RTL-Terrorexperte Michael Ortmann erklärt

Wie unterscheiden sich eigentlich die Taliban, der IS und Al-Kaida?

Michael Ortmann
Michael Ortmann ist RTL-Terrorismusexperte und berichtet regelmäßig über den Islamischen Staat.
RTL

von Maximilian Storr
Explosionen, Schüsse, Schreie, mindestens 85 Tote. Afghanistan ist von einem Anschlag am Kabuler Flughafen erschüttert worden. Unter den Toten waren auch 13 US-Soldaten. Doch nicht die herrschende Taliban, sondern die Terrororganisation „IS“ hat sich zu den Gräueltaten bekannt, reklamiert den Anschlag für sich.
Sie verfolgt in Afghanistan andere Interessen als die Taliban, das Terrornetzwerk Al-Kaida versucht in der Region ebenfalls wieder Einfluss zu gewinnen. Diese Terrorgruppen hatten in der Vergangenheit auch brutale Anschläge in Europa und den USA verübt. Aber wer sind diese Organisationen überhaupt? Wie unterscheiden sie sich und wie gefährlich sind sie? Auch für Deutschland? RTL-Terrorismusexperte Michael Ortmann klärt auf.
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Wer sind die Terrororganisationen?

  • Taliban – Erstmals in Erscheinung getreten sind die Taliban im Jahr 1984. „Sie sind eine Sammlungsbewegung aus den beiden Ländern Afghanistan und Pakistan“, erklärt Ortmann. Innerhalb der Taliban gibt es unterschiedliche Gruppierungen. „Das macht auch die Gespräche und Verhandlungen mit ihnen so schwierig“. Ihr Ziel: regionale Einflussnahme. „Sie wollen nicht den Islam in die Welt bringen, sondern in erster Linie in Afghanistan allein sein, ohne Fremde Einwirkung“, beschreibt Ortmann.

  • Al-Kaida – Die Organisation wurden im Kampf der USA gegen den Kommunismus eingesetzt, um in Afghanistan die Kommunisten zu verdrängen. Ihr bekanntestes Gesicht: Osama bin Laden. Ihre bekannteste Tat: Die Terroranschläge am 11. September auf das World Trade Center. Ähnlich wie der „IS“ ist auch Al-Kaida eine „transnationale terroristische Bewegung“, wie Ortmann erklärt. Ihr Kampf gilt den Feinden Gottes, zu denen die USA als auch mit Washington verbündete arabische Führungen und Israel gehören.

  • IS – Die Terrororganisation Islamischer Staat – auch „IS“ genannt – ging einst aus Teilen von Al-Kaida hervor. „Selbst Osama bin Laden hat diese Organisation als äußerst brutal beschrieben“, sagt Ortmann. Das Ziel des „IS“: „Sie wollen Europa und am besten die Welt erobern. Und um dieses Ziel zu erreichen hat der IS auf die höchstmögliche Brutalität gesetzt.“ Die Macht und die Einflussnahme des IS war 2014/2015 auf einem Höchststand, ist in den vergangenen Jahren aber gesunken. Dennoch „gab es ein Überbleibsel dieser Gruppierung, die sich in den Untergrund zurückgezogen hat und sich jetzt in Teilen wieder neu formieren“, klärt Ortmann auf.

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26.08.2021, Afghanistan, Kabul: Rauch steigt von einer Explosion außerhalb des Flughafens in Kabul auf. Die Explosion ereignete sich außerhalb des Flughafens, wo Tausende Menschen nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban auf der Evakuierung aus Afghanistan zusammengekommen sind. Nach Angaben der USA hat es eine bislang unbekannte Zahl von Toten oder Verletzten gegeben. Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Kirby, schrieb auf Twitter, das Pentagon könne bestätigen, dass die Explosion an einem der Flughafen-Tore «eine unbekannte Zahl von Opfern» verursacht habe. Foto: Wali Sabawoon/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Nach einer Explosion am Kabuler FLughafen seigt Rauch auf.
nwi, dpa, Wali Sabawoon

Was sind die Gemeinsamkeiten?

„Es gibt einen gemeinsamen Nenner. Sie sind gegen westliche Werte“, sagt Ortmann und erklärt: „Westliche Werte, das ist die Demokratie, das sind Wahlen, das ist die Gleichberechtigung der Geschlechter, das ist die Trennung von Religion und Politik, das ist eine unabhängige Justiz. Das finden alle drei ganz schrecklich.“

Sie wollen die Scharia – das islamische Rechtssystem – als die Grundlage gesellschaftlichen Lebens. Wichtigste Quellen der Scharia sind der Koran sowie die Sammlung überlieferter Sprüche des Propheten Mohammed. Von den Gelehrten der Terrorgruppen werden sie in radikaler Art und Weise gedeutet. „Alle Organisationen verbieten sich auch jegliche Einmischung durch Nationen, die sie als demokratische Nationen wahrnehmen, weil das überhaupt nicht ihren Werten entspricht“, sagt Ortmann.

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Was sind die Unterschiede?

Während der „IS“ und die Al-Kaida laut Ortmann eine „transnationale Agenda“ verfolgen, also die Errichtung eines Gottesstaates, der über die Grenzen des Mittleren Osten hinausführt, verfolgen die Taliban regionale Ziele, wollen also die Macht in Afghanistan sichern und ausbauen.

 Taliban fighters and Pakistani soldiers guarding the Torkham crossing side-by-side in Peshawar Taliban fighters stand guard on their side at a border crossing point between Pakistan and Afghanistan in Torkham in Khyber district. Peshawar khyber pakhtunkhwa Pakistan Copyright: HussainxAli
"Die Taliban verfolgen in Afghanistan regionale Ziele", erklärt RTL-Experte Michael Ortmann.
www.imago-images.de, imago images/Pacific Press Agency, Hussain Ali via www.imago-images.de

Wie gefährlich sind die Gruppierungen?

Der „IS“ habe in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren. Anschläge wie in Paris 2015 seien zwar immer noch denkbar, „aber bei weitem nicht mehr so einfach durchzuführen.“ „Al-Kaida hat dagegen im Windschatten der Jagd nach dem IS, die Möglichkeit gehabt, sich wieder aufzufrischen und neue Strukturen zu schaffen.“ Wie stark die Organisation aber in Zukunft aufgestellt sein wird, bleibe abzuwarten.

Fest steht: nach dem Abzug der US-Truppen, wittern alle Terrorgruppen wieder verstärkt die Möglichkeit, Einfluss zu gewinnen und ihre Macht auszubauen. Im schlimmsten Fall könnte das auch für Europa und Deutschland fatale Konsequenzen haben.