Auch Aaron Carter (†34) nahm das Medikament

Süchtige erzählt: "Ich weiß, wie gefährlich Xanax ist - und will dennoch nicht davon weg"

Depression, drug abuse and addiction people concept.
Die US-Amerikanerin Erin S. nimmt seit drei Jahren täglich Xanax. Sie ist abhängig von einem Medikament, das ihr noch immer die Ärzte verschreiben. (Symbolbild)
iStockphoto
von Lauren Ramoser und Anna Kriller

Seit drei Jahren nimmt die Amerikanerin Erin S. täglich Xanax gegen ihre Panikattacken. Sie weiß, wie gefährlich die Tabletten sind, kommt aber nicht davon los - und will es auch nicht. Wir erklären, warum so viele US-Amerikaner abhängig sind, darunter auch US-Sänger Aaron Carter, der am 5. November im Alter von nur 34 Jahren tot aufgefunden wurde.
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"Eine Tablette stoppt eine Panikattacke in 15 Minuten"

Es fing mit einigen kleinen Panikattacken an, ausgelöst durch die Sorge bei der Jobsuche kurz nach dem Abschluss am College. Ihr damaliger Hausarzt im US-Bundesstaat Missouri verschrieb Erin S. zur Beruhigung Xanax. „Es ist ein sehr starkes Medikament. Eine Tablette kann eine Panikattacke innerhalb von 15 Minuten ohne weiteres stoppen“, erzählt die US-Amerikanerin im Gespräch mit RTL. „Gleichzeitig löst es ein euphorisches Glücksgefühl und eine starke mentale Entspannung aus.“

Und genau darin liegt das Problem, denn dieses Glücksgefühl macht abhängig – vor allem Menschen, die ohne Xanax mit Panikattacken oder einer Angststörung zu kämpfen haben.

Was ist Xanax?

„Xanax ist ein Wirkstoff, der zu den Benzodiazepinen gehört“, erklärt Dr. Christoph Specht im RTL-Interview. Dazu gehöre beispielsweise auch Valium. Xanax werde bei Angstzuständen eingesetzt und habe ein hohes Suchtpotenzial, bekräftigt auch der Experte.

„Das ist saugefährlich“, warnt Specht, Ärzte sollten beim Verschreiben extrem vorsichtig sein. Erstmal werde man zwar gelassener, dann lösten Medikamente wie Xanax aber sehr schnell eine Sucht aus, weil man immer mehr davon benötige und die Dosis steigern müsse – ein teuflischer Kreislauf. „In Amerika wird die Pilleneinnahme sehr lax gehandhabt“, erklärt Specht.

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Laut des amerikanischen „National Institut of Drug Abuse“ (Nationales Institut des Medikamentenmissbrauchs) sei Xanax vor allem in Kombination mit anderen Medikamenten und Drogen für viele Tode verantwortlich. Auch Superstar Aaron Carter könnte ein solcher Medikamenten-Cocktail zum tödlichen Verhängnis geworden sein, das endgültige Obduktionsergebnis steht allerdings noch aus. Fest steht: Eine Studie des Instituts von 2020 zeigt, dass in 16 Prozent der Todesfälle durch eine Überdosis in den USA auch ein Benzodiazepin wie Xanax beteiligt war.

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"Es macht so stark süchtig"

Diese Sucht kennt Erin von sich selbst und von vielen Menschen in ihrem Umfeld. „Mein Schwiegervater nimmt es seit 11 Jahren. Ich glaube, dass viele US-Amerikaner stark abhängig sind. Da es so stark süchtig macht, ist es schwer, davon loszukommen“, so Erin S.

Sie nimmt die Tablette jeden Tag, obwohl das Medikament eigentlich nur akut eingenommen werden soll – laut Packungsbeilage eben dann, wenn sich eine Panikattacke anbahnt. „Es hilft einfach so gut gegen meine Ängste, dass ich es dauerhaft nehme“, gesteht Erin.

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Genau darin liegt ein weiteres Problem: Laut Hersteller Pfizer soll das Beruhigungsmittel von Ärzten eigentlich nur über einen kurzen Zeitraum verschrieben werden, eben weil es so stark abhängig machen kann. Das „American Addiction Center“ (Amerikanisches Institut für Abhängigkeit) vermeldet, dass nach sechs Wochen mit Xanax vier von zehn Patienten süchtig nach dem Beruhigungsmittel seien. Laut „Addiction Center“ ist Xanax das am häufigsten verschriebene Psychopharmaka der USA.

Wie also können so viele US-Amerikaner über Jahre und Jahrzehnte abhängig sein? Wie kommen so viele Menschen an das Medikament?

Ihre Erfahrung interessiert uns:

Laut Hersteller Pfizer nur für akute Krisen - woher kommen also die Süchtigen?

Tatsächlich finden viele US-Amerikaner einen Weg, sich das Medikament dauerhaft zu besorgen. „In Missouri war es unfassbar leicht, über Jahre an das Rezept zu kommen“, erklärt Erin. Die Ärzte haben es entgegen der Hersteller-Empfehlung einfach weiterhin verschrieben. Wenn nicht, sei sie eben einfach zu anderen Ärzten gegangen.

Andere Abhängige klauen Tabletten von Familienmitgliedern oder kaufen sie illegal von Dealern. Die USA kämpfen seit Jahren gegen eine nationale Opioid-Krise, jährlich sterben laut offiziellen Zahlen etwa 42.000 Menschen an einer Überdosis des starken Schmerzmedikaments. Weil viele Ärzte auch diese Medikamente nach einiger Zeit nicht mehr verschreiben, hat sich ein illegales Netzwerk aus Dealern gebildet, dass die Süchtigen weiterhin mit Opioiden versorgt. Und die haben oftmals auch Beruhigungsmittel wie Xanax im Angebot.

"Im Moment will ich nicht davon loskommen"

Vor einigen Monaten ist Erin umgezogen. Colorado im Westen der USA hat deutlich weniger soziale Probleme als Missouri. „Hier ist es schwieriger, weiterhin Rezepte für Xanax zu bekommen“, sagt Erin. „Wenn ich niemanden finde, muss ich vielleicht einen Entzug machen.“ Zu Dealern will sie nicht gehen, sie habe zu viel Angst vor verunreinigten Pillen.

„Ich weiß, dass Xanax gefährlich und ungesund ist“, sagt sie. Ob sie dann nicht glücklich über einen Entzug wäre? Erin: „Manchmal ja, manchmal nein. Im Moment will ich eigentlich nicht davon loskommen.“

Hier finden Sie Hilfe in schwierigen Situationen

Sollten Sie selbst Depressionen haben und/oder von Suizidgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen! Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, anonym mit anderen Menschen über Ihre Gedanken zu sprechen. Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich. Wenn Sie schnell Hilfe brauchen, dann finden Sie unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 Menschen, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.