35 ist die neue 50 - wie realistisch ist der neue Inzidenzwert?
Epidemiologe: Kein Verständnis für "überraschenden" 35er-Inzidenzwert
Experte kritisiert neuen Inzidenzwert
Was bis jetzt die 50 war, ist nun die 35. Ist der Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner dort angekommen, sind Lockerungen möglich. Doch wurde während des immernoch anhaltenden Lockdowns, in dem sich Deutschland seit November befindet ja vielerorts nicht mal der Inzidenzwert von 50 geschafft. Wie realistisch ist also die neue, magische Zahl 35 und macht die Entscheidung von Bund- und Ländern überhaupt Sinn? Virologe Klaus Stöhr kritisiert diese im RTL-Interview.
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Kritik an Entscheidung von Bund und Ländern
Lange hatten alle die magische 50 im Blick. Ist die erreicht, können bestimmt endlich Lockerungen her. Das war wohl vorallem die Hoffnung von Einzelhandel und Gastronomie, sowie allen anderen, die der Lockdown hart trifft. Jetzt, wo die 50 mancherorts in Reichweite zu sein scheint oder sogar schon erreicht ist, schickt die Politik aber eine neue Marke ins Rennen: 35 soll der Inzidenzwert sein, bei dem Lockerungen möglich werden. Kritik gibt es unter anderem vom Präsident des Einzelhandelsverbands Stefan Genth "Das Urteil ist vernichtend. Man kann schon fast von Politikversagen sprechen." Und auch Epidemiologe Klaus Stöhr hat kein Verständnis für die Entscheidung von Bund und Ländern.
„Es ist ja richtig, dass wir versuchen, so viele Todesfälle wie möglich zu verhindern und Krankenhauseinweisungen. Warum man im Gießkannenprinzip einen 35er Inzidenzwert für die gesamte Bevölkerung vorschreiben muss, entzieht sich meinem Verständnis.“
Experte fordert einen guten Kompromiss
Vielmehr solle man sich auf die Risikogruppen fokussieren, so Stöhr. Die 35er Inzidenz lenke von der eigentlichen Notwendigkeit, die Pandemie differenziert zu bekämpfen, ab. Er hoffe nicht, dass in zwei Wochen die 35 durch eine 25 oder 10 ersetzt werde.
„Ich habe immer gesagt, im Winter in Mitteleuropa eine Inzidenz unter 50 zu erreichen und zu halten, ist außerordentlich schwierig. Das kann man nur mit einem Dauerdruck machen. Und wenn wir uns die Zahlen anschauen, gibt es keinen Grund dafür, über Dauerdruck nachzudenken, sondern darüber, wie man schrittweise wohl dosiert und wohl überwacht wieder zum normalen Leben langsam zurückkommen kann.“
Stöhr sagt, man müsse jetzt einen Kompromiss finden „zwischen der gesundheitlichen Vorsorge, aber natürlich auch der Erhaltung der Wirtschaft und der freiheitlichen Rechte.“
Denn man müsse den Menschen eine Perspektive bieten, eine Positiv-Agenda, „damit auch alle wirklich weiter mitmachen. Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei und da dürfen wir keinen verlieren.“
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Lockerungen müssen beginnen
Der Experte spricht sich im RTL-Interview für schrittweise, langsame Lockerungen aus, weil man nicht weiter in einem totalen Dauer-Lockdown fahren könne. „Was ich mir wünschen würde, ist ein Master-Stufenplan mit entsprechenden Pandemiestufen. Das könnte dann viel mehr Transparenz geben.“ Ein Flickenteppich sei dabei kaum vermeidbar. „Hier wird man regionale Unterschiede sehen müssen. Thüringen und Sachsen auf der einen Seite und Saarland und Schleswig-Holstein auf der anderen, unterscheiden sich ja nicht, weil das Klima anders ist, sondern weil die Menschen sich anders verhalten. Da muss man auch drauf eingehen.“
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