Wenn die Gummis explodieren

Verstappens-Baku-Albtraum: Nicht das erste Reifen-Drama

 Formula 1 2021: Azerbaijan GP BAKU CITY CIRCUIT, AZERBAIJAN - JUNE 06: Max Verstappen, Red Bull Racing retiring after a tyre faliure during the Azerbaijan GP at Baku City Circuit on Sunday June 06, 2021 in Baku, Azerbaijan. Photo by Mark Sutton / Sutton Images Images PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GP2106_133053_MS23709
Max Verstappen hatte bei seinem Reifenplatzer Glück im Unglück, blieb unverletzt
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Was für eine Schrecksekunde beim Großen Preis von Aserbaidschan! In Führung liegend fliegt Max Verstappen bei über 300 km/h ab, weil sein linker Hinterreifen urplötzlich in die Luft geht. Ähnlich beängstigend ging es bei Lance Stroll zu. Reifenplatzer sind in der Formel 1 zum Glück eine Seltenheit, doch wenn sie passieren, hat das Ganze oft System. Wir haben für Sie einige Reifendramen der jüngeren F1-Geschichte herausgepickt.

Silverstone 2013

Schon 2013 ist Pirelli der Einheits-Hersteller für die Pneus der Königsklasse. An jenem Wochenende vor acht Jahren sind die Teams aber selbst Schuld am Reifen-Debakel. So experimentieren sie unter anderem am Radsturz und insbesondere am Reifendruck munter herum, um die damals rapide abbauenden Gummis länger am Leben zu halten. Teilweise werden die Räder sogar absichtlich falsch montiert, also zum Beispiel ein für hinten links vorgesehener Reifen einfach hinten rechts festgeschraubt.

Natürlich bringen diese Änderungen Reifenhersteller Pirelli auf die Palme, denn die Italiener haben sich die optimalen Reifendrücke ja nicht einfach so ausgedacht. Es geht bei all dem auch um die Sicherheit. Die Uneinsichtigkeit der F1-Teams quittieren die schwarzen Pneus im Rennen entsprechend: Bereits in Runde sieben platzt an Lewis Hamiltons Mercedes der linke Hinterreifen, in Runde elf trifft es Felipe Massa, wenig später werden Jean-Eric Vergne und Sergio Perez Opfer des „Reifenfeuerwerks“.

Nach dem peinlichen Fauxpass fordert Pirelli Einsatzvorschriften, damit kein Rennstall mehr an den Reifen herumspielt. Die FIA setzt den Vorschlag um. Seither gibt der italienische Hersteller für jedes Rennen ein bestimmtes Fenster für den Reifendruck an. Bei Verstößen setzt es harte Strafen. Pirelli zieht aber auch selbst Konsequenzen. Die Karkasse des Reifens besteht seit Silverstone 2013 nicht mehr aus Stahl, sondern aus Kevlar.

NORTHAMPTON, ENGLAND - JUNE 30:  Lewis Hamilton of Great Britain and Mercedes GP has a left rear tyre failure during the British Formula One Grand Prix at Silverstone Circuit on June 30, 2013 in Northampton, England.  (Photo by Lars Baron/Getty Images)
Nichts mehr übrig von Lewis Hamiltons Reifen beim Großbritannien-GP 2013
Getty Images, Bongarts

Silverstone 2020

Schon wieder Silverstone – und schon wieder explodieren die Reifen förmlich. Beim ersten der beiden Grands Prix im „Home of British Motor Racing“ 2020 halten die Reifen zwar lange, gehen kurz vor Schluss aber so richtig in die Luft.

Die prominentesten Opfer: Das Mercedes-Duo Valtteri Bottas und Lewis Hamilton. Während beim Finnen der Reifen schon drei Runden vor dem Ende in die Binsen geht, passiert dies beim Weltmeister erst in der allerletzten Runde. Motiviert von seinem Renningenieur, schleicht der Lokalmatador mit einem zweckentfremdeten Dreirad über die Ziellinie. 7 Sekunden später trifft Max Verstappen ein, der im finalen Umlauf über eine halbe Minute auf seinen Vordermann aufholt und ihm um ein Haar noch den Triumph beim Heimspiel vermiest.

