Formel-1-Star steigt verspätet in die Saison ein
Aston-Martin-Krise: Jetzt kommt's (auch) auf Vettel an

Corona war gestern. Sebastian Vettel ist nach seiner Covid-Zwangspause zurück in der Formel 1, gibt beim Großen Preis von Australien (alle Sessions im RTL-Ticker) seinen Saisoneinstand. Gut gelaunt lief der 34-Jährige beim Track Walk am Donnerstag durch den Albert Park in Melbourne, scherzte mit Kumpel Mick Schumacher. "Es fühlt sich ein bisschen so an, als komme man zu spät zur Schule. Ich kann es kaum erwarten, wieder loszulegen“, sagte Vettel.
Ein lachender Seb, schöne Bilder. Die F1-Miesepeter aber unken schon: Noch lacht er. Denn das Lachen könnte Vettel in der Tat vergehen, sobald er in seinem gurkenden Aston Martin auf Zeitenjagd geht. Doch jammern bringt nix: in der derzeitigen Krise braucht Aston Martin den Analytiker Vettel und sein beeindruckendes Arbeitsethos besonders.
Vettel bei Aston Martin "virtuell" allgegenwärtig
Sebastian Vettel blieb auch in seiner Schweizer Corona-Quarantäne nicht untätig. Der viermalige Weltmeister tat, was so viele seit tun, seit sich die Welt im Pandemie-Modus dreht. Er ging ins Home Office, war laut Teamchef Mike Krack bei allen wichtigen Meetings und Debriefs „virtuell“ dabei.
Auch mit seinem Ersatzmann Nico Hülkenberg habe es eine ständige Leitung gegeben, wie der Hulk verriet. „Ziemlich mitgenommen“, sei Vettel von den Schwierigkeiten seines Teams gewesen, sagte Hülkenberg, der seinen Landsmann in Bahrain und Saudi-Arabien tadellos vertrat.
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Aston Martin hat ins Klo gegriffen
Die Regel-Revolution 2022 – sie hat Aston Martin eine nahezu einmalige Chance gegeben, näher an die F1-Spitze zu rücken, regelmäßig Punkte einzufahren, gar um Siege und Podien zu kämpfen. Nach den ersten beiden Saisonrennen muss man konstatieren: Das ambitionierte britische Werksteam hat diese goldene Möglichkeit nicht genutzt. Im Gegenteil: Mit dem AMR22 haben die Grünen voll ins Klo gegriffen.
Als einziges Team neben Williams ist Aston Martin noch ohne Punkte. Der Rückstand auf die Mittelfeld-Konkurrenz: beträchtlich. Weder in Bahrain noch Saudi-Arabien waren Hülkenberg und Lance Stroll in der Lage, aus eigener Kraft in die Punkte zu fahren. Da auch das Rennglück nicht mitspielte, setzte es zwei bittere Nullnummern.
Das Schlimme aus Aston-Martin-Sicht: Die Lücke ist im Vergleich zum enttäuschenden Vorjahr nicht kleiner geworden. Nicht zu den großen Teams, nicht zu den unmittelbaren Gegnern wie McLaren, Alpine und AlphaTauri. Mehr noch: Alfa Romeo und Haas sind – mit weitaus bescheideneren finanziellen Mitteln – fürs Erste an Aston Martin vorbeigezogen.
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Hoppelei kostet 0,75 Sekunden pro Runde
Für Vettel eine ausgesprochen schlechte Situation. 2020 war er nach seinem Ferrari-Aus zu Aston Martin geflüchtet. Grüne Bond-Rakete statt roter Gurke, lautete die Hoffnung. Es kam anders: Während die Scuderia im Vorjahr Schritt für Schritt die Wende schaffte, fiel Aston Martin – als Racing Point 2020 noch vorne dabei – zurück. Dieses Jahr sollte dank der neuen Regeln alles besser werden. Von wegen! British Racing Green steht vorerst nicht mehr für Hoffnung, sondern tatsächlich für das, was der AMR22 bisher ist –, eine Gurke.
