Abgeschwächte Influenza-Verbreitung könnte Folgen nach sich ziehen

Noch immer keine Grippewelle: Warum das keine gute Nachricht ist

ARCHIV - 29.07.2016, Berlin: ILLUSTRATION - Eine Frau liegt im Bett und putzt sich die Nase (gestellte Szene). (zu dpa "«Zieh' dich warm an» - Erkältungsmythen auf dem Prüfstand") Foto: Maurizio Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Seit Anfang Oktober 2021 sind weniger als 5.000 im Labor bestätigte Fälle gemeldet worden.
bsc fgj lof kde, dpa, Maurizio Gambarini

Wie bereits vorige Saison ist Deutschland bisher von einer Grippewelle verschont geblieben. Die auch international stark abgeschwächte Influenza-Verbreitung in Zeiten der Corona-Pandemie könnte einige negative Folgen nach sich ziehen, fürchten Fachleute.

Experten erwarten verringerte Immunität in der Bevölkerung

Die Grippe-Verbreitung in Deutschland bleibt in der zweiten Saison in Folge stark unterdurchschnittlich. Seit Anfang Oktober 2021 sind weniger als 5.000 im Labor bestätigte Fälle gemeldet worden, wie aus dem Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) am Robert Koch-Institut (RKI) von Mittwochnachmittag hervorgeht. „Im Vergleich mit den letzten fünf vorpandemischen Saisons sind diese Werte weiterhin sehr niedrig.“ Vor einem Jahr seien allerdings sogar nur knapp 500 Fälle erfasst worden.

„Ob sich doch noch eine richtige Grippewelle entwickeln kann, können wir nicht sagen. Die Wahrscheinlichkeit einer deutlich steigenden Influenza-Aktivität in den kommenden Wochen verringert sich, je weiter das Frühjahr voranschreitet“, teilte eine RKI-Sprecherin auf Anfrage mit. Eine weiter dämpfende Rolle spielten voraussichtlich auch die baldigen Osterferien - bei Influenza seien Kinder sonst immer besonders früh betroffen.

Als Hauptgründe für die stark gebremste Influenza-Verbreitung gelten Corona-Maßnahmen und Reisebeschränkungen seit Beginn der Pandemie. Dies ist nicht nur in Deutschland beobachtet worden. Eine Folge: Die Vielfalt an nachgewiesenen Grippeviren hat sich in der Zeit stark verringert, wie Forscher um Vijaykrishna Dhanasekaran von der University of Hongkong vor einigen Tagen im Fachblatt «Nature Communications» berichteten. Die sogenannte Influenza B/Yamagata-Linie scheine sogar seit Mitte 2020 ausgestorben zu sein.

Die Autoren äußern eine Reihe von Sorgen: Sie erwarten wegen der ausgebliebenen Grippewellen eine verringerte Immunität in der Bevölkerung und sehen ein Risiko schwererer künftiger Epidemien. Besonders problematisch könnte dies demnach für Kinder sein, die nun ihre ersten prägenden Grippeinfektionen verpassten.

Herausforderungen sieht die Gruppe auch bei der jedes Jahr nötigen Anpassung der Grippe-Impfstoffe: Die Vorhersage, welche Viren im Winter zirkulieren werden und daher berücksichtigt sein sollten, wird längere Zeit vor der Grippesaison getroffen. Dabei stützen sich Experten normalerweise auf Erfahrungen aus dem Winter auf der Südhalbkugel. Weil sich Influenzaviren zwischenzeitlich aber noch einmal stark verändern können, fällt der Impfschutz nicht jedes Jahr sehr gut aus. Durch die nun ausgebliebenen Wellen drohen passgenaue Impfstoffe ein noch schwierigeres Unterfangen zu werden.

Die Ungewissheit bei dem Thema biete einen weiteren Anreiz, rasch sogenannte Universalimpfstoffe weiterzuentwickeln, die im Vergleich zu den bisherigen Vakzinen einen breiteren Schutz vermitteln könnten, schreibt das Team. Für denkbar hält es dabei den Einsatz der mRNA-Technologie, die die Firmen Pfizer/Biontech und Moderna für Covid-19-Impfstoffe nutzten. (dpa/kko)