neuen Bildungsplan, nach dem Erzieher und Erzieherinnen jetzt einige Dinge vermeiden sollten - etwa, ein Kind aufgrund von bestimmter Kleidung zu loben oder zur Eile zu drängen. Doch warum? Und ist das überhaupt umsetzbar im Kita-Alltag? Wir haben mit einer Erzieherin gesprochen, die dazu eine ganz klare Meinung hat.

Vorsicht in der Kita: Diese Sätze sollten Erzieherinnen nicht mehr sagen

Der neue Bildungsplan Kita in Brandenburg enthält auf etwa 139 Seiten zahlreiche Handlungsempfehlungen. Sie sind zwar kein Zwang, aber sollten befolgt werden, um Kinder optimal zu fördern. Was genau das nun für die Erzieher heißt?

Sie sollen künftig unter anderem folgende Dinge nicht mehr sagen:

  • „Das ist falsch.”: Kinder sollten bei Fehlern nicht direkt korrigiert werden.

  • „Setz dich hin.“: Kinder sollten selbst entscheiden dürfen, ob sie sitzen, liegen oder stehen wollen.

  • „Iss auf, sonst wird morgen schlechtes Wetter.“: Kinder sollten selbst entscheiden, ob sie weiteressen wollen.

  • „Jetzt aber schnell!”: Kinder sollten nicht zur Eile angetrieben werden.

  • Alle nochmal auf Klo!”: Kinder sollen selbst entscheiden, wann sie auf Toilette gehen wollen.

  • „Der Paul hat das aber besser gemacht.“: Kinder sollten nicht miteinander verglichen werden.

  • „Lisa, das ist ein schönes Kleid.“: Kinder sollten nicht auf geschlechtsstereotype Kleidung angesprochen werden.

  • „Zur Begrüßung gibst du bitte die Hand.“: Kein Kind soll zu dieser Handlung gezwungen werden.

Doch wie realitätsnah sind diese Handlungsempfehlungen? Kathrin* ist Erzieherin und hat sich für RTL die neuen Vorgaben angeschaut.

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Grundsätzlich gut, aber ...

„Grundsätzlich finde ich die neuen Regelungen sehr fortschrittlich und gut”, sagt sie. Ihr sei zwar klar, dass es natürlich auch Gegenwind geben werden, „nicht jeder möchte sich ja weiterbilden.“ Aber man müsse bedenken, dass manche Dinge einfach nicht mehr aktuell seien.

Gerade hinsichtlich bedürfnisorientierter Erziehung seien die neuen Punkte in ihren Augen gut nachvollziehbar. „Das sind alles Sachen, die generell wichtig sind: Etwa, dass man Kinder indirekt korrigiert, so wenig Druck wie möglich auf sie ausübt und sie nicht verunsichert.“

Sie würde sich wünschen, dass diese Dinge überall bereits umgesetzt würden. Doch Kathrin weiß auch: „Nicht alles, was gut ist, kann man einfach so umsetzen.“

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Neue Regeln für Erzieherin nicht immer umsetzbar

„Man muss sich den Kita-Alltag so vorstellen: Die Kinder werden gebracht und haben in der Regel vielleicht 20 Minuten, um sich einzufinden, danach gibt es Programm. Morgenkreis, Frühstück, dann gehen alle raus, dann gibt es Spielzeit, dann Mittagessen, dann Ruhezeit und dann wird man wieder abgeholt. Das ist alles eng getaktet”, erklärt Kathrin. Zudem gäbe es noch für einige Kinder Frühförderung, andere hätten Sprach- oder Sport-Kurse und dann gibt es auch noch Ausflüge. Klare Strukturen seien daher essenziell.

Ohne diese seien viele Situationen gar nicht machbar, so die gelernte Erzieherin. Natürlich könne man kein Kind zwingen, sich zu erleichtern. Aber: „Wenn du weißt, dass du jetzt zwei Stunden mit Kindern spazieren gehen wirst, sagst du dann natürlich allen, dass sie nochmal auf Toilette gehen sollen - auch, wenn sie das vielleicht gerade noch nicht spüren.”

Auch beim Anziehen seien die neuen Leitlinien zwar in einer idealen Welt wünschenswert, aber schlicht oft nicht umsetzbar. „Wenn du 25 Kinder hast, zu zweit bist, ein Erzieher schon mit 24 Kindern draußen ist und du mit einem letzten Kind zurückbleibst, das eine halbe Stunde braucht, um sich anzuziehen - natürlich treibst du dann zur Eile an!” Sätze wie „Zieh doch jetzt die Jacke an!” seien normal. Tatsächlich habe man oft keine andere Wahl.

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„Kita-Alltag ist leider nicht nur Spiel und Spaß!”

Sie glaubt, dass die Realität in vielen Kindergärten gar nicht allen Entscheidungsträgern bewusst sei. „Kitaalltag sollte möglichst stressfrei sein, aber das ist er in der Regel nicht - das ist leider nicht nur Spiel und Spaß”, sagt Kathrin.

Sie sieht die strukturellen Gegebenheiten als Ursache. „Du bist darauf angewiesen, Druck auszuüben, damit der Alltag irgendwie halbwegs funktioniert. Und dann ist das manchmal schon fast wie ein kleiner Drill.“ Insofern sieht sie die neuen Leitlinien als genau das, was sie sind: eine gutgemeinte Empfehlung. Ob die immer umsetzbar ist? Fraglich.

*Hinweis: Kathrin heißt eigentlich anders. Zum Schutz der Erzieherin haben wir sie anonymisiert, der vollständige Namen ist der Redaktion bekannt.