Zwischen Leidenschaft und Umweltschutz

Der "extreme Zwiespalt" des Sebastian Vettel

von Torben Siemer und Felix Görner

Aston Martin stellt den neuen Dienstwagen von Sebastian Vettel vor, doch sportliche Fragen sind dabei eher Nebensache. Zu unklar ist, welche Rolle der AMR22 in der Formel-1-Saison spielen kann. Stattdessen geht es im Gespräch mit RTL/ntv vor allem um die Rolle von Sponsor Aramco.

Ölgigant prangt jetzt auf Vettels Auto

Sebastian Vettel weiß um den "extremen Zwiespalt", in dem er sich bewegt, er nennt ihn ja selbst genau so. Und als wäre dieser innere Konflikt - Formel 1 fahren einerseits, sich glaubhaft für mehr Klimaschutz engagieren andererseits - nicht schon groß genug, verschärft der neue Titelsponsor seines Arbeitgebers diesen jetzt noch deutlich. "Das stimmt", beantwortet der 34-Jährige im Gespräch mit RTL/ntv die Frage danach, ob es nicht auch eine persönliche Herausforderung sei, dass Aston Martin ausgerechnet Aramco als neuen großen Geldgeber präsentiert hat. Den wertvollsten Ölkonzern der Welt, über den Saudi-Arabien seine massiven Ölvorkommen monetarisiert.

Über den AMR22, Vettels neuen Dienstwagen für die Saison 2022, geht es in den Gesprächen anlässlich dessen offizieller Präsentation nur kurz. "Ich bin das Auto noch nicht gefahren", erklärt Vettel, warum ihm eine seriöse Einschätzung von dessen Leistungsfähigkeit derzeit unmöglich ist, auch wenn bei Aston Martin grundsätzlich "absolute Aufbruchstimmung und Euphorie" herrsche. Deutlich ausführlicher geht es anschließend darum, wie der Weltmeister der Jahre 2010 bis 2013 seine persönlichen Werte damit vereinbaren kann, für einen Ölgiganten zu werben, der laut einer Studie einen größeren Beitrag zum weltweiten CO₂-Ausstoß geleistet hat als jedes andere Unternehmen der Welt.

Video: Vettel kann neues Auto noch nicht einschätzen

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Vettel will "Plattform" Formel 1 nutzen

"Das Ziel muss sein, von innen heraus möglichst viel Veränderung herbeizuführen", sagt Vettel, der wenig davon hält, vor Problemen jeglicher Art die Augen zu verschließen. "Der Druck von außen wächst", führt er mit Blick auf den Ressourcenverbrauch aus, für den die Königsklasse des Motorsports unzweifelhaft sinnbildlich steht, den er aber für nicht zukunftsfähig hält. Vettel geht stattdessen davon aus, "dass die Formel 1 in Bedrängnis gerät, wenn sie sich nicht anpasst". Zu Aramco als neuem Titelsponsor sagt er, dass er als Pilot die Werbeflächen auf den Autos, Rennanzügen und Teamkleidung nicht vermarkte, dass die Partnerschaft mit dem Staatsunternehmen aus Saudi-Arabien "nicht meine Entscheidung" gewesen sei.

Der Aston-Martin-Pilot scheut diese Art der Konfrontation nicht, im Gegenteil: "Dass diese Fragen gestellt werden, ist gut so." Der 34-Jährige versteht die Formel 1 nämlich auch als "große Plattform", die er selbst immer wieder nutzt, um unbequem zu sein und auf Probleme aufmerksam zu machen. Denn auch er selbst stellt sich regelmäßig die Frage, wie die Rennserie "noch in unsere Zeit" passe. Aber sie sei eben, wie er RTL/ntv sagt, "meine Leidenschaft, mein Leben". Einfach aufhören, das ist keine Option.

Video: Vettel wünscht sich "Alternative" für Kniefall

"Man bekommt sehr schnell auch mal Angst"

Stattdessen versucht er, seinen Status als Vierfach-Champion - nur Michael Schumacher, Lewis Hamilton und Juan Manuel Fangio gewannen öfter - zu nutzen, um Druck auszuüben. Vor dem Großen Preis von Bahrain im März 2021 sorgte eine Vettel-Beschwerde laut Sky-Reporter Ted Kravitz etwa dafür, dass der Jet eines Sponsors den obligatorischen Flug über die Startaufstellung mit einem experimentellen nachhaltigeren Kraftstoff durchführte statt mit herkömmlichem fossilen Brennstoff. "Er hat dadurch eine Menge CO2 gespart", so Kravitz.

Sportlich mag Vettel seit der Vizeweltmeisterschaft 2018 nur noch Nebenrollen spielen, sein öffentliches Ansehen ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Vor allem wegen seines Engagements im Kampf gegen die Klimakrise. Die eigene Widersprüchlichkeit ist ihm bewusst, denn sein Job sei schließlich "nicht sehr umweltbewusst und nicht sehr nachhaltig" und er deshalb auch "in der Hinsicht kein Vorbild". Vettel scheint sich stattdessen eher als eine Art Botschafter zu sehen, der seine exponierte Stellung als Weltstar im Sport dafür nutzt, "möglichst viele Leute mitzunehmen und davon zu begeistern und zu überzeugen, dass wir die Zukunft besser gestalten können".

Denn, da wird der vor allem international für seinen feinen Humor geschätzte Vettel noch einmal sehr ernst: "Was auf dem Spiel steht, ist unsere Existenz", und "wenn man mal versteht, was auf dem Spiel steht, bekommt man sehr schnell auch mal Angst". Zum Abschluss seiner Antworten auf die Fragen nach Aramco und der Vereinbarkeit, für einen Ölgiganten aus einem Staat zu werben, in dem Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung nicht gelten, wo Minderheiten unterdrückt werden und Homosexualität unter Strafe steht, wird deutlich, dass Vettel trotz aller Widrigkeiten an das Gute im Menschen und an die Chance zur positiven Veränderung glaubt.

"Wenn wir diese Wende schaffen", sagt er mit Blick auf die Verhaltensänderungen im Kleinen wie im Großen, die zur Bewältigung der Klimakrise unabdingbar sind, "dann ist die Zukunft besser und es geht uns allen besser als heute". Das empfindet Vettel als "etwas extrem Inspirierendes", was ihn darin zu bestärken scheint, die unübersehbaren Widersprüche auszuhalten. Mit dem Ziel, sie zu überwinden, denn "bei mir siegt der Optimismus".

Quelle: ntv.de