"Ich vermisse meine Mom"

QAnon-Verschwörung: So clever versuchen Kinder ihre Eltern aus dem Kult zu befreien

ARCHIV - 06.01.2021, USA, Washington: Unterstützer von US-Präsident Trump stehen auf dem Gang vor der Senatskammer im Kapitol. Unter den Eindringlingen in das US-Kapitol am Mittwoch in Washington sind auch Anhänger der rechten «QAnon»-Verschwörungstheorie gewesen. Vor allem Aufnahmen eines Aktivisten mit nacktem Oberkörper und einer Fellmütze mit markanten Büffelhörnern kursieren im Netz. Der «Schamane» war mit anderen bis in den Sitzungssaal des Senats vorgedrungen. Der Mann heißt Jacob Anthony Chansley und ist auch als Jake Angeli bekannt. Er ist als Verschwörungstheoretiker in Erscheinung getreten. (zu dpa «Sturm auf das Kapitol: Angreifer wollten laut Anklage Politiker töten») Foto: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Der sogenannte "QAnon-Schamane" ist eines der bekanntesten Gesichter des Kults, der viele Familien zerstört.
MC pat jai, dpa, Manuel Balce Ceneta

Donald Trump ist längst aus dem Amt - doch die Verschwörungstheoretiker um QAnon drehen trotzdem immer weitere Kapriolen. Im Netz tauschen sich ihre Kinder darüber aus, wie sie ihre Eltern zurückgewinnen können. Und greifen dabei zu cleveren Tricks.

QAnon-Verschwörung: Kult zerstört Familien

Die Eliten der Welt hätten sich verschworen, um Kindersklaven zu "ernten", Donald Trump wäre heimlich immer noch im Amt und Joe Biden eigentlich verhaftet und würde nur mit einem Hologramm gefälscht - das alles und viele weitere, teils sich selbst widersprechende Internetmärchen teilen die Anhänger von QAnon. Doch was den ersten Blick in erster Linie mächtig abgedreht wirkt, zieht in den USA Millionen Menschen in seinen Bann. Und zerstört damit Familien.

Die machen sich in verschiedenen Foren immer öfter ihrem Leid Luft. Bei Reddit etwa tauschen sie sich darüber aus, wie sie ihre geliebten Menschen immer weiter in den mächtigen Strudel des QAnon-Kultes verloren, berichten von den letzten Gesprächsversuchen und geben sich teils ganz konkrete Tipps, wie sie die Eltern, Ehepartner, Freunde und Verwandten aus dem Sog befreien können.

Auch QAnon-Aussteigerin Melissa Lively berichtete im Januar exklusiv bei RTL, wie der Verschwörungswahn ihr Leben zerstörte und wie sie dem Kult entkommen konnte.

Beziehungskiller Verschwörungstheorie

Die Geschichten, die sie erzählen, sind meist tragisch. Sie berichten von völlig normalen Menschen, die aus Loyalität zur republikanischen Partei, Ärger über die Clintons oder die Wut auf vermeintliche pädophile Eliten auf die Verschwörungsgeschichten aufmerksam werden. Und sich dann in ihnen verlieren. "Aus dem Nichts haben mir meine Eltern heute erklärt, dass sie fertig mit mir sind", berichtet "Pants_for_Bears" etwa. Dabei hatte er das Thema Politik sogar gemieden. Sein Fehler: Er hatte sich bei Twitter kritisch über den Sturm auf das Kapitol geäußert.

