RTL traf Anna und ihren Sohn Anton im ExilMutter versteckt sich mit ihrem Sohn vor Behörden - wurde das Kind durch den Vater missbraucht?

Anna lebt mit ihrem Sohn versteckt im Exil.
Anna lebt mit ihrem Sohn versteckt im Exil.
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von Dina Speranza

Alles scheint normal, Mama deckt den Frühstückstisch, während ihr Sohn noch im Bad ist. Doch normal ist hier gar nichts, niemand darf wissen, wo die beiden wohnen, niemand darf sie sehen oder Mama und Kind erkennen. Anna, so nennen wir sie, ist mit ihrem Kind untergetaucht und sie steht dazu. Sie leben am Rande der Illegalität. Wie will Anna ihrem Kind hier Halt geben? Und warum setzt sich jetzt die Kinderschutzexpertin des Familienministeriums für sie ein?

Anna ist seit drei Monaten mit ihrem Sohn untergetaucht

Annas Schicksal wird zuerst in verschiedenen Printmedien öffentlich, sie berichten über das Martyrium der Mutter. Wochenlang versucht unser Team Anna zu finden, recherchiert und bekommt sie schließlich tatsächlich ans Telefon. Nach vielen, langen Gesprächen erlaubt Anna uns, sie zu treffen.

Seit drei Monaten ist Anna mit ihrem Sohn, wir nennen ihn Anton, untergetaucht. Es besteht der mögliche Verdacht sogenannter Kindeswohlgefährdung durch den Ex-Partner. Es fällt Anna schwer, darüber zu sprechen.

Anfang 2018 trennt sich Anna von ihrem Ex, wegen angeblicher Aggressionen. Die beiden sind nicht verheiratet, sie teilen sich das Sorgerecht. Es soll eine Umgangsregelung gegeben haben, doch die eskalierte wohl immer wieder.

Erst als die Übergabe des Kindes an den Vater in der Kita ohne Begegnung der Eltern stattfindet, kehrt Ruhe ein. Nach einem Besuchswochenende soll Anna dann jedoch das Unaussprechliche entdeckt haben.

Anna: "Er berichtete mir, dass ein Drache ihm sein Horn in den Po gesteckt hat"

„Da war es so, dass mein Sohn plötzlich weinend von der Toilette kam und mir mitteilte, dass er Schmerzen am Po hat“, sagt Anna. „Und er berichtete mir, dass ein Drache ihm sein Horn in den Po gesteckt hat. Das hat mich natürlich sehr schockiert.“

Anna geht sofort zum Kinderarzt, der sie weiter zu einer Beratungsstelle schickt, um das genauer abklären zu lassen. Doch gegen eine ausführliche Untersuchung soll sich der Vater gewehrt haben. „Ich musste das tatsächlich aushalten, dass diese Symptome nach den Besuchswochenenden immer wieder aufgetreten sind. Mir waren die Hände gebunden“, so Anna.

Anfang 2019 erfolgt dann doch eine Überweisung in die Kinderschutzambulanz Paderborn. Diese informiert das Jugendamt Kreis Lippe über einen möglichen sexuellen Missbrauch an Anton, in wahrscheinlich mehreren Fällen.

Das Jugendamt stellt Strafanzeige gegen den Kindsvater. Doch statt Aufklärung, wird plötzlich der Mutter vorgeworfen, sie sei psychisch krank und leide unter dem Münchhausen by Proxy-Syndrom, eine Erkrankung, bei der Frauen bei ihren Kindern Krankheiten vortäuschen. Für Annas Anwalt völlig aus der Luft gegriffen.

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Gutachten: Anton ist "emotional nicht gesund“

Prof. Dr. Christian Laue setzt sich als Anwalt für Anna ein.
Prof. Dr. Christian Laue setzt sich als Anwalt für Anna ein.
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Im Juli 2019 stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Antons Vater ein. Damit ist er wohl für das Jugendamt rehabilitiert. Anton kommt in seine Obhut - ohne das Wissen seiner Mutter! Anna erfährt davon erst, als sie Anton aus dem Kindergarten abholen will.

„Dann stand ich auf einmal da und mein Kind war weg. Ab diesem Zeitpunkt hat er dann dort gelebt“, berichtet Anna. Nach eineinhalb Jahren fordert das Jugendamt nochmal ein Gutachten an, wie es Anton bei seinem Vater ergeht.

Anton sei „emotional nicht gesund“, heißt es. Er stehe unter „starker psychischer Belastung“. Ein Alarmsignal, aber das Jugendamt handelt nicht. Warum? Die Entscheidung liege „in der Zuständigkeit des Familiengerichts“, heißt es. Wir fragen dort nach, doch das wiegelt ab. Wegen Urlaub.

Lese-Tipp: Kindesmissbrauch in Münster – warum die Behörden versagt haben

Kindesmissbrauch? "Hier wurde ja quasi gar nicht ermittelt!‘"

Auch Sonja Howard unterstützt Anna und ihren Sohn.
Auch Sonja Howard unterstützt Anna und ihren Sohn.
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Sonja Howard kämpft für das Recht von Kindern und erfährt von Annas Fall. Sie meldet ihn beim Hilfe-Telefon des LKA. Die Beamtin vor Ort bittet um Unterlagen. Kurz darauf wird dem Vater Anfang des Jahres das Kind wieder entzogen.

„Sie rief mich 20 Minuten später an und hat gesagt: ‚Hier wurde ja quasi gar nicht ermittelt!‘“, berichtet Sonja Howard. „Sie hat dann gesagt: ‚Wir werden von Amtswegen das Verfahren neu einleiten.‘ Und da dachte ich: Jetzt endlich kommt mal ein bisschen Zug in die Sache.“ Annas Anwalt erklärt: „Daraufhin haben wir zusammen entschieden, dass sie erstmal abtauchen sollte.“

Und was sagt Antons Vater zum Abtauchen seiner Ex und seines Sohnes sowie zu den erneuten Vorwürfen? Sein Anwalt schreibt uns, man werde sich wegen laufender Verfahren nicht dazu äußern. Bis zu einer Verurteilung gilt für ihn natürlich die Unschuldsvermutung.

Anna und ihr Sohn sind im täglichen Austausch mit der Schule

Anton berichtete seiner Mutter vom angeblichen Missbrauch.
Anton berichtete seiner Mutter vom angeblichen Missbrauch.
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Anna ist untergetaucht, doch sie versichert uns: Sie ist für alle Institutionen und Behörden erreichbar und nimmt auch die schulische Bildung bei Anton ernst. Täglich ist sie im Austausch mit der Schule, bekommt Unterrichtsmaterial und macht Homeschooling. Anna ist nicht auf der Flucht, sie will einfach nur eins:

„Ich möchte erreichen, dass mein Sohn wieder bei mir lebt, so wie er sich das wünscht. So wie er es immer wieder sagt“, erklärt Anna. „Dass nach all dem, was er durchgemacht hat, mir als Mutter möglich gemacht wird, ihn schützen zu dürfen.“

Annas Anwalt sieht jetzt das Familiengericht in der Pflicht, ihr Anton zuzusprechen. Noch nie wären die Voraussetzungen dafür so gut gewesen, sagt er. Bis dahin ist Anna bereit, mit Anton in eine Einrichtung zu gehen, um ihm die Chance zu geben, sich jemand anderem anzuvertrauen, als ihr. Vielleicht traut er sich dort dann auch, über den Drachen zu sprechen.