Wenn anderes Essen nur noch Angst machtARFID-Syndrom: Olivia konnte 16 Jahre lang nur Nudeln essen

Olivia Evans aus dem englischen Coventry ist ein ganz normales 18-jähriges Mädchen - auf den ersten Blick! Was ihr niemand ansieht: Sie hat sich fast 16 Jahre lang ausschließlich von Nudeln ernährt. Es begann, als die junge Engländerin zwei Jahre alt war. Kinder bilden dann schnell eine Vorliebe für alle Arten von Nudeln. Das Problem bei Olivia war aber: Diese Vorliebe wuchs sich aus. Sie konnte nichts anderes mehr essen - sie fühlte sich schon vom Geruch anderer Speisen krank. Doch jetzt gelang es einem Hypnotherapeuten, Olivia von ihrem Leiden zu befreien.
Heftige Angst und große Übelkeit
Eltern kennen das: Im Vorschulalter bilden Kinder sehr starke Vorlieben für bestimmte Speisen - meist Nudeln, Fritten, Pizza, Burger - die Klassiker. Doch bei Olivia war es extremer: Sie bekam heftige Angst und große Übelkeit, wenn ihr etwas anderes als Spaghetti oder einfache gekochte Nudeln angeboten wurden. Jetzt hat sich die Schauspielerin, die als Imitatorin von Disneys Elsa auf Geburtstagspartys und Events auftritt, einer Hypnosetherapie unterzogen - und kann endlich auch andere Gerichte essen. Nach ihrer ersten zweistündigen Sitzung gab es schon Obst und Gemüse, Donuts, Schinken- und Käsebrötchen für die junge Frau.
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Die Küche kann sie nur nach ausgiebigem Lüften betreten
Und es gab auch wieder Spaghetti - nur diesmal mit Bolognese-Soße. Bisher undenkbar für die 18-Jährige: "Ich dachte nie daran, irgendeine Soße darüber zu geben, weil ich schon bei der Vorstellung davon würgen musste", erzählt sie BirminghamLive. Und weiter: "Wenn meine Mutter ein Familienessen kochte, blieb ich in meinem Zimmer und kam erst herunter, nachdem das Fenster geöffnet und der Geruch verzogen war." Ihre Arbeit als Elsa-Darstellerin war dadurch auch nicht gerade leicht: "Es war schwierig, weil ich auf Kindergeburtstagen aufgetreten bin und der Geruch des Kuchens und des Partyessens mich ziemlich krank machte", sagt sie. "Ich habe mich dann einfach gezwungen, in der Rolle zu bleiben und es durchzustehen, weil ich die Kinder nicht im Stich lassen wollte."
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Erste Erfolge schon nach der ersten Hypnose-Sitzung
Ihre Mutter Estelle (51) wendet sich schließlich an den Londoner Therapeuten und Hypnotiseur David Kilmurry, der weltweit als Experte für das Syndrom gilt. Er stellt fest, dass Olivia an einer sogenannten vermeidenden restriktiven Essstörung (ARFID) leidet. Olivia berichtet: "Es war wirklich erstaunlich! Nach der Sitzung konnte ich viele verschiedene Lebensmittel probieren. Es war, als hätte ich dieses Essen schon immer gegessen. Der Geschmack von Obst war erstaunlich, besonders von Erdbeeren und Kirschen." Vor der Hypnosetherapie fühlte sie sich immer ziemlich müde, doch jetzt habe sie so viel mehr Energie, berichtet sie.
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Auch Therapeut Kilmurry ist hochzufrieden: "Ich bin so stolz auf Olivia, dass sie den Mut hatte, ihre Neophobie/ARFID zu überwinden." Das sei gefährlich und mache dem Körper und dem Gehirn zu schaffen.
Das ist die vermeidend-restriktive Essstörung ARFID:
ARFID ist die Abkürzung für Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder, also Vermeidende/Einschränkende Ernährungsstörung. Medizinjournalist Dr. Christoph Specht erklärt: "Das ARFID-Syndrom beschreibt eine Essstörung, bei der Menschen nur ganz bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen und andere stark und rigoros ablehnen. So stark, dass sie Angst davor haben und denken, anderes Essen würde ihnen schaden. "Im Vorschulalter ist dieses Essverhalten vielleicht noch ganz normal, aber man muss aufpassen", weiß Specht. "Eine große Auswahl an Essen hilft, dass sich das Schema nicht verfestigt." Sobald Kinder längere Zeit Essen verweigern, sollten Eltern deshalb eingreifen.
Bei ARFID geht es nicht um ein verzerrtes Körperbild wie bei der Anorexia nervosa oder um einen Schlankheitswahn wie bei Bulimia nervosa.
Die vermeidende/restriktive Essstörung kann zu erheblichem Gewichtsverlust, Wachstumsverzögerungen bei Kindern, Schwierigkeiten bei der Teilnahme an normalen sozialen Aktivitäten und manchmal zu lebensbedrohlicher Mangelernährung führen.
WUSSTEN SIE SCHON? So begeistern Sie Ihr Kind für neue Lebensmittel!
Kein Gemüse, kein Salat, stattdessen am liebsten jeden Tag Nudeln: Vielen Eltern dürfte das bekannt vorkommen. Denn viele Kinder sind sehr wählerisch, was das Essen betrifft und lehnen viele Lebensmittel rigoros ab. Das sorgt nicht selten für Stress bei Eltern und Kindern. Dabei muss der laut Andrea Maier-Nöth gar nicht sein. Sie ist Professorin an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und Expertin für frühkindliche Geschmacksprägung. Hier erklärt sie, warum der typische deutsche Babybrei nicht unbedingt ideal ist und wieso Kinder als Gourmets und nicht als Suppenkasper geboren werden – und wie Sie die Experimentierlust Ihrer Kinder fördern können. (ija)