Alles im Leben ist möglich

Sie ist Mutmacherin für viele Menschen

Christina Wechsel - auch mit Prothese erklettert sie die Berge
Christina Wechsel - mit Blick auf den Tafelberg
Andrea Muhleck, Andrea Muhleck (Andrea Muhleck (Photographer) - [None]

Christina Wechsel (40) ist Mitte Zwanzig, als sie drei schwere Schicksalsschläge erlebt. Innerhalb eines Jahres verliert sie ihre Mutter, ihren besten Freund und hat eine Bein-Amputation, aber sie kämpft sich zurück ins Leben. Heute arbeitet sie in München als Coach und Heilpraktikerin und unterstützt andere Menschen mit ihrer Erfahrung.

Ihr Lebenstraum ist eine Weltreise

Der Lebenstraum der damals 25jährigen ist eine Reise um die Welt. Sie hat das „Around-the-World“-Ticket bereits in der Tasche, als ihre Mutter an Krebs erkrankt.

Sie storniert das Ticket, um für ihre Mutter da zu sein. Doch die Mutter stirbt kurze Zeit später, mit 57, an Krebs. Um den Verlust zu verarbeiten, reist Christina mit ihrem besten Freund Ronny nach Australien. Dort und in Neuseeland planen sie, ein Jahr zu reisen. Doch es kommt wieder anders, die Reise endet in einer Tragödie: Auf dem Weg zum Ayers Rock haben die Freunde einen schweren Autounfall, für dessen Ursache Christina bis heute keine Erklärung findet. Die Fahrerin, eine Freundin von Ronny und Christina, hatte die Kontrolle über den Wagen verloren. Ihr bester Freund Ronny stirbt noch an der Unfallstelle. Christina selbst liegt wochenlang mit schwersten Verletzungen in einer australischen Klinik. Sie hat innere Verletzungen, eine kollabierte Lunge und eine angerissene Beinarterie. Dann die Schocknachricht: Ihr linker Unterschenkel muss amputiert werden. Ihr Vater und ihr Bruder sind immer an ihrer Seite und unterstützen sie. Als ihr australischer Arzt ihr sagt: „Christina, das nächste Mal, wenn wir uns wiedersehen, werden wir zusammen tanzen,“ konnte sie sich das kaum vorstellen.

Neuer Lebensmut durch die Prothese

Zurück in Bayern verbringt sie weitere vier Monate in einer Rehaklinik in Murnau. Dort kommt Christina im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine. Zehn Wochen dauert es bis zu dem Tag, an dem Christina mit ihrer ersten Prothese zu laufen begann. In dieser Zeit quält sie sich mit Fragen, "Was kann ich jetzt eigentlich noch? Geht Autofahren? Kann ich später wieder joggen?" Für die sportliche Christina ist die Amputation schwer zu ertragen. Doch mit ihrer inneren Stärke und Ausdauer schafft sie es, sich aus dem Tief wieder heraus zu kämpfen. Heute steigt sie mit ihrer Prothese wieder auf Berge, hat Sportarten wie Schwimmen und Tauchen für sich entdeckt.

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Bin ich noch attraktiv für Männer?

Hier haben sie sich 2007 kennengelernt.
Christina und ihr Mann Ecki auf dem Oktoberfest in München.
privat, privat

Auch diese Fragen treiben sie um: „Bin ich noch attraktiv für Männer?“, „Wann erzähle ich nach dem Kennenlernen von der Prothese?“, „Soll ich sie vor einem Mann abnehmen?“. Schon sechs Monate nach der Amputation lernt sie 2007 auf dem Oktoberfest ihren heutigen Mann Ecki kennen. Für ihn spielt es keine Rolle, dass sie eine Prothese trägt. Er bestärkt sie darin, dass sie trotzdem alle Ziele, die sie sich setzt, erreichen kann. Er habe „ihr Inneres gesehen, ihre ganz eigene Essenz“. Über ihn sagt Christina: „Ecki war meine beste Gehschule“, Klar fragte auch er sich anfangs, wie würden sie klar kommen, kann er mit Christina Berge besteigen, wandern gehen, wichtige Fragen für den naturverbundenen Sportler. Das Paar beweist, dass all das, trotz Prothese, möglich ist. Anfangs hat er sie beim Wandern auf den Schultern getragen, mittlerweile gehen die beiden leidenschaftlich gern sogar gemeinsam klettern. Seit 2016 sind sie verheiratet. Mit Ecki verwirklicht Christina ihre Träume: im Herbst werden sie für ein Jahr nach Kapstadt ziehen. Dort sind zwei Dinge vereint, die Christina so sehr liebt: die Berge und das Meer.

Niemand kann meine Seele amputieren

Wenn wir unserem Herzensweg folgen, werden unsere Möglichkeiten grenzenlos
Christina Wechsel lebt ihr Credo: Wenn wir unserem Herzensweg folgen, werden unsere Möglichkeiten grenzenlos
Privat, Privat

Ihre Erfahrungen nutzt Christina, um nun auch anderen zu helfen. Ihr liegen besonders die Menschen am Herzen, die auch eine Amputation vor sich haben. Oder bereits hinter sich haben. Ihnen möchte sie helfen und mit ihrer eigenen Erfahrung zur Seite stehen. Auch denjenigen, denen klassische schulmedizinische Therapien keine Linderung bringen. Die gelernte Hotelfachfrau hat umgeschult: Seit 2016 betreibt sie eine eigene Naturheilpraxis in München. Helfen will sie anderen auch mit ihrem Herzensprojekt PiK ("Peers im Krankenhaus"). Dabei stehen Menschen, die schon seit Längerem mit einer Amputation leben, denen bei, die kurz vor einer OP stehen oder sie gerade erst hinter sich haben. Die Peers sind für andere Betroffene da, hören zu, beantworten Fragen. Fragen, die sich Christina damals selber gestellt hat. Die Menschen vertrauen ihr, weil sie wissen, dass sie die gleichen Erfahrungen gemacht hat, wie sie. Zurzeit begleitet sie eine Frau, der – genau wie Christina – der Unterschenkel amputiert wurde. Für diese Frau ist Christinas Begleitung besonders wertvoll, ihr kann sie auch ganz praktische Fragen stellen, beispielsweise nach der Gartenarbeit. Christina hat ihr ihren Hocker geschickt, den sie damals von ihrer Schwiegermutter bekommen hat. Damit ist Gartenarbeit problemlos möglich. Zurzeit läuft sogar eine Studie zum PiK-Projekt und welchen Mehrwert die sogenannten Peers für die Betroffenen haben.

Christina ist sicher: "Egal, was kommt, nichts und niemand kann mir meine Seele amputieren." Auch wenn einer ihrer Unterschenkel nicht mehr da ist, fühlt sie sich heute ganz. Diese Gewissheit, die Kraft und das Selbstvertrauen möchte sie anderen Menschen mitgeben.

In ihrer Praxis kümmert sie sich auch um Patienten mit Schwerpunkt Frauenheilkunde und Kinderwunsch, bietet manuelle Schmerztherapie an und „Lebenshilfe und Beratung nach Amputation“.

(psc)