Bizarre Rede bei Sportler-Ehrung
Wladimir Putin verhöhnt die Welt mit seiner Klage über Menschenrechtsverstöße
Russland ehrt seine Olympia-Helden. Natürlich nicht alle. Präsident Wladimir Putin lädt eine ihm treu ergebene Auswahl in den Kreml ein. Das Ergebnis: eine völlig verstörende Inszenierung. Die Botschaft der Veranstaltung an den Rest des Planeten: Diesem Präsidenten ist alles egal. Und der wird in seinen Ausführungen sogar noch zynisch.
Beleg für Putins völlig verschrobene Weltsicht

Wladimir Putin spricht tatsächlich über Menschenrechtsverstöße. Während er einen brutalen Angriffskrieg führt. Während tausende unschuldige Zivilisten in der Ukraine qualvoll sterben. Durch seine Bomben, Bomben mit international geächteter Munition. Durch brutale Massaker seiner barbarischen Soldaten. Durch Hunger, den er als tödliche Waffe in der belagerten Stadt Mariupol einsetzen lässt.
"Unsere Athleten wurden aus zutiefst politischen Gründen diskriminiert, ausgehend von ihrer Staatsangehörigkeit und Nationalität", sagt der russische Präsident. Ja. Wladimir Putin spricht tatsächlich über Menschenrechtsverstöße. Gegenüber den Sportlern seines Landes, die von vielen internationalen Verbänden für beinahe alle Wettbewerbe gesperrt werden. Als sehr verzweifeltes Druckmittel gegen das brutale und enthemmte Handeln des russischen Präsidenten. Und der beruft sich nun bei einer Sportler-Ehrung auf die entsprechende Charta der Vereinten Nationen, deren dringliche Appelle zu Frieden und Besonnenheit im Irgendwo vorbeirauschen.
Im Wortlaut sagte er: "Der Ausschluss der Athleten aus Russland und Belarus hat nicht nur die Grundprinzipien des Sports verletzt, sondern verstößt auch offen und zynisch gegen die Grundrechte, welche die Vereinten Nationen in ihrer Menschenrechtscharta 1948 festgehalten haben."
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Zynischer geht es nicht. Und wäre die Klage an sich nicht schon absurd genug, gönnt sich der 69-Jährige an der Seite von ausgewählten Helden der Olympischen Spiele in Peking - sie bekommen den Vaterlandsorden verliehen - auch noch ein kleines Glas Champagner. Einen kräftigeren Tritt in den Hintern der angespannten Welt kann man nicht verteilen. Ein bemerkenswerteres Statement für seine völlig verschrobene Weltsicht geht nicht.
"Wir werden nicht scheitern"

Sein Außenminister Sergei Lawrow sinniert über die Gefahr des dritten Weltkriegs. Sein Verteidigungsministerium droht Großbritannien wegen seiner pro-ukrainischen Rhetorik mit Bomben auf London und westlichen Politikern mit Angriffen, wenn sie in die Hauptstadt Kiew reisen. Die Liste der wild und unkontrolliert um sich greifenden Attacken lässt sich nahezu beliebig fortsetzen. Und Putin malt ein skurriles Unfaire-Welt-Szenario, welches die Grundprinzipien des Sports verletzt. Er versteht die Welt nicht mehr, die er gegen sich aufgebracht hat.
Natürlich ist es legitim, darüber zu streiten, ob der Bann der russischen und belarussischen Athleten (weil das Land im Krieg an der Seite von Putin steht) ein zielführendes und faires Mittel ist. Ob der Druck von Sportlern dazu beitragen kann, Putin den Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen. Und es gibt ja auch Sportler, die sich sehr klar gegen die "Spezialoperation" in der Ukraine positioniert haben. Anderen scheint es wegen drohender Repressionen gegen sich selbst oder die Familie nicht möglich. Aber es gibt auch jene, die Putins Kurs stützen.
Wie etwa die Langläuferin Veronika Stepanova, eine der lautesten Klageführerinnen gegen den Sportler-Bann, die nun ihre Einstellung offenbart hat. Bei der Gala im Kreml sagte sie: "In meinen Augen ist Russland wieder stark, stolz und erfolgreich geworden. Das mag offensichtlich nicht jeder in der Welt. Aber wir sind auf dem richtigen Weg und wir werden definitiv gewinnen, so wie wir bei den Olympischen Spielen gewonnen haben." Anschließend dankte sie Putin, dass er die russische Flagge hochhalte und sagte: "Wir werden nicht scheitern."
Putin spricht das Wunderkind in seiner Welt frei

Wie viel freie oder erzwungene Überzeugung in diesen Sätzen steckt, das lässt sich nicht prüfen. Aber es ist kein Geheimnis, dass Sportler immer wieder für politische Zwecke instrumentalisiert werden. So wurde auch das Eislaufwunderkind Kamila Walijewa wieder präsentiert. Das in dem Spannungsfeld zwischen dem Startrecht und der positiven Dopingprobe in der Einzel-Kür zerbrochen war - samt eiskalter Schelte ihrer Trainerin. Die Welt war schockiert und in Sorge, dass die seit diesem Dienstag 16-Jährige eines jener Wegwerfkinder werden würde, die das sportliche Ideal am Maximum nicht erreichen kann - und nicht mehr gebraucht wird.
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Doch Putin nahm das zaghaft lächelnde Mädchen verbal in den Arm, verteidigte sie gegen die Attacken von außen. Gegen die Attacken der unfairen Welt, die sich fast kollektiv gegen Russland verschworen habe. Gegen die Attacken der lästigen Dopingjäger. Walijewa bedankte sich artig: "Für mich ist es eine große Ehre, an meinem 16. Geburtstag eine staatliche Auszeichnung vom Präsidenten der Russischen Föderation zu bekommen. Vielen Dank Ihnen dafür, dass Sie den Sport lieben und die Sportler unterstützen – das ist uns sehr wichtig."
Und Putin legte nach. Nahm die Angriffe auf das Wunderkind als Anlass, sie in seiner eigenen Welt freizusprechen. "Eine derartige Perfektion wie jene von Kamila ist auf unehrliche Weise nicht zu erreichen, auch nicht mit Substanzen und Manipulationen", sagte er. Stattdessen sei "sehr gut bekannt", dass Doping im Eiskunstlauf keinerlei Vorteile bringe. Dass ausgerechnet Putin über illegale Substanzen faselt, wo Russland doch wegen staatlich orchestriertem Doping bei den Heimspielen in Sotschi im Nachgang für Jahre als Nation von Weltmeisterschaften und von Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde, gehört zu den weiteren Absurditäten dieser bizarren Gala. Ist aber nicht das Ende der Geschichte.
Auf einer Sitzung mit Sportfunktionären forderte Putin angesichts des Ausschlusses Russlands von fast allen internationalen Wettbewerben, eigene Spiele und auch Teilnehmer aus dem Ausland zu organisieren. Zudem kritisierte er das Abschneiden der russischen Mannschaft bei den Winterspielen. Die selbstgesetzten Ziele seien nicht erreicht worden. Was für eine Parallele zum Krieg in der Ukraine. Sorry, das ist zynisch. (tno)