Hamilton vor Mission-Almost-Impossible

Das Hase-Igel-Dilemma der Silberpfeile

JEDDAH, SAUDI ARABIA - MARCH 25: Lewis Hamilton of Great Britain and Mercedes leaves the paddock after the drivers and team principals meetin after practice ahead of the F1 Grand Prix of Saudi Arabia at the Jeddah Corniche Circuit on March 25, 2022 in Jeddah, Saudi Arabia. (Photo by Clive Mason/Getty Images)
Die Formel-1-Saison 2022 scheint für Lewis Hamilton und Mercedes ungemütlich zu werden
CJM / CJM, Getty Images, Bongarts
von Martin Armbruster

Eines lässt sich schon nach dem zweiten Rennen der Formel-1-Saison 2022 sagen: Die Dominanz von Mercedes ist endgültig vorbei. Auch beim Saudi-Spektakel am Roten Meer hoppelten die Silberpfeile der Konkurrenz von Red Bull und Ferrari hinterher. Hoppelten, weil der Bouncing-Effekt das erfolgsverwöhnte Team nach wie vor besonders plagt. Die Jagd nach Rekord-Titel Nummer 8 wird für Lewis Hamilton so zur Herkules-Aufgabe – eine Herausforderung, die der Brite annehmen wird.

Mercedes "mindestens eine halbe Sekunde zu langsam"

Im F1-Jahr 2022 bietet sich eine Analogie zur Sage mit dem Hasen und dem Igel an. Zunächst einmal, weil die neuen „Ground-Effect“-Autos hoppeln wie ein Hase, allen voran der Mercedes W13. Ferner, weil Red Bull und Ferrari die Stacheln ausgefahren haben und sich atemberaubende Rad-an-Rad-Kämpfe liefern – wennschon sie natürlich nicht lahm sind wie putzige Igel.

Vor allem aber bietet sich die Märchenstunde an, weil es Mercedes in dieser Saison tatsächlich gehen könnte, wie dem Hasen mit dem Igel. Der Hoppel-Effekt am W13 ist so ausgeprägt, dass Lewis Hamilton und George Russell bisher mit einer stumpfen Waffe kämpfen. Im Entwicklungs-Wettrüsten mit Red Bull und Ferrari droht Mercedes in diesem Jahr eine nicht-gewinnbare Aufholjagd.

Gewiss: Auch Red Bull und Ferrari macht das „Porpoising“, das Auf und Ab auf den Geraden, noch zu schaffen. Aber eben weit weniger als Mercedes. Bis der Serien-Weltmeister das Gehoppel im Griff hat, könnten die Rivalen schon an ganz anderen Dingen arbeiten. Metaphorisch heißt das: Wann immer Mercedes Upgrades brächte, die den Silberpfeil schneller und einfacher fahrbar machten, könnten Red Bull und Ferrari die Mercedes-Truppe im Technik-Wettlauf mit der Gelassenheit des Igels grüßen: Ätsch, wir sind längst weiter!

"Mercedes ist im Moment mindestens eine halbe Sekunde zu langsam", stichelte Red-Bull-Eminenz Helmut Marko nach dem Saudi-GP entsprechend genüsslich: "Wer weiß, vielleicht sind sie in der Lage, ihre Probleme zu lösen. Aber wir schlafen auch nicht und werden weiter hart arbeiten, um das Auto weiterzuentwickeln." Auf österreichisch übersetzt: Servas, ihr Hasen!

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Russell: "Uns fehlt einfach der Anpressdruck"

George Russell bezifferte die Mercedes-Lage noch schlechter als der Doktor. Rund eine Sekunde sei der Silberpfeil langsamer als Ferrari und Red Bull – und das, obwohl sich der W13 in Saudi-Arabien im Rennen „ehrlicherweise ziemlich gut angefühlt“ habe, wie Russell befand. Man habe die Balance „maximiert“, so der 23-Jährige. „Am Ende fehlt uns aber einfach noch der Anpressdruck.“

Diese verflixte Hoppelei! Je tiefer Mercedes den Silberpfeil legt, um den Ansaugeffekt zu verstärken, desto stärker hopsen Russell und Hamilton durch die Gegend.Um die Bouncing-Plage abzumildern, müssen die Silbernen ihr Auto höher abstimmen. Die Balance ist dann zwar okay, der Anpressdruck aber eben geringer. Ein schmerzhafter, aber momentan notwendiger Kompromiss.

