„Jeder sieht aus wie eine Kreatur aus einem Horrorfilm"

Seltene Krankheit! Als Victor aufwacht, sehen plötzlich alle wie Dämonen aus

Victor nimmt die Gesichter von Menschen plötzlich als verzerrte Fratzen wahr. Grund ist eine seltene Krankheit.
Victor nimmt die Gesichter von Menschen plötzlich als verzerrte Fratzen wahr. Grund ist eine seltene Krankheit.
CNN

An einem Wintertag beginnt Victors Albtraum.
Er wacht auf und plötzlich sehen sein Mitbewohner und dessen Freundin aus wie Dämonen: Sie haben katzenartige Augen, tiefe Narben und spitze Ohren. Victor (59) hat keinen Schlaganfall und auch keinen schlechten Drogen-Trip – vielmehr leidet er an einer extrem seltenen Krankheit. Was genau dahintersteckt.

„Es ist, als würde man Dämonen anstarren“

Er war schockiert, als der heute 59 Jahre alte Victor Sharrah zum ersten Mal die Symptome seiner extrem seltenen Krankheit hatte. Er habe in seinem Haus in Nashville auf der Couch gesessen und sein Mitbewohner und dessen Freundin kamen herein – und waren nicht mehr zu erkennen. Die einst vertrauten Gesichter hatten eine groteske Fratze, verlängerte Augen und tief eingekerbte Narben. An der Seite sah er spitze Ohren, ähnlich denen von Spock aus Star Trek.

„Es ist, als würde man Dämonen anstarren“, sagt Victor CNN. Er beschreibt seinen Albtraum: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf und plötzlich sieht jeder auf der Welt aus wie eine Kreatur aus einem Horrorfilm.“

Er habe versucht, seinem Mitbewohner zu erklären, was er sah. Doch: „Er hielt mich für verrückt. Dann ging ich nach draußen und alle Gesichter der Leute, die ich sah, waren verzerrt und sind es immer noch“, sagte Victor CNN.

Victor leidet an der Krankheit Prosopometamorphopsie (PMO)

Damals kann er sich seinen Zustand nicht erklären. Doch mittlerweile weiß er, dass er an der seltenen Erkrankung Prosopometamorphopsie (PMO), leidet. Dabei erscheinen Teile der Gesichter anderer Menschen in Form, Textur, Position oder Farbe verzerrt. Objekte und andere Körperteile einer Person bleiben in der Regel unberührt.

Wichtig sei zudem, dass sich die verzerrten Gesichter auch bewegen und Grimassen machen. Das distanziere Victor von anderen Menschen. Er habe das Gefühl, dass er „den Menschen nicht mehr so nahe komme wie früher.“

Bei vielen Betroffenen zeigen sich die Verzerrungen der Gesichter immer auf die gleiche Weise. So auch bei Victor: „Für mich sind die grundlegenden Verzerrungen bei jeder Person gleich: die Falten im Gesicht, die Wölbung der Augen und des Mundes sowie die spitzen Ohren“. Dennoch könne er die Menschen unterscheiden, anhand von Größe und Form des Gesichts und Kopfes der anderen Person.

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Ohren, die aus Köpfen ragen: PMO-Betroffene berichten von unterschiedlichen Symptomen

Manche Menschen mit PMO sehen auch ihr eigenes Gesicht verzerrt oder beschädigt. So hätten etwa Patienten gesehen, wie ihr eigenes Auge aus der Augenhöhle springe. Andere sehen nicht das ganze Gesicht, sondern nur die Hälfte als schief oder missgebildet.

Wieder andere haben gesehen, wie sich Gesichter in Drachen oder Fischköpfe verwandeln, oder wie Ohren aus den Köpfen herausragen. Einige Patienten berichten von verkürzten Armen, die an Gesichtern befestigt sind, von Augen, die den Schädel verlassen und sich vor dem Schädel drehen, oder von dritten Augen in der Mitte der Stirn von Menschen.

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Wie entsteht PMO?

