Von Kiew bis nach Fehmarn
Flucht eines Deutschlehrers aus dem Ukraine-Krieg: "Was wir erlebt haben, ist surreal."

Es ist der 24. Februar 2022 als der deutsche Lehrer Markus Peuser von einem lauten Zischen geweckt wird, die ersten Bomben landen auf Kiew: „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Krieg auch Kiew erreicht, doch wir wurden eines Besseren belehrt“, erzählt der gebürtige Kieler im Interview mit RTL Nord. Was dann folgt ist eine gefährliche Flucht mit dem Auto an die polnische Grenze, um zu seiner Familie nach Fehmarn zu gelangen.
An den Checkpoints stehen Soldaten mit geladenen Maschinengewehren

In zwei PKWs fliehen Markus Peuser und vier ukrainische Lehrerinnen aus Kiew in Richtung Westen. Ziel: das Elternhaus einer Kollegin im Gebiet des 250 Kilometer entfernten Chmelnyzkyj. 13 Stunden dauert die Fahrt, die Straßen sind überfüllt mit flüchtenden Menschen, alle 30 Kilometer müssen Checkpoints passiert werden: „Die Checkpoints sind besetzt mit Soldaten mit schweren Waffen. Da wird einem schon ganz anders, wenn jemand mit einem Maschinengewehr vor deinem Auto steht“, beschreibt der Lehrer die Situation vor Ort.
Die Lage spitzt sich zu

Vier Tage verbringen die Lehrer in Chmelnyzkyj in der Hoffnung, dass sich die Lage beruhigt. Doch die Nachrichten werden schlechter und Markus Peuser entscheidet, das Land zu verlassen. Ein schwerer Entschluss, denn seit 2017 ist die Ukraine Lebensmittelpunkt des Norddeutschen. Mit dem Aufbau einer Schule für Deutsch als Fremdsprache in Kiew hatte er sich ein Herzensprojekt erfüllt. Doch er erzählt: „Wir hatten nur noch die Handys mit den ganzen schlechten Nachrichten und konnten nichts machen. (...) Deshalb habe ich entschieden, es ist besser das Land zu verlassen und von außen zu schauen, wie wir weitermachen.“
Lage an der polnischen Grenze ist surreal

Sechs Stunden müssen Peuser und seine Kolleginnen an der polnischen Grenze auf die Abfertigung warten. Was sie dort sehen, geht dem Kieler nicht mehr aus dem Sinn: „Es gibt dort viele Frauen und Kinder, die leider, leider ohne Auto sind und nur mit einem Koffer und einer Jacke an der Grenze warten. Sie haben keine Zelte über dem Kopf und stehen im Freien. Das bei zwei bis drei Grad und in der Nacht noch kälter.(...) Das ist für mich immer noch surreal.“
Peuser: "Ich würde sofort wieder hinfahren"
Markus Peuser kommt sicher bei seiner Schwester auf Fehmarn an – doch: „Ich bin noch dabei, dass alles zu verstehen, was passiert ist.(...) Ich bin mit meinen Gedanken in Kiew bei meinen Kolleginnen, bei meinen Freunden, die noch in der Ukraine sind und ich mache mir natürlich große Sorgen.“ Über einen Messengerdienst steht er in ständigem Kontakt mit allen und organisiert weiter Online-Deutschkurse, soweit das in Kiew möglich ist. Außerdem baut der gebürtige Kieler ein Kursprogramm für Deutsch als Fremdsprache für geflüchtete Ukrainer in Deutschland auf: „Wir möchten den Menschen, die jetzt hier in Deutschland angekommen sind, helfen sich möglichst schnell zu intergrieren.“ Von Fehmarn aus kann er zur Zeit nur diese Hilfe leisten, aber Peuser sagt auch: „Wenn mich heute Kollegen anrufen würden und sagen: ich bin an der polnischen Grenze und brauche Hilfe, würde ich sofort wieder hinfahren und sie retten.“