Nagelsmann ist der Anti-Flick

Der weltteuerste Traum des FC Bayern

Der FC Bayern hat sein Trainer-Problem so gut wie gelöst: Der FC Bayern kann Hansi Flick nun ziehen lassen, weil mit Julian Nagelsmann der Wunsch-Nachfolger kommen wird. Mit der Verpflichtung des 33-Jährigen ist auch der Wunsch nach mehr Frieden verbunden.

Julian Nagelsmann dürfte eine andere Agenda haben

Als Julian Nagelsmann sich zur Rückrunde der vergangenen Saison noch einen Mann für die linke Außenbahn wünschte, nahm er sein Glück selbst in die Hand. Nach einem Telefonat mit Josep Guardiola holte er Angeliño am letzten Tag des Wintertransferfensters von Manchester nach Leipzig. Dort, beim Fußball-Bundesligisten RB, spielte der kleine Spanier so furios auf, dass ihn die Sachsen im Sommer fest verpflichteten. Tatsächlich eine gute Idee, denn auch in der laufenden Runde gehört Angeliño zu den Besten in einer starken Leipziger Mannschaft.

Als Hansi Flick sich zur Rückrunde der vergangenen Saison unter anderem noch einen Mann für die rechte Außenbahn wünschte, hatte er Pech. Wenige Tage vor der Wechselfrist bekam er den kleinen Spanier Álvaro Odriozola von seinem damaligen Sportdirektor (mittlerweile ja Sportvorstand) Hasan Salihamidžić präsentiert. Odriozola durfte exakt 179 Minuten für den FC Bayern spielen. Das reichte nicht, um aus der Leihe eine feste Verpflichtung zu machen. Dass es seinem Nachfolger Bouna Sarr in München kaum besser ergeht, nun ja.

LEIPZIG, GERMANY - APRIL 25: Angelino of RB Leipzig reacts after a missed chance during the Bundesliga match between RB Leipzig and VfB Stuttgart at Red Bull Arena on April 25, 2021 in Leipzig, Germany. Sporting stadiums around Germany remain under strict restrictions due to the Coronavirus Pandemic as Government social distancing laws prohibit fans inside venues resulting in games being played behind closed doors. (Photo by Filip Singer - Pool/Getty Images)
Nagelsmann holte Angeliño selbst zu RB.
NS / STOREY, Filip Singer - Pool/Getty Images, Bongarts

Flick und die Streitthemen Alaba und Boateng

Dass der Franzose nach einer enttäuschenden Saison in diesem Sommer schon wieder wegwill, das dürfte den nächsten Trainer des Rekordmeisters nicht sonderlich kratzen. Denn dass Nagelsmann, der sehr wahrscheinlich zum 1. Juli für die Weltrekordsumme von 20 bis 25 Millionen Euro von Leipzig nach München wechseln wird, in dem 29-Jährigen plötzlich bislang bestens versteckte Potenziale erkennt, die ihn zum absolut unverzichtbaren Leistungsträger an der Säbener Straße machen, das ist eher nicht zu erwarten. Vielmehr dürfte das größte deutsche Talent an der Seitenlinie eine andere Agenda haben, wie sich die Mannschaft des FC Bayern verändert.

Mit seinem Abwehrchef Dayot Upamecano hat er immerhin schon eine Position besetzt, die in München in den vergangenen Monaten zur Allegorie des Machtkampfs zwischen Flick und Salihamidžić geworden war. Mit David Alaba und Jérôme Boateng verlassen nämlich gleich die beiden für den Trainer wichtigsten Innenverteidiger in diesem Sommer den Verein.

Wie sehr ihn diese Entscheidungen nervten, wie sehr das gegen seinen Willen passierte, das hatte der 56-Jährige immer wieder betont. Als verbaler Brandstifter war er durch eine Medienrunde nach der anderen gerannt, hatte vergeblich darum geworben, mehr Macht bei Entscheidungen in Transferfragen zu bekommen. Sogar ein Veto war im Gespräch.

