Union droht mit Blockade im Bundesrat
Bundestag beschließt Bürgergeld - Streit mit der Union bleibt aber
Für die Ampel ist es die große Sozialreform, für die Union ein Vorhaben, das in die völlig falsche Richtung geht. Das Bürgergeld ist zum großen Zankapfel in Berlin geworden. Der Bundestag hat heute über eins der wichtigsten Vorhaben der Ampelregierung abgestimmt und zugestimmt.
In namentlicher Abstimmung votierten 385 Abgeordnete für das Gesetz, 261 stimmten dagegen, 33 enthielten sich der Stimme. Damit ist das Gesetz aber noch nicht durch: Der Bundesrat muss noch zustimmen und hier droht die Union mit Blockade.
Im VIDEO: Romy Puhlmann und Seiman Phillips müssen beide rechnen im Monat. Romy bezieht Hartz IV, Seiman ist Bauarbeiter. Wie bewerten sie das Bürgergeld? Die Antwort – im Video.
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Hubertus Heil ist optimistisch: "Mehrheiten im Bundesrat sind möglich!"
Wie groß ist die Gefahr, dass das Bürgergeld nicht zum 1. Januar eingeführt werden kann, weil der Bundesrat blockiert? Die Antwort vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Video.
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Union droht, das Bürgergeld im Bundesrat zu blockieren
Der Bundesrat wird sich voraussichtlich schon am kommenden Montag mit dem Bürgergeld befassen. Die Union hat damit gedroht das Bürgergeld dort zu blockieren, weil es aus ihrer Sicht die Motivation senkt, eine Arbeit anzunehmen. Bei einer Ablehnung im Bundesrat müsste ein Kompromiss im gemeinsamen Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gefunden werden.
Mit der Reform sind erhebliche Mehrausgaben verbunden. Sie werden im Gesetzentwurf mit rund 4,8 Milliarden Euro für 2023 beziffert und steigen bis zum Jahr 2026 auf knapp 5,9 Milliarden Euro. Den weitaus größten Teil davon trägt der Bund.
Die Erhöhung der Zahlungen will die Union mittragen. Sie lehnt aber vor allem die geplante Erhöhung des sogenannten Schonvermögens ab. Diese finanziellen Reserven müssen Bedürftige nicht antasten, wenn sie Bürgergeld bekommen wollen. Unions-Vizefraktionschef Hermann Gröhe sprach im Bundestag von einem zentralen Webfehler der Reform. Eine vierköpfige Familie könne 150.000 Euro besitzen und trotzdem Bürgergeld bekommen, sagte Gröhe: "Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann von einem solchen Vermögen nur träumen." Die Koalition gefährde damit die Chancen auf eine Vermittlung in Arbeit.
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Auf Antrag der Union wurde die Abstimmung über die Erhöhung der Regelsätze vor der Schlussabstimmung ausgekoppelt. Nahezu geschlossen stimmte der Bundestag mit 681 Ja- und ohne Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Erhöhungen.
Grüne und FDP kritisierten im Bundestag Unions-Politiker für Aussagen, künftig hätten arbeitende Geringverdienende weniger Geld als Bürgergeld-Beziehende. Schon heute gebe es durch andere staatliche Leistungen wie Wohngeld und Kinderzuschlag keinen Fall, in dem Arbeitende weniger hätten als diejenigen, die keiner Arbeit nachgingen, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel. Aber es müsse sich stärker lohnen zu arbeiten statt Bürgergeld zu beziehen. Das erreiche die Reform mit der Erweiterung der Möglichkeiten für Zuverdienste. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann griff Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) an, der in der Debatte nicht das Wort ergriff. Merz "schüre Sozialneid ohne Ende", sagte Haßelmann: "Aber hier im Parlament kneift er heute."
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So soll das Bürgergeld aussehen
Regelsätze
Der heutige Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende soll auf 502 Euro angehoben werden.
Systemwechsel weg von Hartz IV
Kern der Reform ist ein Systemwechsel: Vor 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanzler Gerard Schröder (SPD) eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Ex-VW-Manager Peter Hartz. Aus deren Vorschlägen für Arbeitsmarkt- und Sozialreformen gegen die damalige Massenarbeitslosigkeit entstanden mehrere Gesetze: „Hartz I“ bis „Hartz IV“. Der Druck auf Arbeitslose wurde erhöht, was zu Protesten führte und dazu, dass auch die Sozialdemokraten zunehmend unter Druck gerieten. Schröder verlor die Bundestagswahl 2005 und neben der SPD etablierte sich die Linkspartei. Das Bürgergeld ersetzt Hartz IV.
Weniger Sanktionen
Arbeitslose sollen den Plänen zufolge künftig weniger durch angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt und dafür bei Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden. Zudem sollen Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern gelockert werden.
„Vertrauenszeit“ und „Karenzzeit“
Zwei der Schlagwörter im Bürgergeld-Gesetz. Man wolle niemanden unter Generalverdacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs („Vertrauenszeit“) nur in Ausnahmefällen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert. Für die ersten beiden Jahre („Karenzzeit“) soll zudem niemand sein Vermögen antasten müssen, es sei denn, es ist „erheblich“ und liegt über 60 000 Euro, plus 30 000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll in der Karenzzeit nicht nötig sein.
„Schonvermögen“
Auch nach zwei Jahren Bürgergeldbezug soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben. Das betrifft auch Anlagen zur Altersvorsorge oder Eigenheime bis 140 und Eigentumswohnungen bis 130 Quadratmetern. Es gehe nicht um große Villen im Tessin, sagt Heil. „Es geht um die Frage, dass Leute, die sich im Leben etwas erarbeitet haben, wenn sie in Not geraten, nicht alles auf den Kopf hauen müssen.“ Betroffene sollten „den Kopf frei haben sich zu qualifizieren und weiterzubilden, neue Arbeit zu suchen und sollen sich nicht rumschlagen müssen mit dem Aufbrauchen von Vermögenswerten oder dem Auszug aus der bisher bewohnten Wohnung2, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vor kurzem im Deutschlandfunk.
Weiterbildung
Zusätzlich zum Bürgergeld soll es 150 Euro Weiterbildungsgeld pro Monat geben, wenn jemand einen Berufsabschluss nachholt oder 75 Euro zusätzlich, wenn andere Weiterbildungsmaßnahmen angenommen werden. Den sogenannten Vermittlungsvorrang will die Ampel abschaffen. Ziel soll es demnach künftig nicht mehr sein, Betroffene möglichst schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, sondern durch Weiterbildung für eine dauerhafte Tätigkeit vorzubereiten. Hier wird auch mit dem Fachkräftemangel argumentiert. Auf den Weiterbildungsteil im Gesetz legt vor allem die FDP in der Ampel wert, die mit einigen anderen Teilen des Bürgergelds auch ihre Bauchschmerzen hatte, wie die koalitionsinternen Beratungen im Sommer gezeigt hatten. (dpa/eku)
VIDEO: CDU-Chef Merz: "Das System Hartz IV hat sich bewährt"
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