Neue Test-Strategie in der Kritik

Nach dem Bund-Länder-Gipfel bleiben viele Fragen offen

Sie sind der „Goldstandard“: PCR-Tests sind beim Corona-Nachweis absolut sicher. Doch angesichts der explodierenden Infiziertenzahl werden sie knapp. Daher nehmen Bund und Länder nun Risiken in Kauf.
Am Montag haben Bund und Länder neue Corona-Beschlüsse gefasst. (Alle Beschlüsse in der Übersicht finden Sie hier) Doch die hinterlassen viele Fragen und stoßen auch auf Kritik: unausgegoren, in den Details unklar und womöglich zu leichtsinnig...
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RTL-Reporterin Franca Lehfeldt ordnet die Ergebnisse des Gipfels ein

Was sagen die Labore dazu?

Der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) rief die Politik zu Gesprächen über die angestrebte Ausweitung der PCR-Testkapazitäten auf. „Wir müssten wissen, um wie viel die Kapazität erhöht werden soll und in welchem Zeitraum“, sagte der Vorsitzende Michael Müller der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe um Geräte, um Mitarbeiter und auch die Frage, was passiere, wenn die höhere Kapazität aufgebaut und dann im Zweifel nicht benötigt werde. Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärte er: „Wir können die Kapazitäten nicht beliebig von heute auf morgen ausbauen.“ Der Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski, sagte der „Welt“, der Mangel an Laborpersonal lasse sich vorerst auch nicht beheben.

Gibt es PCR-Alternativen?

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Janosch Dahmen, hat bereits vorgeschlagen, PCR-Tests künftig im Pool-Verfahren auszuwerten. Deutschland hinke wegen seiner Strategie der Einzelauswertung anderen Staaten hinterher, sagte er derselben Zeitung. Beim Pool-Verfahren werden mehrere Proben gleichzeitig geprüft, wenn der Befund positiv ist, werden alle Tests nochmal einzeln ausgewertet. Das bindet weniger Kapazitäten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte dazu in der ARD mit Blick auf die Vorgängerregierung: „Dieses Verfahren ist vor einem Jahr nicht vorbereitet worden, darum können wir darauf jetzt nicht zurückgreifen.“ Im RTL-Interview betonte Lauterbach: Auch Deutschland hätte eine "relativ hohe Testkapazität mit den PCRs und wir werden jetzt daran arbeiten diese noch auszudehnen". Das ganze Interview können Sie im Video sehen.

Der Deutsche Städtetag schlug vor, zur Erweiterung der PCR-Kapazitäten auf sogenannte POC-PCR-Tests zu setzen, die ohne Labor auskommen und schnelle Ergebnisse liefern sollen. „Dafür müsste dann aber auch die Finanzierung für diese Test verbessert werden“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe der Deutschen Presse-Agentur.

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Was haben Bund und Länder beschlossen?

Wegen der sprunghaft steigenden Infektionszahlen reichen die derzeitigen Kapazitäten für die besonderes genauen PCR-Tests nicht mehr aus. Bund und Länder haben deshalb vereinbart, deren Einsatz auf Menschen aus Corona-Risikogruppen und Beschäftigte zu konzentrieren, die sie betreuen und behandeln - in Kliniken, Pflegeheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Zum Freitesten aus der Kontaktpersonen-Quarantäne oder Infizierten-Isolation sollen zertifizierte Antigen-Schnelltests reichen, die jedoch als weniger zuverlässig gelten.

Sind Schnelltests denn ausreichend sicher?

Lauterbach sagte: „Wenn zwei Antigentests hintereinander positiv sind, dann ist das fast so sicher wie ein PCR-Test.“ Es komme nur „ganz selten“ vor, dass sie ein falsches Ergebnis lieferten.

Der Laborärzte-Vertreter Müller sieht das anders: „Antigen-Schnelltests bieten zum Freitesten nicht genügend Sicherheit. Wir sehen in unserem Laboralltag zu viele falsche Schnelltestergebnisse und empfehlen daher das konsequente Freitesten im PCR-Verfahren.“

Auch der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb liegt auf dieser Linie. „Es ist problematisch, dass sich Klinik- und Pflegepersonal in Zukunft mit einem Antigentest nach sieben Tage freitesten kann“, sagte er dem RND. „Ich halte es für sinnvoll, dass in diesen sensiblen Bereichen weiterhin PCR-Tests verwendet werden.“

Was sagt die Opposition?

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus besteht sogar für alle Bürger auf PCR-Testmöglichkeiten, trotz der Engpässe. „Alle Bürger müssen bei Corona-Verdacht oder Infektion, aber auch nach überstandener Corona-Infektion die Möglichkeit haben, durch einen PCR-Test Gewissheit zu bekommen“, verlangte er in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nannte es „nicht befriedigend“, dass die PCR-Testkapazitäten nicht ausreichen. Die jetzt beschlossene Priorisierung bedeute, dass ab diesem Zeitpunkt „wir keine Ahnung haben, wie hoch die Infektionszahl wirklich ist“, sagte er in den ARD-“Tagesthemen“. In RTL Direkt verteidigte Söder seine Absicht, in Bayern Corona-Regeln unter anderem in Sport und Kultur zurückzunehmen. „Wir bleiben im Team Vorsicht, aber bitte auch mit Augenmaß, Omikron ist nicht Delta, und deshalb kann man nicht die gleichen Maßnahmen machen wie bei Delta.“ Das ganze Interview sehen Sie im Video.

Für Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch ist die neue Teststrategie „kein Durchbruch zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie, sondern ein einziges Kommunikationschaos“, wie er den Funke-Zeitungen sagte. (dpa/eku)

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