Vier Monate nach dem Anschlag in Hanau
Mercedes' (†35) Familie lebt noch immer gegenüber dem Tatort
Am 19. Februar 2020 tötete Tobias R. zehn Menschen in der hessischen Stadt Hanau. Die ersten Schüsse fielen in einer Shishabar in der Hanauer Innenstadt, dann fuhr der Attentäter weiter und feuerte auch im Stadtteil Kesselstadt auf Menschen. Später erschoss der 43-jährige Deutsche in der Wohnung seiner Eltern die eigene Mutter und sich selbst. Die Wut und das Entsetzen über die rechtsradikale Tat waren und sind immer noch groß. Filip Goman verlor bei dem Anschlag seine Tochter Mercedes Kierpacz. Die 35-Jährige wohnte mit ihrer Familie direkt gegenüber dem Ort, an dem sie ermordet wurde. Dass ihr Vater und weitere Angehörige noch immer in der Wohnung mit Blick auf den Tatort leben müssen, ist für sie kaum zu ertragen. Eigentlich sollte die Familie eine neue Wohnung bekommen – weshalb das bisher nicht geschehen ist, erzählt Filip Goman im Video.
Shishabar-Besitzer: "Vieles ist nicht mehr wie früher"
Auf dem Marktplatz in Hanau erinnern immer noch Kerzen, Blumen und Fotos der Opfer an die schreckliche Tat vor vier Monaten. „Die Familien sind zerstört, das sieht man jeden Tag und du siehst jeden Tag die Menschen, die zerstört sind, das ist ein sehr großer Schmerz und Trauer“, erzählt Kemal Kocak. Er war der Besitzer einer der Shishabars, in dem junge Menschen starben. Mittlerweile betreibt Kocak einen Kiosk in der Innenstadt: „Wenn Sie mich jetzt fragen, ob ich das nochmal machen würde oder könnte, sehr wahrscheinlich nicht, weil ich bin unter psychologischer Betreuung wie viele Angehörige auch. Wir haben die Kontrolle über uns verloren gerade, es ist extrem belastend alles, vieles ist nicht mehr wie früher.“ Deutschland hat eindeutig ein Rassismus-Problem, sagt er. Und darüber sind sich viele Menschen in Hanau einig.
Corona-Krise erschwerte die Verarbeitung der Situation nach Hanau-Anschlag
Opferbeauftragte wie Robert Erkan sind normalerweise ganz nah an den Angehörigen, versuchen bei der Trauerbewältigung zu helfen. Doch kurz nach der schrecklichen Tat vor vier Monaten kam plötzlich die Corona-Krise. „Wir mussten sofort quasi ins Homeoffice und mussten von dort aus die Arbeit weitermachen, also Social Distance, keine körperliche Nähe, keine direkten Ansprachen, das war natürlich Gift für die Verarbeitung der Situation“, so Erkan. Der Opferbeauftragte versucht sich seit Monaten um die Opfer zu kümmern. „Der Angriff hat uns ziemlich tief getroffen. Der Schmerz ist weiterhin ungebrochen für die Angehörigen.“
So wird es auch wohl noch lange bleiben. Viele Menschen in Deutschland positionierten sich ganz klar gegen Rassismus. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov sind bei dem Anschlag in Hanau ums Leben gekommen. Sie alle bleiben unvergessen.
Wichtige Hilfe für Hinterbliebene
Ehepartner, Kinder und Eltern von Getöteten bekommen nach einem Antrag 30.000 Euro und Geschwister 15.000 Euro. Das Geld kann eine Unterstützung sein, für viele Familien ist durch den plötzlichen Tod ihrer Kinder, Brüder und Schwestern eine wichtige Einnahmequelle weggefallen. Viele der Hinterbliebenen sind außerdem in Therapie. Viele hatten nach der Tat Angst, vor die Tüt zu gehen.