Dürfen die das?

Primark verlangt von krankgeschriebenen Mitarbeitern Einsicht in Krankenakten

FILE PHOTO: A Primark store is seen on Oxford Street, in London, Britain, January 16, 2023.  REUTERS/Peter Nicholls/File Photo
Verstößt Primark bewusst gegen Arbeitsrecht?
/FW1F/Kylie MacLellan, REUTERS, PETER NICHOLLS
von Aristotelis Zervos

Was ist bloß bei Primark los? Gehen die günstigen Preise im Laden auf Kosten der Angestellten? In mindestens zwei Fällen soll Primark von krankgeschriebenen Beschäftigten Einsicht in Krankenakten verlangt haben. Für die Modekette ein ganz normaler Vorgang, für die Gewerkschaft Verdi ein absolutes No-Go. Wir haben einen Rechtsanwalt gefragt.

Primark: Mitarbeiter soll neue Erkrankung nachweisen

Was ist passiert? Wie das Regionalportal inRLP.de berichtet, hat Primark von einem Mitarbeiter Einsicht in die Krankenakten der letzten zwölf Monate verlangt. Als der Mitarbeiter das abgelehnt hat, wurde ihm das Gehalt gekürzt.

Primark verweist in einem Schreiben, das inRLP.de vorliegt, darauf, dass der betroffene Mitarbeiter in den vergangenen zwölf Monaten häufig erkrankt gewesen sei, zuletzt mehrere Wochen im Februar. Der Verdacht: Es handelt sich um dieselbe Krankheit und damit um eine Fortsetzungskrankheit. In diesem Fall müsste der Arbeitgeber nach sechs Wochen keine Entgeltfortzahlung mehr leisten.

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Die Billig-Modekette sieht deshalb den Mitarbeiter in der Pflicht, nachzuweisen, dass es sich um eine neue Erkrankung handelt. Eingereicht werden sollen "Krankheitsursachen (Diagnosen) für sämtliche Erkrankungen für die letzten zwölf Monate".

Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hält das Unternehmen nicht für ausreichend.

Verdi will Primark wegen ausgesetzter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verklagen

Der Betroffene hat sich bereits an die Gewerkschaft Verdi gewandt, eine Klage vor dem Arbeitsgericht wird vorbereitet.

„Das Arbeitsgericht soll der Firma Primark mal auf die Finger hauen", sagt Stefan Prinz von Verdi Pfalz im Gespräch mit inRLP.de und ergänzt: „Die Rechtsauffassung von Primark ist hanebüchen."

Verdi hat in einem ersten Schritt Primark aufgefordert, den nicht ausbezahlten Lohn in Höhe von 1600 Euro brutto an den Mitarbeiter auszuzahlen. Sollte das nicht passieren, geht es vor dem Arbeitsgericht weiter.

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Primark dagegen hält das Vorgehen auf Anfrage der Saarbrücker Zeitung, die ebenfalls über den Fall berichtet, „grundsätzlich gerechtfertigt.“ Eine Anfrage von RTL bliebt zunächst unbeantwortet.

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Rechtsanwalt: Arbeitgeber hat kein Recht auf Einsicht in Patientenakte

Den Fall haben wir Rechtsanwalt Henning Linnenberg von der Kanzlei Mutschke vorgelegt und um eine Einschätzung gebeten.

Darf der Arbeitgeber Einsicht in die Krankenakte verlangen und das Gehalt kürzen?

„Nein, der Arbeitgeber hat nicht das Recht, Einsicht in die Patientenakte eines Arbeitnehmers zu verlangen“, erklärt der Rechtsanwalt. „Arbeitgeber haben grundsätzlich kein Recht darauf zu erfahren, an welcher Art von Erkrankung ihr Arbeitnehmer leidet.“

Daher könne der Arbeitgeber auch nicht das Gehalt kürzen, wenn der Arbeitnehmer dies verweigert, sagt Linnenberg.

Allerdings habe der Arbeitgeber ein Auskunftsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer, ob es sich um eine sogenannte Fortsetzungskrankheit oder um eine andere Krankheit handelt. „Auch hier kann der Arbeitgeber aber keine Auskunft über die konkrete Art der Krankheit verlangen.“

Bei einem Schummelverdacht könne der Arbeitgeber bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern aber verlangen, dass die Krankenkasse des Arbeitnehmers den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einschaltet, erklärt Linnenberg das eigentliche Vorgehen.

Verstößt Primark hier gegen geltendes Arbeitsrecht? Zumindest scheint das Vorgehen des Modehändlers System zu haben. Wie Verdi berichtet, soll eine weitere Mitarbeiterin der Primark-Filiale in Kaiserslautern Post von der Primark-Zentrale in Essen erhalten haben. Auch sie soll die Diagnosen für sämtliche Erkrankungen für die letzten zwölf Monate einreichen.

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