Bislang gibt es weltweit nur 81 bekannte Fälle von PMO. Doch es gibt vermutlich eine hohe Dunkelziffer, sagt Brad Duchaine, Professor für Psychologie und Gehirnwissenschaften am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire. Dafür gibt es zwei Gründe.

Zum einen wissen manche Menschen gar nicht, dass sie eine Krankheit haben. „Es gibt Fälle von PMO, in denen Menschen mit dieser Krankheit aufwachsen und nicht wissen, dass Gesichter anders aussehen sollten“, erklärt Duchaine. Zum anderen gibt es die Sorge, als verrückt erklärt zu werden. Das liege auch daran, dass kaum jemand von der Krankheit wisse. Er habe festgestellt, „dass Menschen aus der ganzen Welt über die gleichen Symptome berichten, ohne etwas über andere Betroffene zu wissen.“

Da so wenig Wissen vorhanden ist, bestünde das Risiko, viele Menschen mit PMO mit Schizophrenie oder anderen ähnlichen halluzinatorischen Zuständen zu diagnostizieren. Diese würden dann häufig mit antipsychotischen Medikamenten behandelt oder sogar in eine Anstalt eingewiesen werden, sagte Antonio Vitor Reis Goncalves Mello, Doktorand für Psychologie und Gehirnwissenschaften in Dartmouth.

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Mittlerweile sei jedoch wissenschaftlich bewiesen, dass PMO sich nach einer Hirnverletzung, einem Tumor oder einer Infektion oder nach Anfällen wie bei Epilepsie entwickeln kann. So habe man in 50 Prozent der Fälle bei Patienten eine Veränderung in einem speziellen Teil des Gehirns gebildet. Deshalb sei man „zuversichtlich, dass sie sich das nicht nur einbilden“.

Jedes Gesicht sah für Victor „böse, verdreht und wahnsinnig“ aus

Victor hat Selbstmordgedanken, weil er Gesichter nur noch verzerrt sieht
Victor hat Selbstmordgedanken, weil er Gesichter nur noch verzerrt sieht
CNN

Victor leidet extrem unter der verzerrten Wahrnehmung. Irgendwann wird der Druck so groß, dass er an Selbstmord denkt. Er schreibt in eine Hilfegruppe: „Ich fühle mich, als würde ich mich abkapseln. Als ob ich innerlich sterbe. Jedes Gesicht, das ich nicht auf einem Bildschirm sehe, sieht böse, verdreht und wahnsinnig aus.“

Dort trifft er auf Catherine Morris – ein schicksalhafter Zufall. Sie arbeitet seit mehr als 30 Jahren in Schulen mit Sehbehinderten und hat sich auf visuelle Verzerrungen aufgrund von Farben spezialisiert. Sie testet mit Victor, wie er auf unterschiedliche Farben reagiert.

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„Als ich zur falschen Lichtfarbe kam, dem roten Licht, das die Verzerrungen verstärkte, sah ich, wie es passierte. Er fing an, eine regelrechte Panikattacke zu bekommen. Er zog sich vom Bildschirm zurück und sein Gesichtsausdruck war ziemlich entsetzt“, so Morris. „Dann stellte ich das Licht auf grün und bat ihn, die Augen zu öffnen. Er tat es und die Verzerrung war weg. Und er saß einfach da und weine wie ein Baby.“

Behandlung und Aufklärung sind das Ziel

Seither trägt Victor eine Brille mit grünen Gläsern – und hat wieder Kontakt zu seiner Tochter und seinen Enkelkindern, die für ihn zum ersten Mal normal aussahen. Mittlerweile arbeitet er mit den Wissenschaftlern aus Dartmouth eng zusammen. Gemeinsam testen sie verschiedene Maßnahmen zur Linderung oder Umkehrung der Symptome von PMO.

Dabei hat sich bereits gezeigt: Farbige Linsen helfen auch anderen Menschen mit PMO. Auch, wenn die Farben variieren können. Es ist das erste Forschungsprojekt dieser Art weltweit.

Für Victor ist es eine Chance, andere Betroffene, wie ihn, zu retten. „Ich hätte mich fast in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen“, sagt er. Das wolle er allen anderen ersparen. (lkö)

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