Wie der Geschmackssinn unser Gewicht beeinflusst
Studie: Wer schlecht schmeckt, wiegt mehr!
Diese Faktoren begünstigen Übergewicht
Ob Bewegungsmangel, eine unausgewogene Ernährung oder ein langsamer Stoffwechsel infolge verschiedener Erkrankungen: Für Übergewicht gibt es viele Ursachen. Eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass auch ein schlecht ausgeprägter Geschmackssinn Übergewicht begünstigen kann.
Die Zahl der Menschen mit Übergewicht steigt
Laut Robert Koch Institut sind zwei Drittel der Männer (67 %) und die Hälfte der Frauen (53 %) in Deutschland übergewichtig. Knapp ein Viertel aller deutschen Männer und Frauen leiden unter Adipositas – also starkem Übergewicht – mit steigender Tendenz.
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Aber nicht nur in Deutschland nimmt die Zahl der übergewichtigen und adipösen Menschen zu –auch in vielen anderen Industrienationen ist der Trend seit Jahren zu beobachten. Doch welche Faktoren sind für die starke Gewichtszunahme in den letzten Jahren weltweit verantwortlich? Ob es möglicherweise Unterschiede im Geschmacksempfinden zwischen adipösen und normalgewichtigen Menschen gibt, hat Kim Baumann für ihre Bachelorarbeit an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen untersucht.
Kann ein schwächer ausgeprägter Geschmackssinn Übergewicht begünstigen?
„Adipositas entsteht in der Hauptsache durch eine übermäßige Zufuhr kalorienreicher Nahrung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel“, so Baumann. Doch damit nicht genug: Studien hätten gezeigt, dass Fettleibigkeit den Stoffwechsel schwächt und den Erneuerungsprozess unserer Geschmacksknospen reduziert. „So fällt es adipösen Menschen oft schwerer, einen Geschmack und dessen Intensität zu erkennen und zu bewerten – insbesondere bei Zucker und Fett ist das ein Problem.“
An ihrer Studie, die sie an der Kurpark-Klinik in Überlingen am Bodensee durchgeführt hat, nahmen je 16 normalgewichtige und adipöse Probanden im Alter von 25 bis 51 Jahren teil. Diese führten jeweils vier verschiedene Geschmackstests durch. „Ein erster Test zeigte, dass die adipösen Menschen die Grundgeschmacksarten süß, sauer, salzig, bitter und Umami schlechter erkennen und zuordnen können“, sagt Andrea Maier-Nöth, Professorin an der Hochschule in Albstadt-Sigmaringen und wissenschaftliche Fachberaterin im Bereich Gesundheitspsychologie. Die Normalgewichtigen erzielten im Schnitt über 10 Prozent mehr korrekte Ergebnisse.
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Geschmackssinn nimmt mit dem Alter ab
In weiteren Tests wurde die Empfindlichkeit der Probanden gegenüber Süßem und Fettigem überprüft, da beides aufgrund des hohen Kaloriengehalts die Energiezufuhr maßgeblich beeinflusst. Hierbei zeigte sich, dass die Adipösen sehr viel schlechter in der Lage waren, zwei verschiedene Süßegrade zu unterscheiden: 69 Prozent erkannten gar keinen Unterschied, während es bei den Normalgewichtigen nur 25 Prozent waren.
„Diese Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass die adipösen Probanden tatsächlich weniger empfindlich für süßen Geschmack sind“, fasst Baumann zusammen. Ganz ähnlich fielen die Ergebnisse beim Unterscheiden verschiedener Fettgehalte aus, wenn auch nicht ganz so deutlich.
Grundsätzlich schmecken wir mit der Zunge. Auf ihr befinden sich tausende Geschmacksknospen, die auch als Papillen bezeichnet werden. Auf ihnen liegen die Geschmackszellen, die sich im Durchschnitt alle zehn Tage erneuern. Die Zahl der Papillen nimmt im Laufe unseres Lebens stark ab: Von etwa 10.000 Papillen bei der Geburt bleiben bei älteren Menschen knapp 700 übrig. Das führt dazu, dass wir im höheren Alter nur noch "süß" schmecken können. Das erklärt, warum viele ältere Menschen ihre Speisen häufig stärker würzen und eine Vorliebe für Süßspeisen entwickeln. Somit hat nicht nur das Gewicht, sondern auch das Alter einen großen Einfluss auf unseren Geschmackssinn.
Menschen mit Adipositas haben Vorliebe für Süßes
Darüber hinaus bewerteten die adipösen Probanden bei einem Test mit unterschiedlichen Fruchtjoghurts den ohne Zucker am schlechtesten – ganz im Gegensatz zu den Normalgewichtigen. Bei den gesüßten Proben zeigte sich ein gegenteiliges Ergebnis: „Diese erhielten von den Adipösen durchgehend bessere Bewertungen als von den Normalgewichtigen“, so Maier-Nöth. Daraus schloss das Forscherteam, dass adipöse Menschen generell eine größere Vorliebe für Süßes aufweisen und stärkere Süßegrade bevorzugen als Normalgewichtige.
Diejenigen, die zwei unterschiedlich süße Proben gar nicht unterscheiden konnten, bevorzugten zugleich stärker gesüßte Proben. Bei den Normalgewichtigen konnte ein solcher Zusammenhang nicht festgestellt werden.
Bereits 2018 konnten US-Forscher auch den umgekehrten Effekt nachweisen. In einer Studie an Mäusen zeigte sich, dass Übergewicht zum Geschmacksverlust führen kann. Die Erklärung: Übergewicht begünstigt niedrigschwellige Entzündungen im Körper, welche die Zahl der Geschmacksknospen verringert und so den Geschmacksverlust begünstigt.
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Geschmackstraining und Fasten könnten beim Abnehmen helfen
„Insgesamt konnten die normalgewichtigen bei allen durchgeführten Tests durchweg bessere Ergebnisse erzielen als die adipösen Probanden“, erklärt Maier-Nöth. Daraus lasse sich ableiten, dass Letztere die Grundgeschmacksarten schlechter identifizieren können, eine unempfindlichere Wahrnehmung von süßem Geschmack haben und süßere Lebensmittel im Vergleich zu Normalgewichtigen bevorzugen.
Einen möglichen therapeutischen Ansatz sieht die Professorin in einem bewussten Geschmackstraining, kombiniert mit nachhaltiger Gewichtsreduktion. Ein Einstieg könnte beispielsweise Heilfasten nach Buchinger und Lützner sein, empfiehlt Gabriele Wagner, die zweite Betreuerin des Projekts und Leiterin der Abteilung Ernährungsberatung und Gesundheitstraining in der Kurpark-Klinik in Überlingen. Dieses kurzfristige „Nichtessen“ würde unter anderem helfen, die Geschmacksknospen zu sensibilisieren und könne übergewichtige Menschen dabei unterstützen, ihr natürliches Geschmacksempfinden wiederzuerlangen. (nri)
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