Die erschütternden Geschichten kommen aus der gesamten amerikanischen Gesellschaft. "Meine Mom war gebildet, sie war auf einer der besten Unis, sie hatte hohe Abschlüsse", berichtet etwa "elizabethanelevator". Doch dann sei sie über Trumps vermeintlichen Kampf gegen die Pädophilen immer weiter abgedriftet. Und plötzlich war sie so weit weg, dass sie ihr eigenes afro-amerikanisches Adoptivkind mit dem N-Wort beschimpfte. Am Ende nahm sie sich das Leben.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

QAnon-Aussteiger: Wege aus dem "Qult"

Viele versuchen, das Schlimmste zu verhindern, indem sie Wege, mit denen die Nutzer ihre Lieben aus dem Griff des "Qultes" zu befreien versuchen. Die jüngste Idee: Weil sich die Verschwörungstheorie vor allem über Facebook-Gruppen und Youtube-Videos verbreitet und gerade die wenig Tech-affine ältere Generation in die Falle tappt, geben sich die Nutzer Tipps, wie man gezielt Seiten im Router blocken kann, indem man sie etwa ins Leere laufen lässt. Ein Nutzer berichtet zudem, dass er auf seinem mit seinem Vater geteilten Youtube-Account sämtliche QAnon-Inhalte aus den Empfehlungen entfernen ließ. Sein Vater schaue nun mehr seiner Garten- und Kochkanäle, berichtet er.

Andere Ansätze suchen lieber das Gespräch. Sie zeigen Strategien auf, warum man statt auf Vorwürfe und Gegenargumente lieber auf Interesse und das geschickte Hinterfragen der Theorien setzen sollte. Statt die Gläubigen in die Enge und damit in eine Blockadehaltung zu drängen, ließen sich mit Fragen nach dem konkreten Nutzen der Beschäftigung mit den Theorien Zweifel sähen, durch die sie sich letztlich selbst befreien könnten, so die Idee. Auch der Gedanke, dass man die Menschen zwar nicht von ihren Ideen abbringen, aber die Rolle der Theorien in ihrem Leben verringern kann, gilt als erfolgsversprechend.

Licht am Ende des Tunnels: Bidens Amtsantritt rüttelt viele wach

Das funktioniert nicht bei jedem. Viele der Nutzer schreiben sich vom Herzen, wie sie die Freundschaft irgendwann aufgaben, den Kontakt zu den Eltern abbrachen oder ihre Ehepartner verließen. "Ich vermisse meine Mom", brüllte eine Nutzerin nach eigenen Angaben beim letzten Gespräch ihrer Mutter verzweifelt ins Gesicht. "Ich war mit meinem Mann essen und er konnte nicht aufhören, über Politik zu sprechen", klagt eine andere Nutzerin. "Ich habe ihm gesagt, dass wir am Ende sind und ich eine Scheidung will. Mein Töchter tun mir leid und ich habe Angst. Aber ich konnte die Arroganz nicht mehr aushalten. Ich hasse ihn." Die Nutzer haben Verständnis. "Was für eine kaputte Zeit, dass so ein irrer Scheiß wirklich Ehen ruiniert", fasst einer die Fassungslosigkeit zusammen.

Doch es gibt auch immer wieder Erfolgsgeschichten. Menschen berichten, wie ihnen irgendwann Zweifel kamen, wie der Amtsantritt Joe Bidens ihnen oder den Lieben die Augen öffnete. "Mein Vater hat klammheimlich meine Mutter zurückgeholt", erzählt ein Nutzer. Er habe eigentlich keine Technikkenntnisse, aber habe sich selbst beigebracht, Facebook und einzelne Youtube-Kanäle zu blockieren, habe das Interesse seiner Frau langsam und behutsam auf andere Dinge gelenkt. "Er ging sogar in die Oper. Meine Mutter wollte immer, aber mein Vater hasst es. Ich finde gar keine Worte dafür wie sehr er Opern hasst. Aber er ging mit ihr hin, so oft er konnte und meldete sie sogar in Opernforen an." Nicht mal den Kindern hatte er davon erzählt. "Als ich ihn darauf ansprach, sagte er, er wollte nicht, das wir schlecht über sie denken." Nun sei alles wieder normal. Eine Geschichte, die Hoffnung macht.

Quelle: Reddit

Hinweis: Dieser Artikel von Malte Mansholt erschien zuerst an dieser Stelle bei stern.de.