Verstappen-Team hat Budgetgrenze verletzt
Mit Finanzdoping zum WM-Titel? FIA steckt im Red-Bull-Dilemma

Seit Montagnachmittag weiß die Formel-1-Welt Bescheid – zumindest grundlegend. Red Bull, so steht es in der Buchprüfung des Weltverbandes FIA, hat im Vorjahr die F1-Budgetgrenze von verletzt. Ein „geringfügiger“ Verstoß von weniger als fünf Prozent des Gesamtbudgets zwar nur, aber eben ein Regelbruch. Die Frage, welche Strafe dafür angemessen ist, stürzt die FIA in ein Dilemma. Denn am Begriff „geringfügig“ scheiden sich die Geister.
Exakte Summe unklar
Das Internet vergisst nie. „Dieses Regelwerk hat Biss. Wenn du betrügerisch die Finanzregeln brichst, wirst du deinen WM-Titel verlieren“, sagte F1-Sportchef Ross Brawn vor drei Jahren, als die Rennserie die Einführung eines Ausgabenlimits für die Teams beschloss. Eine Aussage, die seit dem Nachmittag des 10. Oktober 2022 im Netz steil geht.
Red Bull hat die Budget-Obergrenze in der Premierensaison 2021 nicht eingehalten – als einziges der zehn Teams. So viel steht nach monatelanger Prüfung durch die FIA fest. Die erhoffte Klarheit und Transparenz herrscht damit aber noch lange nicht. Denn: Die exakte Summe, die Red Bull in Max Verstappens erster Weltmeister-Saison zu viel ausgeben hat, nennt der FIA-Bericht nicht. Klar ist nur: Es sind weniger als fünf Prozent des Gesamthaushalts gewesen. Ein weites Feld. Theoretisch hat Red Bull zwischen einem Cent und 7.429.999,99 Millionen Dollar überzogen.
Formel-1-Teamchefs fordern Härte des FIA-Gesetzes gegen Red Bull
Was ist ein „geringfügiger Verstoß“ gegen den Cost Cap, der in der Formel 1 seit 2021 Gesetz ist? Hat Red Bull „betrügerisch“ gehandelt wie Brawn es formulierte? Oder hat der Rennstall in einer für alle neuen Situation den Rahmen des Erlaubten schlicht verkalkuliert? Fragen, die die Königsklasse die nächsten Wochen umtreiben werden. Fragen, die die FIA in ein veritables Dilemma stürzen.
„Wenn es einen Bruch der Regeln gegeben hat, muss es eine beträchtliche Strafe geben“, hatte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto erst in Japan gefordert. Der Italiener rechnete vor, zusätzliche Investitionen von ein bis zwei Millionen Dollar könnten ein Auto um bis zu 0,2 Sekunden pro Runde schneller machen. Das sei ein entscheidender Vorteil zum Beispiel im Kampf um die Pole Position (und damit um Siege). Schon in Singapur betätigten sich die Roten als „Haushaltspolitiker“. Mit fünf Prozent mehr Geld, also etwas mehr als sieben Millionen Dollar, könne man 70 Ingenieure einstellen, die ein Auto eine halbe Sekunde schneller machten, befanden Binotto und Scuderia-Renndirektor Laurent Mekies.
Toto Wolff blies ins gleiche Horn, schüttelte Binotto vor dem Mercedes-Motorhome in Singapur öffentlichkeitswirksam die Hände. In der Causa Cost Cap hat sich eine silber-rote Allianz formiert. Aber auch andere Teamchefs wie Andreas Seidl (McLaren) oder Jost Capito (Williams) forderten ein hartes Vorgehen der FIA. Experten wiesen zudem darauf hin, dass kleinere Teams wie Alfa Romeo insgesamt kaum mehr als 2,5 Millionen Dollar pro Saison für die Weiterentwicklung ihrer Rennwagen zur Verfügung haben.