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"Relativ gut" ist nicht Hamilton-Anspruch

Und Lewis Hamilton? Der Rekordchampion klang in seiner Saudi-Analyse ähnlich wie Russell. „Gut“ habe sich die Balance des Autos angefühlt, „aber es war einfach nicht schnell genug“. Das Rennen in Dschidda sei ebenfalls „relativ gut“ verlaufen. Betonung wohl eher auf „relativ“. Hamilton schaffte es nach seinem „Albtraum“ im Qualifying von Startplatz 15 auf 10, dafür gab’s immerhin den letzten WM-Punkt.

Ob der 37-Jährige damit gerechnet hat, nach der Regel-Revolution so deutlich hinterherzufahren? Wahrscheinlich nicht. Zu stark war das Mercedes-Paket in all den Jahren zuvor, zu schnell löste die Mannschaft in Brackley und Brixworth Probleme, wenn es welche gab. Aber dieses Jahr ticken die F1-Uhren anders, die Probleme sind neu, sind anderer Natur. Ob der Silberpfeil 2022 überhaupt Ferrari- und Red-Bull-Niveau erreicht, ist fraglich. Sollte es doch klappen, dürfte es dauern – und das Hase-Igel-Spielchen ließe grüßen.

 Formula 1 2022: Saudi Arabian GP JEDDAH STREET CIRCUIT, SAUDI ARABIA - MARCH 27: Sir Lewis Hamilton, Mercedes W13, leads Kevin Magnussen, Haas VF-22 during the Saudi Arabian GP at Jeddah Street Circuit on Sunday March 27, 2022 in Jeddah, Saudi Arabia. Photo by Zak Mauger / LAT Images Images PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY GP2202_164436_54I6813
In Saudi-Arabien plagte sich Hamilton mit dem Haas von Kevin Magnussen herum, wurde letztlich hinter dem Dänen nur Zehnter
www.imago-images.de, IMAGO/Motorsport Images, IMAGO/Zak Mauger

Hamilton kann's auch mit störrischen Boliden

Hamiltons Jagd nach Rekord-Titel Nummer 8 erscheint schon nach zwei von 23 Rennen (den Nachrücker für Russland einkalkuliert) als Mission-Almost-Impossible. Eine Herausforderung, wie sie Sir Lewis liebt. „Still we rise“ (stets wachsen wir), lautet das Credo des Rekordweltmeisters. Dass es Hamilton auch mit störrischen Autos kann, hat er – entgegen nicht weniger Social-Media-Meinungen – in seiner langen Karriere bewiesen.

2009 hatte die Formel 1 ihr Reglement schon einmal auf links gedreht, Hamilton sah als Titelverteidiger mit McLaren plötzlich die Rücklichter der überlegenen Boliden von Brawn und Red Bull. Der Brite nahm die Aufgabe an, wurde von Rennen zu Rennen stärker. Kurz vor der Sommerpause feierte er in Ungarn den ersten Saisonsieg, in der zweiten Saisonhälfte folgten drei Podestplätze und ein Triumph in Singapur. Am Saisonende stand für Hamilton ein unter den Umständen respektabler 5. WM-Platz zu Buche.

Mit fünften Plätzen kann Hamilton heute allerdings noch weniger anfangen als damals. Er will den achten Titel. Er will alleiniger Rekordchampion vor Michael Schumacher sein. Wenn das was werden soll, muss sein Silberpfeil schnellstens aufhören zu hoppeln.