Als Hauptgrund für die Platzer führt Pirelli "eine Reihe von individuellen Rennumständen an, die zu einem extrem langen Gebrauch des zweiten Reifensatzes führten." Ein weiterer Pannen-Faktor ist, dass die 2020er-Boliden aufgrund ihrer enormen Kurvengeschwindigkeiten die Reifen schlichtweg an und über die Grenze bringen.

Am zweiten England-Rennwochenende bringt Pirelli deshalb weichere Mischungen mit, zwingt die Teams somit zu mehr Stopps und einer geringeren Laufzeit der Pneus. Ein weiteres Fiasko bleibt aus.

Formula One F1 - British Grand Prix - Silverstone Circuit, Silverstone, Britain - August 2, 2020 Mercedes' Lewis Hamilton looks at his tyre after winning the race with a puncture on the final lap Pool via REUTERS/Will Oliver
Gerade so schaffte es Hamilton beim Silverstone-GP 2020 über die Ziellinie. Der Reifen verabschiedete schon vorher.
ao, Pool via REUTERS, WILL OLIVER
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Indianapolis 2005

Das mit Abstand berühmteste Reifen-Desaster ist und bleibt der Große Preis der USA 2005. Auf der Strecke in Indianapolis nutzt die Formel 1 die Steilkurve des legendären Indy-Ovals. Für die Reifen bedeutet das eine besondere Belastung.

Da es im gesamten Rennkalender aber keine andere Steilkurve gibt, sind die damaligen Michelin-Reifen der Herausforderung nicht gewachsen – anders als die Bridgestone-Pneus, die von Ferrari, Jordan und Minardi verwendet werden. Bereits im Training verunfallen mehrere Michelin-Renner, insbesondere der Unfall von Ralf Schumacher im Toyota bereitet Sorgen.

Die betroffenen Teams fragen vor dem Renntag daher bei der FIA an, ob vor der Steilkurve eine temporäre Schikane installiert werden könne, damit die Reifen-Belastung niedriger bleibt. Weil im „Reifenkrieg“ des Jahres 2005 die Bridgestone-Teams meist das Nachsehen haben, stellten sie sich – auf den eigenen Vorteil bedacht – bei diversen Vorschlägen quer.

Das Resultat: Alle Michelin-Fahrer boykottieren aufgrund der Sicherheitsbedenken das Rennen, sodass nur die sechs Bridgestone-bereiften Wagen am Start stehen. Unter gellenden Buhrufen gewinnt Michael Schumacher das Rennen.

Der Image-Schaden ist enorm. Die F1 verliert durch den bizarren Auftritt jede Menge Ansehen in den USA. Einem Land, in dem die Königsklasse seit jeher schon immer Schwierigkeiten bei der Vermarktung hat. 2009 wird der US-GP gar aus dem Kalender gestrichen – eine indirekte Folge des Reifendesasters. Erst 2012 startet die F1 wieder auf US-Terrain. Diesmal aber in Austin und nicht mehr in Indy.

19.06.2005 Indianapolis, USA, Michael Schumacher, GER, Scuderia Ferrari Marlboro, F2005, Action, Track leads The Start of the race - June, Formula 1 World Championship, Rd 9, American Grand Prix, Indianapolis, USA, Race - www.xpb.cc, EMail: info@xpb.cc - copy of publication required for printed pictures. Every used picture is fee-liable. © Copyright:  xpb.cc
Nur 6 Autos am Start - das Wochenende in Indianapolis war eines der peinlichsten in der Geschichte. Michael Schumacher hat's gefreut, denn er holte sich seinen einzigen Saisonsieg des Jahres.