 Fussball Champions League/ Finale/ Paris St. Germain - Bayern Muenchen Siegerehrung, v.l. Jerome BOATENG M, David ALABA M mit Pokal Fussball Champions League, Finale, Paris St. Germain PSG - FC Bayern Muenchen M, am 23.08.2020 im Estadio da Luz in Lissabon/ Portugal. FOTO: Frank Hoermann/ SVEN SIMON/ Pool NO use of any use photographs as image sequences and/or quasi-video Editorial Use ONLY National and International News Agencies OUT Lissabon Estadio da Luz Portugal *** Football Champions League Final Paris St Germain Bayern Muenchen Award ceremony, by Jerome BOATENG M , David ALABA M with Cup Football Champions League, Final, Paris St Germain PSG FC Bayern Muenchen , on 23 08 2020 at the Estadio da Luz in Lisbon Portugal PHOTO Frank Hoermann SVEN SIMON Pool NO use of any use photographs as image sequences and or quasi video Editorial Use ONLY National and International News Agencies OUT Lisbon Estadio da Luz Portugal Poolfoto SVEN SIMON/ Frank Hoermann/ Pool ,EDITORIAL USE ONLY
Das Innenverteidiger-Duo Boateng (li.) und Alaba verlässt die Bayern im Sommer 2021.
AWAE, SVEN SIMON/ Frank Hoermann/ Pool , Frank Hoermann/ SVEN SIMON
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Flicks Auftritt trat gewaltiges Brett los

Flick, der Erfolgstrainer, wollte nicht nur Ausführungsgehilfe der Kader-Fantasien der Bosse sein. Er wollte seinen Kader selbst (mit)gestalten. Damit hätte er eine Revolution angestoßen. Denn so mächtige Trainer, die sind in München ja nicht vorgesehen. Dass Flick nun auch aus diesem Grund geht – seinem Wunsch nach der vorzeitigen Vertragsauflösung haben die Bosse nun auch endlich entsprochen – gilt als sehr wahrscheinlich. Begründet hat der Trainer seinen Vorstoß zum Rückzug ja öffentlich bislang nicht. Wohl auch nicht gegenüber den Spielern.

Was er dagegen öffentlich gemacht hatte, war sein Wunsch nach Freigabe. Unabgesprochen. Nach dem wichtigen Bundesliga-Sieg beim VfL Wolfsburg hatte er seine Vorgesetzten böse überrascht, die seine Aktion schließlich nach langem Schweigen „missbilligten.“ Der Auftritt von Flick hatte ein gewaltiges Brett losgetreten. Mit unschönen Auswirkungen. Mehrere Fans des Rekordmeisters hatten eine Petition gegen den Sportvorstand gestartet. Die Initiative "pro Hansi Flick, Brazzo raus" fordert den "sofortigen Rücktritt" von Salihamidžić – und sammelte dafür reichlich Stimmen ein. Dass es auch zu Hetze, Beleidigungen und Drohungen gegen den 44-Jährigen und dessen Familie kam – ein Wahnsinn! Der Club reagierte vehement, Flick stellte sich an die Seite seines Vorgesetzten und auch die Initiative distanzierte sich.

Wovon sie sich indes nicht distanzierte: vom Wunsch nach einem neuen Sportvorstand. Denn mit Salihamidžić werde es auch künftig Konflikte geben, urteilte Initiativen-Sprecher Michael Frohsz zuletzt im Gespräch mit dem Sportinformationsdienst, "egal unter welchem Trainer". Aber auch unter Nagelsmann? Nun, anders als Flick gilt er immerhin als Wunschkandidat des Sportvorstands. Er sei sogar ein „Bewunderer“ des Trainers. Wie die „Bild“ zuletzt berichtete „funken Salihamidžić und Nagelsmann auch auf einer Wellenlänge.“ Zwar habe der Coach ebenfalls klare Vorstellungen, aber eine weniger ausgeprägte Sturheit als sein Vorgänger.

 Fussball 1.Bundesliga, FSV Mainz 05 - FC Bayern Muenchen 24.04.2021, xpsx, Fussball 1.Bundesliga, FSV Mainz 05 - FC Bayern Muenchen emspor, v.l. Hasan Salihamidzic Sportdirektor FC Bayern München DFL/DFB REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IMAGE SEQUENCES and/or QUASI-VIDEO Mainz Opel Arena Rheinland Pfalz Deutschland DE *** Football 1 Bundesliga, FSV Mainz 05 FC Bayern Muenchen 24 04 2021, xpsx, Football 1 Bundesliga, FSV Mainz 05 FC Bayern Muenchen emspor, v l Hasan Salihamidzic Sport Director FC Bayern Munich DFL DFB REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IMAGE SEQUENCES and or QUASI VIDEO Mainz Opel Arena Rheinland Pfalz Germany DE Poolfoto Patrick Scheiber/Jan Huebner ,EDITORIAL USE ONLY
Viele Bayern-Fans hätten lieber gesehen, dass Hasan Salihamidžić den Club verlässt.
Jan Huebner, Patrick Scheiber/Jan Huebner, Patrick Scheiber

