Erhöhtes Risiko psychischer Probleme

Neue Studie: Einsamkeit kann krank machen

Einsamer Mann in leerem Raum
2016 lebten 41 Prozent der Deutschen allein. Wirkt sich das auf das psychische Befinden aus?
picture alliance

Immer mehr Menschen leben allein – auch in Deutschland. Die steigende Zahl der Einpersonenhaushalte könnte mit mehr psychischen Erkrankungen einhergehen, dazu gehören Ängste und Depressionen. Diesen Zusammenhang legt eine Studie der Universität Versailles Saint-Quentin-en-Yvelines nahe. Warum das mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammenhängt und was Betroffene tun können.

Betroffen sind alle Altersgruppen und Geschlechter

Wie die Forscher im Fachblatt „PLOS ONE“ berichten, haben Alleinlebende 1,5- bis 2,5-mal eher eine der häufigsten psychischen Erkrankungen als andere Menschen. Dazu gehören etwa Depressionen sowie Angst- und Zwangsstörungen. Dabei sind alle Altersgruppen und Geschlechter betroffen, wie die Wissenschaftler betonen. In allen Umfragen war ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Alleinleben und der Verbreitung psychischer Erkrankungen feststellbar, so die Mediziner, und das unabhängig von Geschlecht oder Alter der Teilnehmer. Der größte Faktor war dabei Einsamkeit: Fühlte sich jemand einsam, war auch das Risiko einer psychischen Erkrankung besonders hoch.

Unterschied zwischen allein und einsam

In seiner unabhängigen Einordnung der Studie betont Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe, dass es einen Unterschied zwischen Alleinleben und Einsamkeit gebe: „Wenn das Alleinsein gewollt ist, kann es für Menschen durchaus positiv sein.“ Einsamkeit bezeichne hingegen den ungewollten Verlust von Beziehungen.

Das Team um den Mediziner Louis Jacob von der Universität von Versailles nutzte die Daten von 20.500 Menschen aus England im Alter von 16 bis 64 Jahren, die 1993, 2000 und 2007 an der „National Psychiatric Morbidity“-Erhebung teilgenommen hatten. Dabei wurde die psychische Gesundheit der Teilnehmer mithilfe von Interviews und Fragebögen ermittelt. Zusätzlich zu den so gesammelten Daten nutzten die Forscher Informationen zu Größe und Gewicht, Alkoholabhängigkeit, Drogenkonsum, sozialem Netz sowie dem Gefühl von Einsamkeit.

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Immer mehr Menschen leben allein

Eine steigende Lebenserwartung sowie sinkende Heirats- und Geburtenraten sind nur drei der Gründe, die dafür verantwortlich gemacht werden, dass mehr und mehr Menschen allein leben. Einige wählen diese Lebensform auch ausdrücklich.

In Deutschland waren 2016 nach Daten des Statistischen Bundesamtes 41 Prozent aller Haushalte sogenannte Einpersonenhaushalte. Ein Anteil, der deutlich über dem EU-Schnitt von 33 Prozent liegt. Die gesundheitlichen Folgen des Trends wurden schon in zahlreichen Studien untersucht. So ergab etwa eine finnische Untersuchung 2012, dass die Wahrscheinlichkeit innerhalb von acht Jahren eine Depression zu bekommen, bei Alleinlebenden um nahezu 80 Prozent erhöht sei.

Anonymität in Großstädten

Arno Deister wertet die Studie der Universität von Versailles als sorgfältig aufgebaut und wichtig. Der Psychiater warnt jedoch davor, vorschnell Zusammenhänge herzustellen: „In Großstädten gibt es zum Beispiel mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen, was oft mit der Anonymität dort erklärt wird“, sagt er. „Häufig suchen psychisch kranke Menschen aber bewusst die Anonymität, zudem ist die Versorgungslage in Großstädten besser.“

Nichtsdestotrotz sei hinreichend erforscht, dass sich Einsamkeit negativ auf die psychische Gesundheit auswirke, kommentiert Psychologie-Professor Jürgen Margraf von der Universität Bochum: „Stabile und vertrauensvolle soziale Beziehungen sind der beste Schutz für die psychische und auch körperliche Gesundheit.“ In Großbritannien wurde 2018 eine Ministerin für Einsamkeit ernannt, um die Wichtigkeit dieses Themas zu betonen. Was ihre Ziele sind, sehen Sie im Video.

Wir müssen auf unsere Mitmenschen achten

Laut Arno Deister begünstigen gesellschaftliche Veränderungen das Alleinleben und somit das Potenzial für Einsamkeit: „Wir beobachten eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft.“ Gleichzeitig habe sich das Kommunikationsverhalten, etwa durch soziale Medien, grundlegend verändert: „Die Kommunikation ist ja nicht weniger geworden, sondern wahrscheinlich sogar mehr, aber sie ist eben ganz anders.“

Zudem sei Einsamkeit immer noch schambesetzt. Viele einsame Menschen suchten sich daher keine Hilfe: „Entsprechend kommt viel aus der Einsamkeit bei uns in der Therapie nie an.“ Er plädiert dafür, das Thema gesellschaftlich zu setzen und Menschen dafür zu sensibilisieren, ein Auge auf ihre Mitmenschen zu haben.

Hier hat Margraf konkrete Handlungsvorschläge: „Man muss dafür sorgen, dass die Menschen sich begegnen, miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen.“ Dabei sei jeder Einzelne gefragt: „Wenn wir unsere Einkäufe nun auch noch ins Internet verlagern, haben wir ein massives Problem.“

Quelle: DPA/RTL.de