Gen-Analyse ergab: Die Eltern von Hertha sind Geschwister
Inzest-Schock bei Berliner Eisbären

Für den Tierpark Berlin ist es ein Schock. Die Eisbären Tonja und Wolodja sind Geschwister, ihre dreijährige Tochter Hertha ist damit ein Inzest-Kind. Schuld ist eine Verwechslung der Dokumente im Moskauer Zoo vor über 10 Jahren.
Hertha ist das dritte Kind
Die kleine Hertha ist der ganze Stolz im Berliner Tierpark. Ende 2018 kam sie zur Welt, ihre Namensgebung war ein riesiges Ereignis. Zwei Eisbären hatten ihre Eltern vorher schon zur Welt gebracht, doch sowohl Fritz als auch das noch ungetaufte weibliche Eisbär-Jungtier verstarben nach wenigen Wochen. Bei Hertha schien dagegen alles ganz ohne Komplikationen zu laufen. Bis vergangenen Sommer in Moskau ein Dokument auftauchte, das Zweifel an der Abstammung ihrer Mama Tonja aufkommen ließ, die 2009 in Moskau geboren wurde.
Der Biologin Marina Galeshchuk fiel auf, dass in diesem neuen Dokument ein anderes Geburtsdatum als in den bisherigen Unterlagen angegeben war. Möglicherweise ein Flüchtigkeitsfehler, könnte man meinen. Doch in Moskau wurde nur zwei Tage nach Tonja ein weiteres Baby geboren von einem anderen Eisbären-Pärchen. Beide Eisbär-Babys verbrachten im Januar 2011 im Moskauer Zoo gemeinsame Zeit in Quarantäne, kurz bevor Tonja nach Berlin gebracht wurde. Deshalb sollte eine Gen-Analyse klären, ob die beiden Tiere möglicherweise vertauscht wurden. Und tatsächlich: Tonjas Eltern sind andere, als bislang gedacht.
Inzest Schuld am Tod von Fritz?
Das Problem: Es sind dieselben Eltern, wie die von Eisbären-Papa Wolodja, der seit 2013 im Berliner Tierpark lebt. Tonja und Wolodja sind also Geschwister. Und sie stammen beide aus einer Erblinie, die in Europa bereits sehr stark repräsentiert ist: Marina Galeshchuck erklärt: „Unser Ziel ist es, im Sinne des Artenschutzes eine genetisch möglichst vielfältige Eisbärenpopulation zu erhalten.“ Vielfalt, die jetzt nicht mehr gegeben ist. Deshalb dürfen Tonja und auch Tochter Hertha keine Kinder mehr zeugen.
Doch es stellt sich die Frage: Ist die Inzest auch Schuld am Tod von Eisbären-Baby Fritz und seiner nicht getauften Schwester vor wenigen Jahren? Diese Frage sollte Prof. Dr. Achim Gruber vom Institut für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin klären. Das Ergebnis: „Es besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, eine solche Vermutung anhand von wissenschaftlichen Analysen zu bestätigen oder auszuschließen – eine Diskussion darüber also reine Spekulation.“
Allerdings sind die Todesursachen, sowohl multiples Organversagen aufgrund einer Leberschädigung, als auch eine Lungenentzündung, durchaus natürliche Todesursachen. In freier Wildbahn sterben 80% der Eisbären noch vor dem zweiten Lebensjahr, in menschlicher Aufzucht immerhin noch 50%.
Auf ihre Eisbären verzichten müssen die Berliner zukünftig aber nicht. Tierpark-Direktor Andreas Knieriem stellte klar, „dass Hertha und Tonja nun bis auf Weiteres Berlinerinnen bleiben werden. Die Tatsache, dass die beiden putzmunteren Bärinnen sich bestens miteinander verstehen, ändert sich glücklicherweise nicht.“
Chronologie
14.11.2009: Geburt eines weiblichen Jungtieres im Zoo Moskau – Mutter: Murma, Vater: Untay
16.11.2009 Geburt eines weiteren weiblichen Jungtieres in der zweiten Zuchtgruppe des Zoo Moskau – Mutter: Simona, Vater: Vrangel
Januar 2011: Zwei weibliche Eisbären in Quarantäne im Zoo Moskau
Januar 2011: Ankunft, Eisbärin Tonja im Tierpark Berlin
27.11.2011 Geburt eines männlichen Jungtieres im Zoo Moskaus (Wolodja) – Mutter: Simona, Vater: Vrangel
August 2013: Eisbär Wolodja zieht in den Tierpark Berlin
3. November 2016: Geburt Eisbär Fritz
3. März 2017: Tod Eisbär Fritz
7. Dezember 2017: Geburt weibliches Eisbär-Jungtier
2. Januar 2018: Tod weibliches Eisbär-Jungtier
1. Dezember 2018: Geburt Eisbärin Hertha
Sommer 2020: Marina Galeshchuck entdeckt Hinweise, die Zweifel an der korrekten Abstammung von Eisbärin Tonja aufkommen lassen und informiert den Tierpark Berlin
Frühjahr 2021: Ergebnisse der Genanalyse bringen Gewissheit: Tonja stammt von Simona und Vrangel ab
(mch)