Ist das das Comeback des Jahres?
Nicholas Latifi: Vom Auslaufmodell zum gefeierten Top-Ten-Fahrer

Nach dieser Saison ist für Nicholas Latifi Schluss mit der Formel 1! Das war zumindest vor dem Qualifying von Silverstone so gut wie besiegelt. Unter Experten und im Fahrerlager wurde mit Alpine-Junior Oscar Piastri schon ein potentieller Nachfolger gehandelt. Und auch Latifi selbst blickte der düsteren Zukunft ins Auge: "Wenn ich mir meine Leistung dieses Jahr anschaue, könnte ich nächstes Jahr womöglich tatsächlich nicht mehr in der Formel 1 fahren", sagte der Milliardärssohn noch am Donnerstag gegenüber RTL. Und jetzt? Hat er beim Regen-Qualifying in Silverstone richtig gezaubert und startet am Sonntag (ab 15 Uhr, LIVE bei RTL) von Startplatz Zehn. Nicholas Latifi: vom Buh- zum Überraschungsmann.
Lahmer Bremsklotz statt schneller Angreifer
Immer wieder größere Schäden, keine Punkte, schlechter Ruf: Der Kanadier Nicholas Latifi hat keinen leichten Stand in der Formel 1. Der Blick auf die Fahrerwertung zeigt: Er ist Letzter. Immer wieder machen Gerüchte die Runde, Latifi werde den Traditionsrennstall Williams zum Saisonende verlassen.
Und immer wieder bestätigt der junge Fahrer: „Ja, ich stehe unter Druck.“ Zuletzt gab er vor seinem Heim-GP in Kanada zu: „Ich muss dringend zulegen.“ Es wurde nichts draus. Am Ende wurde er 16.
Zu seinen schwachen Leistungen auf dem Asphalt gesellt sich sein mangelhafter Ruf im Fahrerlager. Immer öfter scheint der Williams-Pilot den Top-Fahrern im Weg zu sein. Ein Bremsklotz für die Schnellsten. Seinen größten Auftritt hatte der Kanadier vergangene Saison beim letzten Rennen in Abu Dhabi. Kurz vor Schluss knallte er in die Mauer – Safety Car! Nur deshalb konnte Max Verstappen wieder aufschließen, nur deshalb holte sich der Niederländer in der letzten Runde mit frischen Reifen den Titel.
Danach hagelte es Häme, Spott und vor allem: Hass. Viel zu verarbeiten für Latifi. Zumal ihm ohnehin der Ruf anhaftet, nur aufgrund seines reichen Vaters in der Formel 1 zu fahren. Schließlich konnte der Kanadier schon in der Formel 2 keine Achtungserfolge erzielen. Sechs Jahre brauchte er dort für Rang 2 im Jahr 2019. Danach ging es für ihn in die Formel 1, während der damalige F2-Sieger Nyck de Vries bei der Langstrecken-WM und der Elektroserie Formel E seine Runden drehte.
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Latifi vertraut seinem fahrerischen Können
Vergangenes Jahr hieß sein Team-Kollege noch George Russell. Latifi hatte große Probleme mit dem Top-Talent mitzuhalten. Doch auch in diesem Jahr, kommt er nicht an seinen Stallpartner heran. Dabei ist der Thai-Brite Alex Albon nach einem Jahr Pause erst in die Formel 1 zurückgekehrt.
Es ist sein drittes Jahr in der Formel 1. Lediglich sieben WM-Punkte stehen nach dieser Zeit insgesamt auf seinem Konto. Die Zeichen stehen auf Abschied. Mit schnellen Runden positiv auffallen? Bisher Fehlanzeige.
Trotzdem ist der Sohn von Milliardär Michael Latifi ruhig geblieben. Zeigte am Donnerstag vor dem Großen Preis von Großbritannien auch einen Funken Hoffnung. In sich und seine Zukunft. "Es besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass ich nächste Saison bei Williams fahre", sagte der Kanadier. Er habe mit Teamchef Jost Capito schon mehrfach über die Situation gesprochen und wisse, dass er liefern müsse. Zu den Gerüchten, sein Aus sei schon beschlossen, sagte Latifi: "Gerüchte und Kritik sind Teil des Spiels. Aber wenn man alles glaubt, was geschrieben wird, wäre meine Saison nach Montreal schon vorbei gewesen." War sie aber nicht. Zum Glück. Denn so saß Latifi beim Silverstone-Qualifying in seinem Boliden, bereit, sich selbst und der Formel-1-Welt zu zeigen: Das ist genau der Ort, an den ich gehöre.
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Reicht ein gutes Qualifying zum Umdenken?
Silverstone Circuit. Gut zwei Autostunden nordwestlich von London liegt der knapp 6 Kilometer lange Kurs auf einem alten Militärflugplatz. Der Ort, an dem Latifi endlich der Formel 1 zeigen konnte, was er drauf hat. Es war das erwartete Regen-Qualifying im britischen Stil. Und Latifi hat gezaubert! Während sich Carlos Sainz sensationell seine erste Karriere-Pole gesichert hat, hat sich der Williams-Pilot still und heimlich auf Rang 10 vorgefahren. Und damit seinen Teamkollegen Alex Albon auf Rang 16 deutlich hinter sich gelassen. Dabei hatte Latifi im Gegensatz zum Garagennachbar nur den „alten“ Williams zur Verfügung, während Albon den runderneuerten FW44 mit den Upgrades steuerte. Ein klarer Punkt für Latifi im Teamduell. Zum ersten Mal in dieser Saison landete er vor Albon.
„Ich hatte heute ein richtig gutes Gefühl. Q2 war schon toll, Platz 10 war die Kirsche auf der Torte“, freute sich ein ausgelassener Latifi nach Q3 bei Sky. Und auch Teamchef Jost Capito war happy für seinen Schützling: „Die ersten Rennen waren schwierig, und heute unter den schwierigen Bedingungen in Q3 zu fahren, ist ganz toll. Da muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das Glück hat er auch verdient.“
Vielleicht kann Latifi am Sonntag (ab 15 Uhr, LIVE bei RTL) auch endlich mal in einem Rennen seine gute Leistung bestätigen. Und Vielleicht denkt dann Capito ja doch noch mal über eine Vertragsverlängerung nach. (lgr)