Der Weg zum FC Bayern war unvermeidlich

Die würde ihm wohl auch schnell böse auf die Hufe fallen. So wie Flick. Der indes sowohl mit dem WM-Titel (als Co-Trainer) hoch dekoriert war, als auch mit dem zweiten Triple der Vereinsgeschichte (in München wurde er auch hernach immer forscher). Nagelsmann kennt bisher auch nur Vereine, die eher Start-up waren (Hoffenheim und Leipzig) und nicht großer Konzern (FC Bayern). Er kennt noch keine festgefahrenen Machtgefüge, keine übermächtigen Alphatiere in der direkten Zusammenarbeit. Denn weder TSG-Mäzen Dietmar Hopp mischte im Kompetenzbereich des Trainers mit, noch RB-Milliardär Dietrich Mateschitz. In München ist das anders. Da schlendern die Bosse nach dem Spiel gerne mal in die Kabine und durch die Interviewzonen. Sie sind für den Trainer ständig präsent. Und für die Medien.

Dass es Nagelsmann zum FC Bayern zieht, war indes für beide Seiten unvermeidlich. Spätestens für den Sommer 2023, wenn sein Vertrag in Leipzig und Flicks Vertrag in München ausgelaufen wären, wäre diese Symbiose das wahrscheinlichste Szenario auf dem Trainermarkt gewesen. Zu sehr fühlt sich Nagelsmann von diesem Klub, für den der gebürtige Oberbayer seit seiner Kindheit schwärmt, angezogen. Zu sehr schwärmen die Münchner, allen voran der alte, aber mächtige Patriarch Uli Hoeneß, seit Jahren von dem jungen Trainer. Bereits in der Nachfolge-Diskussion um Carlo Ancelotti im September 2017 war er ein Kandidat. Damals galt er aber als noch nicht reif und erfahren genug für den FC Bayern. Nun aber hat er zahlreiche Talente zu Topspielern geschliffen. Hat eine aggressive, dominante, offensive Spielidee entwickelt. Eine, die man beim FC Bayern gerne hat. Nagelsmann hat dabei auch eine herausragende taktische Raffinesse bewiesen. Wie Guardiola. Von dem er sich viel abgeschaut hat.

Dass die Bayern für Nagelsmann bereit sind, eine Weltrekordablöse an RB zu zahlen, ist Ausdruck der maximalen Überzeugung. Dass sie nicht eine prominente Übergangslösung wie José Mourinho installieren, dass sie nicht auf einen Platzhalter setzen wie es Erik ten Hag (Ajax Amsterdam) gewesen wäre, sondern die absolute Top-Lösung (die andere wäre wohl Jürgen Klopp gewesen) anstreben, ist auch eine Lehre aus dem Sommer 2018. Als man die eigene Macht und Anziehungskraft völlig überschätzte, den "heiligen Jupp" Heynckes doch nicht mehr zum Weitermachen bewegen konnte (was der bereits monatelang angekündigt hatte) und sich schließlich auf den Frankfurter Niko Kovac einigte. Mehr Kompromiss als Königsweg. Das wird nun mit Nagelsmann anders. Anders auch als bei Flick. Der war ebenfalls keineswegs der sofort entdeckte Königsweg. Erst über die Stationen Mini-, Midi-, Maxi-Interim kämpfte er sich den Pfad zur großen Lösung frei.

Übrigens: Allzu große Transferhoffnungen sollte Nagelsmann für den Sommer nicht haben. Für Upamecano und ihn hat sich der Klub trotz der Pandemie-Einschnitte schließlich bereits sehr weit über die Theke gelehnt. Für Boateng, für Alaba und für den wohl ebenfalls scheidenden Javi Martinez wird es dagegen kein Geld geben. Und für Flick, der ja als aussichtsreichster Kandidat als Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw gilt? Wohl auch nicht. Denn es ist und bleibt so: "Der DFB wird keine Ablösesummen zahlen, weil er noch nie Ablösesummen gezahlt hat und weil er als gemeinnütziger Verband im Übrigen sich schwertut, dies zu tun", sagte Vizepräsident Rainer Koch im Blickpunkt Sport des Bayerischen Rundfunks und bekräftigte damit nochmal die Haltung von DFB-Präsident Fritz Keller und Direktor Oliver Bierhoff.

Nun, eventuell tut's ja auch nochmal ein Anruf bei Josep Guardiola.