VIDEO: Max Verstappen - wie alles begann
Urteil soll abschreckend sein - aber wie?
Was die Teamchefs von den Regelhütern fordern: Die Strafe für den Bruch des Budgetdeckels soll so hart ausfallen, so schmerzhaft sein, dass in Zukunft keiner auch nur den geringsten Anreiz hat, die Grenze zu verletzen.
Und genau hier liegt das Dilemma für die FIA: Urteilt sie nicht hart genug, mindert das die abschreckende Wirkung der Budgetgrenze. Greifen sie drastisch durch, könnte es rund ein Jahr nach dem Eklat von Abu Dhabi plötzlich einen anderen Champion geben.
Der Katalog der möglichen Strafen ist weitreichend. Von einer bloßen Verwarnung über den Abzug von WM-Punkten in der Fahrer- oder Teamwertung, einer Sperre oder einer Beschränkung von Entwicklungstests bis hin zu einer Absenkung der Ausgabengrenze für das Team ist alles drin. Zur Erinnerung: Max Verstappen gewann die Fahrer-WM 2021 mit nur acht Punkten vor Lewis Hamilton. Ein nachträglicher Abzug von zehn oder 20 Punkten und sein Titel wäre futsch. Die FIA verwies indes in ihrer Mitteilung schon darauf, dass nur ein schwerwiegender Verstoß automatisch zum Abzug von WM-Punkten führe.
Buchprüfung reißt Wunden der Hamilton-Fans auf
Das darf als Hinweis gewertet werden, dass Verstappen nicht zu sehr um seinen ersten Titel aus dem Vorjahr bangen muss. Der war ohnehin schon höchst kontrovers zustande gekommen. Rennleiter Michael Masi hatte beim Finale in Abu Dhabi die Regeln gebogen und so Verstappen ermöglicht, in der letzten Runde noch Lewis Hamilton zu überholen.
Dass die FIA noch kein Strafmaß für Red Bull festlegte, nährt jedenfalls den Boden, aus dem die Spekulationen ins Kraut schießen – und deutet darauf hin, dass der Betrag, mit dem Red Bull überzogen hat, nicht bei „ein paar Hunderttausend“ liegt, sondern eher in die Millionen geht. Dann hätte Verstappen in seinem epischen Titelduell mit Hamilton eben jenen Zehntel-Vorteil gehabt, den Ferrari nun vorrechnet. Auch Hamilton selbst hatte in Japan daran erinnert, wie verwundert er gewesen sei, dass Red Bull in der zweiten Saisonhälfte im Gegensatz zu seinem Mercedes-Team ständig Upgrades ans Verstappen-Auto geschraubt habe.
Die Ergebnisse der FIA-Finanzprüfung reißen die Wunden der zahlreichen Hamilton-Fans wieder auf. Verstappen habe nicht nur vom Fehler des später deswegen entlassenen Masi profitiert, sondern auch von einem illegal entwickelten Auto - so schreiben es viele in vor Wut triefenden Tweets ins Internet. Die Rede ist von Finanzdoping, das genauso hart bestraft werden müsste wie Doping in anderen Sportarten.
Red Bull könnte klagen
Red Bull zeigte sich derweil „überrascht“ und „enttäuscht“ über den FIA-Bericht. Das Team sei weiter überzeugt, das Ausgabenlimit eingehalten zu haben und will juristische Mittel prüfen. Sollte Red Bull nicht doch noch einen Fehler einräumen, geht der Fall vor ein eigens dafür eingerichtetes Finanzgericht der FIA. Gegen ein Urteil kann dann noch Einspruch vor dem Internationalen Berufungsgericht des Automobil-Weltverbandes eingelegt werden.
Der heikle Fall dürfte sich also noch länger hinziehen und die letzten Wochen der sportlich mit Verstappens zweitem Titel schon entschiedenen Saison belasten. (mar/dpa)