Warum ich ihnen folge, obwohl sie mich nerven - ein Kommentar

Influencer sind „die Rattenfänger der modernen Zeit“

PRODUKTION - 24.04.2021, Berlin: Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Timeline in der App Instagram. Instagram und Facebook geben Nutzern künftig die Möglichkeit, auf die Anzeige von Like-Zahlen zu verzichten. (zu dpa «Instagram und Facebook lassen Like-Zahlen ausblenden») Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Auf Instagram kann man bei dem vielen Content schnell die Zeit vergessen.
som vco, dpa, Fabian Sommer

Genervt und trotzdem Follower!
Immer, wenn ich mal ein paar Minuten habe, zappe ich durch Instagram und lasse mich ein wenig berieseln. Da sollte man meinen, dass mir dieses Durchgeswipe und Rumgescrolle wenigstens positive Vibes gibt, oder? Aber ganz oft passiert genau das Gegenteil: Ich rege mich auf – über Influencer! Aber entfolgen? Das tue ich auch nicht. Mal Hand aufs Herz: Wem kommt’s bekannt vor?
RTL.de ist jetzt auch bei WhatsApp - HIER direkt ausprobieren!

Warum zur Hölle entfolge ich diesen Personen nicht einfach?

Es ist in etwa so: Ich scrolle durch die mir angezeigten Influencer-Stories bei Instagram. Nicht mal die Hälfte schaue ich mir wirklich an, das meiste swipe ich sofort weg. Und bei den Influencer-Stories, bei denen ich hängenbleibe? Über die rege ich mich dann auch noch auf. Zugegeben: Ich bleibe zum Teil sogar nur bei ihnen hängen, um zu sehen, ob sie wieder etwas machen, das mich aufregt. Und wenn, dann sind die Gründe divers:

Mal ärgert es mich, wie Influencer immer wieder verheult in die Kamera sprechen und uns à la „Ich bin eine von euch“ an ihrem Leid teilhaben lassen. Ein anderes Mal regt es mich auf, mit welcher Selbstverständlichkeit Produkte verlinkt werden, die sich wohl ein Großteil der Follower nicht einmal leisten kann – jedenfalls nicht, ohne sich hoch zu verschulden. Doch warum zur Hölle entfolge ich diesen Personen nicht einfach? Ein merkwürdiges Phänomen!

Lese-Tipp: Jetzt kommen die Anti-Influencer: Diese Produkte solltet ihr NICHT kaufen!

Eure Meinung interessiert uns: Stimmt ab!

Anzeige:
Empfehlungen unserer Partner

Im Video: Verurteilt! Influencerin täuscht Krebserkrankung vor

Bin ich die Einzige, die so tickt? Zum Glück nicht!

Mehrmals habe ich mich schon gefragt, ob ich wohl die Einzige bin, die dieses Verhalten zeigt. Aber nein. Als ich in der Redaktion frage, wem das denn bekannt vorkommt, kommen ganz schnell erste bestätigende Rückmeldungen:

„Das Gemeckere finde ich auch ganz schlimm. Wenn sie ihre To-do-Listen zeigen mit Dingen, die jeder normale Mensch, der Vollzeit arbeiten geht, nebenbei macht.“ Oder: „Ich rege mich primär darüber auf, wie am Leben vorbei manche Leute sind, wie man tatsächlich so sein kann.“

Aber sind die Kollegen diesen Personen entfolgt? Nein! Genauso wenig wie ich selbst.

„Wie bei einem Autounfall" - sind wir nur Gaffer und Opfer unserer Sensationslust?

Warum wir trotz dieser negativen Gefühle nicht einfach auf „entfolgen“ klicken, ist uns allen irgendwie schleierhaft. Oder sind die Gefühle gar nicht so negativ, und wir fühlen uns dadurch vielleicht sogar besser?

Tatsächlich! „Du fühlst dich - vor allem, wenn du dich ärgerst - oft besser als ‚die da‘. Du fühlst dich wacher, lebendiger“, erklärt Ruth Marquardt, Expertin für Mental Health und systemische Familienberaterin.

Sie vergleicht dieses Verhalten sogar mit dem sogenannten Gaffer-Phänomen: „Es funktioniert so, wie wir es beispielsweise bei einem Autounfall kennen: Die meisten von uns wollen im Vorbeifahren sehen, was da passiert ist.“ Unser Gehirn folge schlicht und einfach der Sensationslust. „Wie die Ratten dem Rattenfänger von Hameln.“

Expertin kennt des Rätsels Lösung

Doch gibt es einen Ausweg aus diesem sensationslustigen Verhaltens-Karussell? Den gibt es. „Wir müssen uns bewusst machen, dass wir hier gerade geködert werden.“ Denn Influencer wollen unsere Aufmerksamkeit – mit allen Mitteln. Sie posten Dinge, die uns emotional hooken (zu Deutsch: jemanden ködern; so heißt es in der Werbesprache), erklärt die Expertin. Bei den einen erzeugen sie damit beispielsweise Mitgefühl, die anderen macht es auf eine gewisse Art wütend. Wie bei mir – und wie bei meinen Kollegen.

Lese-Tipp: Influencer-Produkt vs. No Name: Was schneidet im Test besser ab?

Doch ob es nun das eine oder das andere in uns auslöst: Den Influencern dürfte das ziemlich egal sein. Denn beide Sorten Follower bleiben ihnen ja anscheinend treu, sorgen für hohe Followerzahlen und im Umkehrschluss eben auch für ihren Erfolg. „Social Media, also Instagram und Co., sind eben die Rattenfänger der modernen Zeit.“ Ob wir es jemals schaffen, uns dieser Sensationsgeilheit zu entziehen? Wir werden sehen.