Werden die Ursachen von den Behörden vertuscht?

Mysteriöse Nervenkrankheit in Kanada: Häufung der Fälle macht Experten nervös

In Control Room Doctor and Radiologist Discuss Diagnosis while Watching Procedure and Monitors Showing Brain Scans Results, In the Background Patient Undergoes MRI or CT Scan Procedure.
Eine mysteriöse Nervenkrankheit macht sich in der kanadischen Provinz New Brunswick breit. (Foto: Symbolbild)
gorodenkoff, iStockphoto, Gorodenkoff Productions OU

Bereits im März letzten Jahres berichteten Behörden in der kanadischen Provinz New Brunswick zum ersten Mal von einer unbekannten Nervenkrankheit, die seit zwei Jahren dort vermehrt auch junge Menschen befällt. Die Symptome ähneln der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, ausgelöst durch BSE-verseuchtes Rindfleisch. Experten und Mediziner rätseln aber bis heute über die Ursachen. Neue Fälle lassen vermuten, dass die Krankheit durch Umweltbedingungen ausgelöst wird. Doch die lokalen Behörden weigern sich in den Augen betroffener Familien, einer möglichen Ursache nachzugehen.

Symptome wie bei Creutzfeldt-Jakob

Gewichtsverlust, Schlaflosigkeit, Halluzinationen, Denkschwierigkeiten und eingeschränkte Mobilität: Bei immer mehr Menschen wurden in den vergangenen zwei Jahren in der kanadischen Provinz New Brunswick solche und ähnliche Symptome festgestellt. Auch viele junge Menschen sind betroffen. Die Symptome ähneln der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Sie wurde im Zuge des BSE-Skandals Anfang der 1990er Jahre weltweit bekannt. Die Bovine spongiforme Enzephalopathie, kurz BSE, umgangssprachlich auch Rinderwahn genannt, wird durch Prionen, das sind atypisch gefaltete Proteine im Gehirn, verursacht.

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Whistleblower treten an die Öffentlichkeit

Anonyme Informanten traten jetzt an die internationale Presse heran, um mehr Untersuchungen über die bisher ungeklärte Ursache zu erwirken. Die Whistleblower sind laut „The Guardian“ Mitarbeiter des Vitalité Health Network, einer der beiden Gesundheitsbehörden der Provinz. Sie wollen nicht namentlich genannt werden, weil sie Konsequenzen fürchten, so die Zeitung. „Ich bin wirklich besorgt über diese Fälle, weil sie sich so schnell zu entwickeln scheinen“, sagte einer der Informanten demnach. „Ich mache mir Sorgen um sie, und wir sind ihnen eine Erklärung schuldig“.

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Acht Todesfälle - hohe Dunkelziffer wird angenommen

Offiziell wurden seit den ersten Berichten aus dem März 2021 insgesamt 48 Fälle gemeldet, acht davon endeten bislang tödlich. Mehreren Quellen zufolge könnte es sich inzwischen um bis zu 150 Personen handeln. Gleichzeitig gebe es einen Rückstau von Fällen, die vor allem junge Menschen betreffen – ungewöhnlich bei Nervenerkrankungen. Besonders nervös macht die Krankenhaus-Mitarbeiter die Tatsache, dass Menschen im Umfeld der Erkrankten ebenfalls Symptome entwickeln – mindestens neun Fälle wurden registriert. Das deutet darauf hin, dass Umweltfaktoren eine Rolle spielen könnten.

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Gesundheitsbehörden gehen von Fehldiagniosen aus

Die Verantwortlichen der Gesundheitsbehörden zerstreuen bislang alle Befürchtungen – trotz der auffälligen Details, die die neun neuen Fälle mit sich bringen. Im Oktober behaupteten die Verantwortlichen, dass die bisher acht tödlichen Fälle das Ergebnis einer Fehldiagnose seien. Die Opfer hätten nicht an der gleichen neurologischen Krankheit gelitten, sondern seien an bekannten Krankheiten verstorben. Im Januar dieses Jahres wollen die Behörden erneut öffentlich auf die mysteriösen Fälle reagieren. Die Informanten gehen davon aus, dass es bei der bisherigen Einschätzung bleiben wird.

Betroffene Familien sind „fassungslos“

Doch Angehörige von Betroffenen wollen das nicht länger hinnehmen. In ihren Augen versuchen die Verantwortlichen eine mögliche Ursache zu vertuschen. Tim Beattys ist einer von ihnen. Sein Vater Laurie, pensionierter Angestellter, starb 2019 an der unbekannten Krankheit. Beatty erzählt dem Guardian, die Familie sei „fassungslos“ gewesen, als sie erfuhren, dass Vater Laurie einer von acht Menschen war, bei denen ein Pathologe die wahrscheinlich die falsche Diagnose und Todesursache Alzheimer gestellt hatte.

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Gifte in Hummern als mögliche Auslöser

Giant lobster, Shediac, New Brunswick
Die Hummer-Industrie ist ein Hauptfaktor der Wirtschaft in New Brunswick. (Foto: 2012)
Alan Marsh, picture alliance, dpa

Beatty und seine Schwester hatten dafür plädiert, die sterblichen Überreste ihres Vaters auf Neurotoxine, einschließlich β-Methylamino-L-Alanin (BMAA), untersuchen zu lassen. Einige Experten vermuten, dass dieses Gift für die Krankheit verantwortlich sein könnte. Denn in einer Studie wurden in New Brunswick hohe Konzentrationen von BMAA in Hummern gefunden. Und die Hummer-Industrie ist ein Treiber der Wirtschaft vieler Küstengemeinden dieser kanadischen Provinz. Die Weigerung der Provinz, auf diesen vermuteten Umweltfaktor zu testen, hat bei den betroffenen Familien zu Spekulationen geführt, dass die Bemühungen, die Existenz eines Clusters auszuschließen, durch politische Entscheidungen motiviert sein könnten. (ija)