"Die Frage ist, wie mutig man sein kann, wenn man bezahlter Gast ist"
Vettel in der Zwickmühle: Zwischen Moral und Petrodollar

Unterhaltung, Geld, Klima und Menschenrechte, die Formel 1 fährt zwischen den Welten. In einem Spannungswelt von Moral und westlichen Werten einerseits. In einem hochkapitalisierten Kosmos, in dem ethische Fragen hinten anstehen, andererseits. Eine hochtechnisierte Rennserie, die immer mehr den Zwängen eines ökologischen Zeitenwandels unterliegt. Und die Partner? Es ist eine Frage des Geldes. Nicht der Moral. An kaum einem anderen Austragungsort lässt sich die Problematik besser veranschaulichen als Saudi-Arabien. Wie unter einem Brennglas. Das weiß auch Sebastian Vettel. Es ist eine Gratwanderung.
Aramco Titelsponsor von Aston Martin
Denn: Aramco, die derzeit die größte Erdölfördergesellschaft der Welt, ist Titelsponsor von Aston Martin. Viele Millionen Dollar pumpt der größte Konzern aus Saudi-Arabien Jahr für Jahr in die Kassen des Traditionsrennstalls. Und bezahlt auch einen Teil von Vettels Gehalt. „Wie unabhängig kann man sein, wenn man auf der Lohnliste steht?“, sagte der viermalige Weltmeister in einem Interview mit der „FAZ“.
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Einen Königsweg scheint es nicht zu geben, wenn man den Sport, den Beruf, den man liebt, ausüben will. „Man kann sagen: Boykottieren, gar nicht erst hingehen", sagte Vettel. „Anderseits kann man mit dem Gedanken hingehen: Wir vertreten unsere westlichen Werte, zeigen unsere Freiheit und stehen dafür ein. Die Frage ist, wie mutig man sein kann, wenn man bezahlter Gast ist.“
Ein Drahtseilakt für den Sport
Menschenrechte, Nachhaltigkeit, Freiheit Klimawandel, Saudi-Arabien wirkt wie ein Antagonist westlicher Vorstellungen. Und ist es auch. Ein Land, in dem Jugendliche hingerichtet werden. Ein Land, dessen Einnahmen sich zu hundert Prozent aus dem Export fossiler Energien speisen, die für den Klimawandel verantwortlich sind. Vor allem für Klimaschützer Vettel ein Drahtseilakt.
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Auch Rekordweltmeister Lewis Hamilton fährt mit Magenschmerzen in dem mittelalterlich anmutenden, fast theokratischen Königreich, in dem die Scharia das Fundament von Politik und Gesellschaft bildet. „Traut man sich, etwas dagegen zu unternehmen, wenn man dort ist? Andererseits gibt es gewisse Werte, für die wir einstehen müssen, weil sie größer sind als finanzielle Interessen“, betonte Vettel. Das große Aber: Es sei „Teil des Geschäftsmodells, dass Austragungsorte sehr viel Geld dafür in die Hand nehmen“, Rennen veranstalten zu dürfen. Zuschlag erhält der Meistbietende.
Unterhaltung versus Verantwortung
Für alle, die den Sport lieben, ein Dilemma. „Einerseits ist es Unterhaltung, anderseits hat man auch Verantwortung und sollte schauen, dass man mit den richtigen Werten und Symbolen vorangeht", sagte Vettel. Allerdings, auch das ist klar, es ist kein exklusives Problem der Formel 1. Das zeigen zuletzt die Diskussionen um die Olympischen Spiele in Peking und die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.
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Und diese Debatten werden die Formel 1 und den Sport auch künftig begleiten. Keine Lösung in Sicht. „Es ist ein Spagat zwischen finanziellen Interessen, um den Sport so auszutragen, wie wir ihn kennen, und der kritischen Betrachtung. Es geht nicht nur um Saudi-Arabien und Bahrain, die Olympischen Spiele waren in China. Die Frage ist, wie viele Länder noch übrigbleiben, wenn man sich allein den Formel-1-Kalender ansieht.“ Eine gute Frage. (tme)