Wie auch Mercedes hat Aston Martin erhebliche Probleme mit dem „Bouncing“, dem Auf und Ab auf den Geraden infolge des abreißenden Luftstroms. Schon in Bahrain dechiffrierte Technikchef Andrew Green die Hoppelei in Zahlen. 0,75 Sekunden kosteten die Setup-Maßnahmen, die Aston Martin ergreife, um das Bouncing zu lindern, pro Runde, so Green. Welten in der Formel 1. Der Brite räumte ein, eine dauerhafte Lösung des Problems könne „mehrere Rennen“ dauern. Dass der Mercedes-Motor im Heck nicht mehr der Primus unter den Aggregaten ist, tut sein übriges.
„Es ist, als wüssten sie nicht mehr, wie man ein Auto designt“, kanzelte Jacques Villeneuve den Rennstall von Milliardär Lawrence Stroll nach dem Saisonstart ab. Der Kanadier, der als Experte gerne mal krawallig daneben haut, erntete keinen Widerspruch. Die Formel-1-Empirie bestätigte ihn schließlich.
Bei Aston Martin greifen die Räder noch nicht ineinander
Was ist los bei Aston Martin? Der als Choleriker verschriene Teampate Stroll will Ergebnisse sehen, hat dem Werksteam im Stile eines Konzern-CEOs einen Fünf-Jahres-Plan verpasst. Ziel: Die Weltmeisterschaft. Hierzu baut Aston Martin in Silverstone eine hochmoderne Fabrik, wilderte bei der Konkurrenz munter Techniker und Ingenieure ab, holte Ex-McLaren-Renndirektor Martin Whitmarsch als Chef der Technologie-Abteilung zurück in die Formel 1. Und: jagte den langjährigen Teamchef Otmar Szafnauer vom Hof, der seinerseits bei Alpine anheuerte. Das Sagen bei Aston Martin hat jetzt Mike Krack.
Viele Ressourcen und Man Power also, umso enttäuschender ist das, was bei Aston Martin 2022 herausgekommen ist. Es sei eines, viele Leute einzukaufen und Geld in ein Team zu buttern, kritisierte Sky-Experte Ralf Schumacher beim Saudi-GP. Etwas anderes sei es, die einzelnen Rädchen in einem Team ineinander greifen zu lassen und ein schnelles Auto zu bauen. Schumacher vermutet zudem, dass die Entscheidung des ungeduldigen Strolls, Szafnauer rauszuwerfen, dem Team nicht gut getan hat. Der erfahrene Amerikaner gilt als Ruhepol, als einer, der ein Team zusammenhalten und durch Krisen führen kann.
Arbeitstier Vettel hofft auf Verbesserungen
Diese Aufgabe des Krisenmanagers wird nun Krack zuteil – und Vettel. Der ist für den angeschlagenen Rennstall mit all seiner Erfahrung aus 15 Jahren Formel 1 wichtiger denn je. Ruhe reinbringen und konzentriert arbeiten, heißt die Devise. Vettel gilt als einer, der genau das kann. Will Aston Martin aus der grünen Gurke AMR22 in dieser Saison noch ein halbwegs anständiges, punktefähiges Auto machen, sind die Ingenieure auf das präzise Feedback von „Insepktor Seb“ angewiesen. Garagen-Nachbar Lance Stroll (der sich gegen Kaltstart-Hülkenberg kaum zu behaupten vermochte) dürfte dieses eher nicht liefern.
Dass Vettel aus der Schweiz aus voll am Ball blieb, spricht für ihn, seine Arbeitseinstellung, seinen Willen, die Herausforderung 2022 anzunehmen. Gewiss: Oft hat Vettel in den vergangenen Jahren nicht das gezeigt, was er selbst und andere von ihm – auch in einem unterlegenen Auto – erwarten. Öfters wirkte er nach außen hin lustlos. Hinter den Türen des Fahrerlagers aber, so hörte man, arbeitete er stets wie der viermalige Weltmeister, der er ist. Detailversessen und mit viel Hingabe.
"Es wird wichtig sein, Erfahrungen im Training zu sammeln. Ich hoffe, dass wir uns verbessern können“, sprach Vettel nach seiner Ankunft Down Under. Motivation und Hoffnung sind da. Jetzt liegt es an den Ingenieuren und Vettel, Aston Martin in die Spur zu bringen.